Nadja Hummes

Der Wurbelschnurps


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in seinen Lendenschurz. Dort stank es bestialisch. Finella zappelte wie wild, doch sie konnte nicht entkommen. Immer wieder rutschte sie an der Innenseite ab. Nach etlichen erfolglosen Versuchen beschloss sie, ihre Kräfte aufzusparen.

      So harrte sie in seinem Lendenschurz aus. Tapfer ertrug sie den bestialischen Gestank. Es roch, als würde er sich nach dem Toilettengang niemals seinen Popo abputzen. Sofern dieses stinkende Etwas eine Kloschüssel überhaupt kannte.

      „Borsa, guck!“ rief das monströse Ungetüm nach einer Weile und zog Finella an ihren Haaren aus seiner Tasche. „Hab' ich dir mitgebracht! Suppeneinlage!“

      Das Erste was Finella sah, war ein weiteres monströses Ungetüm. Allerdings schien jenes Ungetüm weiblich zu sein, während dieser hier ganz offensichtlich männlich war.

      „Gib her!“ brüllte Borsa. „Häng' ich zum Räuchern auf! Für später! Kann ich jetzt nicht brauchen!“

      „Hast du nicht gehört, du Hohlkopf?! Deine blöde Borsa kann mich gerade nicht gebrauchen!“ fauchte Finella, die noch immer an ihren Haaren festgehalten wurde.

      Mit diesen Worten drehte sie ihren Kopf nach links und biss das Ungetüm in den Finger.

      „Ahuuuuuuuuu!“ jaulte er.

      Finella rannte.

      „Meins!“ schrie er, als seine Suppeneinlage sich in Bewegung setzte.

      Jetzt erst wurde Finella gewahr, dass sie von einem Haufen monströser Ungetüme umgeben war. Eines wie das andere stürmte auf sie zu, um sie zu erwischen. Finella flitzte durch riesige Hände und Füße hindurch. Immer diese sportlichen Sondereinlagen…!

      „Hierher!“ rief der Wurbelschnurps. „Hierher!“

      Finella überlegte nicht lange. Sie sauste zu ihm in die Felsspalte.

      „Wo kommst du denn jetzt her?“ keuchte sie, völlig außer Atem.

      „Ich habe dich gesucht!“

      „Oh, toll, hast mich ja gefunden. Wie kommen wir jetzt hier heraus?“

      „Warten“, antwortete der Wurbelschnurps.

      „Warten? Worauf?“

      „Darauf, dass die Worgsens sich beruhigen. Oder beschäftigt sind.“

      „Die Worgsens? Was sind die Worgsens?“

      „Das sind die Worgsens.“

      Der Wurbelschnurps zeigte auf die Schar monströser Ungetüme. Ein Großteil der Worgsens kehrte bereits wieder in ihre jeweiligen Ecken zwischen dem Geröll zurück. Gelangweilt und frustriert, da ihrer Belustigung beraubt.

      „Wranstos!“ rief Borsa lautstark. „Komm her! Es gibt Bohnensuppe!“

      „Ohhhhh! Bohnensuppe!!!“

      „Jaaa!“

      „Mit Zwiebeln?“

      „Jaaaaa!“

      „Mmmmmmm. Bohnensuppe! Mit Zwiebeln! Meine Borsa!!! Bohnensuppe!!!“ grunzte Wranstos seiner Borsa begeistert zu und watschelte frohen Sinnes zu ihr herüber.

      „Oh nein!“ stöhnte der Wurbelschnurps.

      „Was ist?“

      „Bohnensuppe! Weißt du, was das bedeutet?“ Seine Gesichtsfarbe entwich. Wie erstarrt stand er vor Finella und sah sie aus angstweiten Augen an.

      Nun begann Finella doch, sich Sorgen zu machen.

      „Nachwuchs!“ fuhr der Wurbelschnurps bibbernd fort. „Die sorgen für Nachwuchs! Komm, Finella! Lauf! Wir müssen rennen! Schnell!“

      „Oh nein, mein lieber Wurbelschnurps. Ich laufe und renne heute kein Stück mehr. Den ganzen Tag bin ich gelaufen und gerannt. Den Berg hinauf, dann an Steinen, Geröll und Schotter vorbei und gerade eben erst zwischen den Füßen der Worgsens hindurch. Ich renne heute nicht mehr.“

      „Finella, glaube mir: Das wirst du dir gleich blitzschnell anders überlegen. Waaah! Wranstos hat schon den zehnten Löffel Bohnensuppe gegessen! Und Borsa den achten!“

      „Was ist denn bloß los mit dir, Wurbelschnurps? Weshalb zitterst du so?“

      „Ich habe es dir doch gerade gesagt: Nachwuchs! Die sorgen für Nachwuchs!“

      „Was heißt das?“

      „Was das heißt?! Weißt du denn nicht, wie die Worgsens sich vermehren?“

      „Nein. Woher auch?“

      „Dadurch, dass sie pupsen!!!“

      „Wie bitte?“

      „Bohnensuppe ist bei den Worgsens eine Liebeserklärung. Und sorgt zudem für Nachwuchs. Wranstos und Borsa sind schon seit zwanzig Jahren zusammen. Borsa hat für ihren Wranstos in all der Zeit unzählige Bohnensuppen gekocht. Und beide haben sie die Suppen gegessen. Sie haben viele Kinder.“

      „Willst du etwa sagen, dass…“

      „…jedes Mal ein weiterer Worgsen in Amarythien zur Welt kommt, wenn Borsa und Wranstos gleichzeitig Wind aus ihren Gedärmen fahren lassen. Wohlgemerkt: gleichzeitig. Nachdem sie vorher gemeinsam Bohnensuppe gegessen haben. Ja. Daher auch dieser bestialische Gestank.“

      „Wie viel Bohnensuppe hat Wranstos schon gegessen?“

      Finella wurde kreidebleich.

      „Er nimmt gerade den zwanzigsten Löffel. Und Borsa den achtzehnten. Komm mit, Finella!“

      Sie rannten tiefer in die Felsspalte hinein. Hastig führte der Wurbelschnurps sie durch Gänge und Schächte. Ein lautes Grummeln ertönte.

      „Schneller!“ schrie er panisch.

      Das laute Grummeln entlud sich in zwei sehr lauten und langen Tönen, die zu einem einzigen unnennbaren Ton verschmolzen. Kurz darauf strömte eine grüne Dampfwolke durch die Felsengänge.

      Mit voller Wucht sprang der Wurbelschnurps Finella in ihren Nacken. Dadurch brachte er sie aus dem Gleichgewicht und warf sie somit zu Boden. Finella drückte sich flach auf den felsigen Untergrund. Der Wurbelschnurps sauste unter ihre Kleidung. Die grüne Dampfwolke schnellte über sie hinweg und verschwand in einem der Schächte. Sie hinterließ einen beißenden Gestank.

      Beide schnappten japsend nach Luft. Ein lauter Schrei erklang. Er kam von dort, wo Wranstos und Borsa zuvor ihre gemeinsame Mahlzeit eingenommen hatten, und hallte durch sämtliche Steintrümmer, Gänge und Schächte. Kein Schrei wie der eines menschlichen Säuglings. Nein. Es klang vielmehr wie ein Rülpsen und der ungeübte Ton einer Trompete zugleich.

      „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, kleiner Worgsen“, sagte Finella erschlagen, als sie wieder zu Atem kam.

      Der Wurbelschnurps nickte erschöpft.

      Die Berggipfel der Mandelas

      Sie waren nun schon eine geraume Zeit unterwegs und hatten das zerklüftete Felsgestein samt der dort hausenden Worgsens bereits weit hinter sich gelassen, da gelangten sie endlich an den Fuß des Berges, auf dem der alte Dorjas wohnte. Und dort, am Fuße jenes Berges, erblickte Finella etwas für sie beinahe Unglaubliches. Ein scheinbar unendliches Bergmassiv türmte sich unsagbar hoch vor ihr auf. Wunderschön und majestätisch anmutend ragte es weit in den Himmel empor.

      Von den kaum mehr sichtbaren Berggipfeln ergossen sich unzählige überaus feine zarte Fäden in die Tiefe. Finella konnte nicht erkennen, wo diese hauchdünnen Fäden endeten. Einer Treppe ähnlich fielen sie in Stufen an den Bergwänden hinab. Vereinzelte wiegten sich bei jedem Windhauch sachte hin und her. Die meisten der hauchdünnen Fäden jedoch blieben an ihrem Platz und strahlten eine wohltuende Ruhe aus. Gleichermaßen sanft und unverrückbar. Als hätten sie sich zu unzerstörbaren Tauen verwoben. Und wären nach wie vor so einzeln filigran wie die noch wehenden Fäden. Allesamt erstrahlten sie in einem hellen leuchtenden Weiß und mancherorts