Heike Möller

Weltenwanderer-Chroniken II


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die mit Messern nach uns werfen.“

      Sondra und Andreas mussten sich eine kleine Notlüge ausdenken, um die frische Wunde an der Schulter von Andreas zu erklären. Schließlich konnten sie ja nicht erzählen, dass ein Troll mit einem Messer auf den König der Elfen losgegangen war und Andreas sich dazwischen geworfen hatte. Das hätte auch bei den aufge­schlossenen Eltern von Andreas zumindest zu Unverständnis geführt.

      „Was wirst du eigentlich in Zukunft machen?“, fragte Olav zwischen einigen Zügen an seiner Pfeife. „Wirst du Feldforschung betreiben oder eine Dozentenstelle an einer Uni annehmen?“

      Sondra zuckte mit den Schultern. „Ich weiß noch nicht so genau. Hamburg und Berlin haben mir jeweils eine lukrative Stelle mit viel Freiraum angeboten. Aber auch Dublin, London und Philadelphia in den USA sind an mich herangetreten.“ Sondra grinste breit. „Meine kleine Zufallsentdeckung hat wohl einigen Staub aufgewirbelt.“

      „Aber welche Entscheidung Sondra auch trifft“, meldete sich Andreas zu Wort, der das Wohnzimmer gerade wieder betrat. „ich werde hundertprozentig hinter ihr stehen.“

      Er ließ sich neben seine Freundin auf die Couch plumpsen und zog sie in seine Arme. Sondra sog seinen Duft ein, der sie jedes Mal alles andere um sie herum vergessen ließ. Für einen kurzen Moment verlor sie die Kontrolle über ihre Barrieren und ihre Haut schimmerte auf. Olav Laurenz bemerkte es und starrte verwundert zu der Freundin seines Sohnes.

      „Was war das gerade?“

      Sondra wusste sehr wohl, was Olav meinte. „Was meinst du?“

      „Deine Haut. Sie hat eben gerade geleuchtet!“

      Sondra spürte, dass Andreas sich kurz anspannte. „Das war bestimmt nur eine Re­flexion vom Kaminfeuer, Paps.“

      Stirn runzelnd paffte Olav an seiner Pfeife. Sondras Herz schlug bis zum Hals. Beina­he wäre eines ihrer kleinen Geheimnisse offenbart worden.

      „Ich glaube, wir gehen jetzt schlafen. Wir wollen ja nicht morgen in der Kirche einschlafen, nicht wahr?“ Andreas stand auf und half Sondra hoch. Dann ging er zu seiner Mutter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Nacht, Mutsch!“

      „Du sollst mich doch nicht so nennen!“, warf sie ihm vor, drückte ihm aber einen Kuss auf die Wange.

      „Das war verdammt knapp“, murmelte Andreas schläfrig, als er und Sondra wenig später aneinander gekuschelt im Bett in seinem alten Zimmer lagen.

      „Ja, war es.“ Sondra richtete sich ein wenig auf. „Aber deine Nähe lässt nun mal Gefühle in mir hochkommen. Dein Duft, deine Berührungen….“ Sie küsste sein Kinn, ihre Lippen wanderten an seinem Kiefer entlang zu seinem Ohrläppchen. Als sie zärtlich daran knabberte, stöhnte Andreas heftig auf.

      „Sagtest du nicht vorhin, dass es dir peinlich ist, es im Haus meiner Eltern zu tun?“ Seine Stimme klang ein wenig rau, dafür war er aber wieder hellwach.

      „Was tun?“, fragte sie mit gespielter Naivität und ließ ihre Zungenspitze an seinen Hals hinunter zum Schlüsselbein wandern.

      „Biest!“ Andreas griff in Sondras rote Haare und riss ihren Kopf nach hinten. Hart presste er seine Lippen auf ihre und zwang seine Zunge in ihren Mund. Sondra ließ alle Barrieren fallen und leuchtete wie ein Stern in dunkler Nacht.

      Kapitel 2: Zukunftsmusik

      Sondra rutschte auf der hölzernen Kirchenbank hin und her. Sie hatte den Worten des Pfarrers gelauscht und fand die Predigt zum Erntedankfest gar nicht mal so schlecht. Einige Kinder aus der Gemeinde sagten Gedichte auf und präsentierten dazu die Erträge der Ernte der näheren Umgebung. Sie bedankten sich bei Gott und Jesus Christus und lobpreisten alles mit Gesang.

      Bei den Gesängen und der dazu gespielten Orgel musste Sondra sich beherrschen, nicht vor Ohrenschmerz ihr Gesicht zu verziehen. Die Orgel selbst klang dünn und blechern, der Organist traf oft bei den Halbtönen daneben und von Rhythmus konnte man auch nicht sprechen.

      Der Pfarrer selbst sang gut und tapfer gegen den Organisten an und auch Andreas, Silke und Petra sangen melodiös mit. Aber der Großteil der Gemeinde, besonders einige Damen sangen völlig neue und andere Töne als die Lieder vorgaben. Beson­ders schräg war eine etwa siebzig Jahre alte Dame, die mit solch einer Inbrunst sang, dass sie selbst den Organisten übertönte. Dabei traf sie nicht einen einzigen richtigen Ton.

      Sondra kannte die Lieder nicht. Und selbst wenn, so wollte sie niemanden mit ihrem Gesang verschrecken. Im Musikunterricht schielten die Lehrer und Mitschüler Sondras immer merkwürdig, wenn sie etwas vorsingen sollte. Also verweigerte sie irgendwann das Singen und konzentrierte sich anderweitig auf Mitarbeit im Musi­kunterricht.

      Sondra beobachtete Ingrid, die ältere Schwester von Andreas. Sie hatte ihre braunen Haare kurz geschnitten und nach hinten mit Gel fixiert. Ihr scharfkantiges Gesicht wirkte herb und zwischen den Augenbrauen hatte sich tief eine vertikale Furche ein­gegraben. Neben ihr standen ihre zwei Kinder, Mark und Jeremy. Ingrids Mann Peter, sehr erfolgreich im Medienmanagement eines großen Fernsehsenders, stand neben dem ältesten Sohn und hatte locker einen Arm um dessen Schulter gelegt.

      Sondra mochte Peter, er hatte eine ruhige Art und war sehr intelligent.

      Am Ende der Reihe, die die Laurenz für sich beansprucht hatten, saß Tom in seinem Rollstuhl. Thomas Behrens, ein Cousin von Andreas, hatte als Teenager einen Unfall beim Handballspielen erlitten und war seitdem querschnittsgelähmt. Tom hatte trotz dieses Mankos sein Leben fest im Griff. Nach dem Abitur hatte er sein Hobby zum Beruf gemacht und eine Ausbildung zum Fotografen absolviert. Inzwischen hatte er sein eigenes Geschäft mit Atelier und hatte einige Fotostudienreisen hinter sich ge­bracht. Zwei seiner Fotos waren schon einmal unter den zehn besten Fotos des Jahres gewählt worden.

      Tom hatte lange braune Haare, die er meistens zum Pferdeschwanz gebunden hatte. Dadurch kamen seine hohe Stirn und die Geheimratsecken besonders zur Geltung und er wirkte älter, als er eigentlich war. Er hatte warme braune Augen mit grünen Flecken und an seinem Kinn prangte seit neuestem ein geflochtener dünner Bart.

      Sondra mochte Tom auf Anhieb. Seine Art war geradeheraus und unkompliziert. Kein Getue, kein Schnickschnack, einfach nur Tom. Er sang ebenfalls nicht mit. Allerdings nahm er an den Gebeten teil und auch beim Abendmahl.

      „Du hast tapfer durchgehalten“, raunte Andreas Sondra am Ende des Gottesdienstes zu und küsste sie kurz auf die Stirn.

      „Für dich tu ich doch fast alles“, raunte sie zurück, während sie langsam zum Aus­gang gingen.

      Der Pfarrer verabschiedete jeden Gast per Handschlag. Bei der Familie Laurenz war er besonders herzlich und als der Geistliche, der schon über sechzig Jahre alt zu sein schien Andreas erblickte, grinste er breit und erfreut.

      „Schön, dich auch mal wieder zu sehen, Andreas. Du warst lange nicht hier.“

      „Ich weiß, Pfarrer Fleischer“, antwortete Andreas höflich. „Ich lebe jetzt in Flensburg und schaffe es nicht mehr sooft hierher. Darf ich Ihnen meine Freundin Sondra Wie­land vorstellen?“

      Sondra wurde knallrot, als der Pfarrer sie mit einem wissenden Lächeln bedachte und ihr mit warmen Händen die Hand schüttelte. „Sie sind also das Wunderkind, das unseren Andreas eingefangen hat. Ich bin sehr erfreut darüber, Frau Wieland. Wirklich sehr erfreut.“

      Sondra stammelte einige Dankesworte und so etwas wie „nicht der Rede wert“ und lief so schnell als möglich zu den Autos.

      „Kirche ist nicht dein Ding, häh?“ Tom hatte seinen Rollstuhl neben sie gefahren und wartete mit ihr nun auf die anderen.

      „Aber so gar nicht!“ Sondra schüttelte sich und Tom zeigte ein breites Grinsen mit perfekten Zähnen. „Fährst du mit mir mit zum Gestüt?“

      Sondra sah Andreas, der gerade näher kam und die Frage gehört hatte, fragend an. „Ich habe vorhin ziemlich beengt im Auto gesessen, da zwischen Petra und mir noch