Nadja Hummes

Der Wurbelschnurps


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gut. Das Beet ist nämlich noch nicht wieder so in Schuss, um hineinzuspringen. Und ehrlich gesagt, sehe ich die Setzlinge lieber wachsen.“

      „Ich auch.“

      Schweigen.

      “Opa Hauke, hast du noch einen Kakao für mich?“

      „Noch einen Kakao? Hm, wollen mal sehen. Ja, ich glaube schon. Ich gehe mal eben rein.“

      „Ich kann doch mitkommen?“

      „Ja, weiß denn deine Mutter, dass du hier bist?“

      „Nö.“

      „Dann bleibst du mal schön hier draußen. Deine Mutter hat sich letztes Mal so aufgeregt. Unter anderem darüber, dass du in meiner Gartenlaube gesessen hast.“

      „Tja…“

      „Und Recht hat sie! Ich hätte hier draußen mit dir warten sollen. Nein, du kommst nicht mit hinein. Ich habe keine Lust, mir nachsagen zu lassen, ich sei ein Sittenverbrecher.“

      „O.k.“

      Opa Hauke verschwand in seiner Laube.

      Finella schaute über die Hecke in seinen Schrebergarten. Einige Setzlinge hatte er bereits eingepflanzt. Ein Großteil der Setzlinge lag allerdings noch in einem Weidenkorb, welcher neben dem Beet stand.

      Dieses Mal nahm Finella die Gartenpforte.

      Sie stellte ihren Rucksack ab, kniete sich auf die Erde und begann mit ihren Händen kleine Löcher in das Beet zu graben. Behutsam nahm sie Setzling um Setzling aus dem Korb heraus und gab jedem einzelnen einen Platz im Beet.

      Vorsichtig bedeckte sie die Wurzeln der Setzlinge mit Erde. Nun war der Weidenkorb leer. Finella nahm ihn, drehte ihn in ihren Händen hin und her und schnupperte daran. Er roch nach Ästen, Zweigen und trockener Luft. Ganz anders als eine Plastikwanne. Schöner, so befand Finella. Sie mochte den Geruch dieses Weidenkorbes.

      Opa Hauke trat aus seiner Gartenlaube.

      „Nanu?“ staunte er, während er ihr den Kakao anreichte. „Waren hier Heinzelmännchen am Werke?“

      „Nein“, antwortete Finella wahrheitsgemäß und griff nach der Tasse. „Das war ich.“

      „Ja, das glaube ich wohl auch.“

      Wilhelm Hauke betrachtete die frisch eingepflanzten Setzlinge.

      Sehr ordentlich, doch, ja, sehr ordentlich. Vielleicht hier und da noch etwas Erde anklopfen.

      Finella nippte an ihrem Kakao. Heiß.

      „Ist ganz gut gelaufen“, pustete sie in ihre Tasse hinein.

      „Was ist gut gelaufen?“ fragte Opa Hauke wie erhofft nach.

      „Wir haben heute nämlich eine Englischarbeit geschrieben“, informierte Finella ihn. Sie blies in die kleinen Dampfwölkchen über ihrer Tasse.

      „Oha. Englisch“, sagte Opa Hauke und stützte sich auf seiner Harke ab. „Fällt die englische Sprache dir schwer?“

      „Nö. Dir?“

      „Nein. Ich bin nur ein wenig aus der Übung.“

      Finella trank ihren Kakao. Einträchtig schweigend standen Finella und Opa Hauke im Schrebergarten. Mal mit Blick auf die Setzlinge, mal mit Blick auf die Hecke, mal mit Blick auf die Gartenlaube. Hin und wieder sahen sie sich auch gegenseitig an.

      Bald war der Kakao ausgetrunken.

      „Danke“, sagte Finella und drückte ihm die Tasse in die Hand. „Tüss, Opa Hauke.“

      „Tüss, gnädige Frau. Beehren Sie mich wieder.“

      *

      Während des Abendbrotes gab es natürlich nur ein Thema: die Klassenarbeit. Auch nach dem Abendbrot, als sie mit Papa telefonierten, berichtete Finella ausführlich davon. Ihren Besuch bei Opa Hauke erwähnte sie eher beiläufig. Ihren Eltern entging es jedoch nicht.

      Finella entzog sich ihren Nachfragen und verkrümelte sich in das Badezimmer. Auf der Toilette ließ sie sich ganz viel Zeit. Gut, dass sie für alle Fälle ein paar Comichefte im Badezimmerschrank deponiert hatte. Diese Vorsorge machte sich nun bezahlt.

      Nach dem Putzen ihrer Zähne durfte Finella noch eine halbe Stunde lesen. Dreißig Minuten später knipste Mama das Licht aus. Finellas Mutter bestand darauf, dass es nun Schlafenszeit sei.

      „So, jetzt können wir los“, sagte der Wurbelschnurps und kroch unter ihrer Bettdecke hervor.

      „Wird ja auch langsam mal Zeit“, erwiderte Finella, während sie ihre Nachttischlampe einschaltete und flugs aus ihrem Schlafanzug sprang.

      Ihre Unterwäsche hatte sie gar nicht erst ausgezogen. Rasch schlüpfte sie in Jeans, Shirt, Socken und Schuhe. Fertig.

      Dass der Wurbelschnurps immer so herumtrödeln musste. So oft musste sie auf ihn warten. Sie selbst würde niemals herumtrödeln. Allerhöchstens manchmal.

      Finella legte eine Fingerspitze auf den Wurbelschnurps, er lief über die Buchstaben und der sanfte warme Sog entstand.

      Sie landeten am Fuße eines Berges.

      Eine ähnliche Landschaft wie diese hatte sie einmal im Fernsehen gesehen. In einem Umweltreport, von Kindern moderiert. Von Kindern für Kinder. Auf jeden Fall waren dies hier nicht die speienden Berge.

      „Sind wir schon in Amarythien?“ fragte Finella.

      „Ja“, antwortete der Wurbelschnurps ihr wahrheitsgemäß. „Dort oben wohnt der alte Dorjas.“

      Er zeigte auf einen Felsenvorsprung. Finella kniff ihre Augen zusammen. Wenn man ganz genau hinsah, konnte man eine massive Holzhütte erkennen.

      „Wie sollen wir denn dorthin kommen?“

      „Laufen“, antwortete der Wurbelschnurps, als sei es das Natürlichste von der Welt. „In Amarythien gibt es weder Autos noch Fahrstühle.“

      Die Worgsens

      Es dauerte gar nicht lange, da fiel Finella hin. Meterweit rollte sie den Berg hinunter. Fußmärsche über lange Strecken hinweg – daran war sie einfach nicht gewöhnt. Schon gar nicht inklusive Anstieg.

      Als sie den drei Idioten aus ihrer Klasse davon rannte und dann auch noch über die Hecke in Opa Haukes Garten sprang, war das seit Monaten ihre sportliche Höchstleistung.

      Finella hatte gedacht, am Fuße des Berges würde es vielleicht Elfen und Feen geben. Die hätten sie dort auf den Berg hinauf zaubern können. Aber nein, scheinbar war Amarythien kein Land aus Tortenguss und Zuckerwatte. Stattdessen gab es in Amarythien das Tal der stinkenden Auswürfe, speiende Berge, einen alten Dorjas, der irgendwo weit oben auf einem Berg wohnte und den Wurbelschnurps, der die Meinung hegte, Laufen sei das Natürlichste von der Welt. Pah!

      Mühsam probierte Finella aufzustehen. Alle Knochen taten ihr weh. Um sie herum lagen nur Steine, Geröll und Schotter.

      Staubige Schwaden peitschten hoch. Brachial stampfende Schritte kamen auf sie zu. Finella duckte sich. Für das Aufstehen ließ sie sich ganz spontan noch einen Moment Zeit. Nur nichts übereilen. Geduckt kroch sie auf einen der Geröllsteine zu, um sich dahinter verstecken zu können. Doch es war zu spät. Eine riesige grobschlächtige Hand griff nach ihr.

      „Mmmmmmmmm, Einlage für unseren Suppentopf! Da wird sich meine Borsa aber freuen!“

      „Ich bin keine Suppeneinlage! Lass mich sofort wieder herunter, du blöder Hohlkopf!“ schrie Finella.

      Wild wurde sie in der Luft hin und her geschüttelt.

      „Ohhh, kann sprechen!“ sagte das monströse Ungetüm. „Borsa wird sich freuen. Hat immer so viel Langeweile, meine Borsa. Kann sich unterhalten, während sie kocht.“

      „Ich habe gesagt, du sollst mich wieder herunter lassen!