Viktoria Horstbrink

Melodie


Скачать книгу

Auf ihrem Monitor erscheint eine Meldung: 34 ungelesene Nachrichten in ihrem Posteingang. Sie sitzt kurz regungslos da, nimmt dann den Hörer in die Hand und ruft ihre Mutter an. Als sie ihr die Lage erklärt, stöhnt ihre Mutter ins Telefon. „Ach nein, nicht schon wieder. Das hatten wir doch erst letzten Monat.“ Aus dem Stöhnen wird ein Schimpfen. „Das muss doch mal ein Ende haben. Wir können nicht schon wieder die ganze Wohnung reinigen und alles Waschbare durch die Waschmaschine jagen.“

      Vivian hört sich alles an und antwortet: „Mama, es nützt jetzt alles nichts. Kannst du David und Sarah abholen oder nicht?“

      „Kind, mach du nur das Nötige auf der Arbeit fertig und komm dann nach Hause. Ich kümmere mich schon um die beiden.“

      Erleichtert, aber auch mit einem schlechten Gewissen, beendet Vivian das Gespräch mit einem Danke und fängt an ihre E-Mails zu bearbeiten.

      Als Vivian nach dem noch anstrengenden Nachmittag nach Hause fährt, denkt sie, sie würde sich am liebsten sofort ins Bett verkriechen und erst in einer Woche wieder heraus kommen wollen. Aber sie weiß, was sie zu Hause erwartet. Zwei Kinder, die entweder noch voller Energie sind, oder schon derartig ausgepowert, dass sie nur noch quengeln. Während sie Megan, wie sie ihr Auto liebevoll nennt, nach Hause fährt, blickt sie starr auf die Straße. Doch als sie hinter einem Bus an einer roten Ampel stehen bleiben muss, sieht sie ein paar Kinder auf der letzten Bank des Busses sitzen, die sich zu ihr umdrehen und ihr zuwinken. Sie freut sich und winkt strahlend zurück. Selbst als der Bus weiterfährt und sie hinter ihm herfährt, winkt sie noch einige Male.

      Zu Hause angekommen, parkt Vivian vor dem Zweifamilienhaus, das sie zusammen mit ihrer Familie und ihren Eltern bewohnt. In diesem Haus ist sie aufgewachsen. Hier in diesem ländlichen Stadtteil von Frankfurt. An diesem Ort herrscht noch Ruhe und Frieden. Kinder können noch auf der Straße spielen oder im naheliegenden Feld nach Mäuselöchern suchen. Für Vivian ist dieser Ort perfekt. Idyllisch ruhig und zugleich nahe am pulsierenden Leben der Großstadt.

      Zuerst schließt sie die Wohnung ihrer Eltern auf, die sich im Parterre befindet, um zu sehen, ob Ihre Mutter mit den Kindern dort ist. Nachdem sie nur von Tweety, dem Yorkshire Terrier ihrer Eltern, bellend begrüßt wird, geht sie die Treppen nach oben zu Ihrer Wohnung. Dort hört sie schon an der Haustür die Stimmen der Kinder, die sich scheinbar wegen irgendetwas in den Haaren haben. Als sie durch die Tür direkt in die Küche tritt, kommt Sarah direkt auf sie zugerannt.

      „Mama, Mama, der David macht mir immer meine Legotürme kaputt!“

      „Hallo, mein Schätzchen“, begrüßt Vivian ihre Tochter, zieht sie an sich und gibt ihr einen Kuss auf den Kopf. „Dann musst du eben in deinem Zimmer mit den Legos spielen.“

      „Ich will aber auch bei der Oma in der Nähe sein.“

      Da kommt auch schon Vivians Mutter aus dem Wohnzimmer in die Küche. „Na Vivian, hast du alles erledigen können?“

      „Ja. Danke Mama, dass du mir, wie immer, so geholfen hast.“

      „Also, ich habe keine Läuse in den Haaren der Kinder entdecken können. Da hat wohl eine kleine Fliege auf dem Kopf gesessen und die Damen damit gleich in Panik versetzt.“

      „Ja, sie sind sehr übervorsichtig, das stimmt. Da ich ja noch das Anti-Läuse-Shampoo vom letzten Mal im Haus habe, werde ich es ihnen trotzdem zur Sicherheit heute beim Baden verabreichen. Ich bin aber schon froh, dass ich nicht wieder die ganze Wohnung reinigen muss.“

      „Gut, mach was du denkst, ich gehe jetzt runter. Dein Vater kommt auch gleich nach Hause und er hat bestimmt Hunger. Im Büro warten auch noch Rechnungen, die geschrieben werden müssen, und ein paar Telefonate wollte ich eigentlich auch noch führen. Aber hier kommt man ja zu nichts.“

      „Ich weiß Mama, ich bin dir auch sehr dankbar“, meint Vivian aufrichtig.

      Energisch klemmt sich Lena eine Strähne ihrer blonden Haare hinters Ohr, greift nach ihrem Schlüssel und geht. Man kann ihre Schritte auf der silbernen Eisentreppe bis nach unten hören.

      Vivian ist gerade dabei ihren Mantel auszuziehen, da kommt ihr auch schon David quietschend entgegen gerannt.

      „Hallo, mein Schatz“, begrüßt sie ihn. „Ich ziehe mich erst mal um. Dann komme ich wieder und schaue mir mal eure Haare an“, erklärt sie ihm, während sie in der Hocke sitzt, um mit ihm auf gleicher Augenhöhe zu sein.

      Schnell geht sie ins Schlafzimmer, um sich eine bequeme Jeans und ein T-Shirt anzuziehen. Danach geht sie zu den Kindern. Zentimeter für Zentimeter kontrolliert sie die Kopfhaut und Haare ihrer Sprösslinge. Sie kann aber nichts entdecken. Die haben wirklich wieder einen Wind um nichts gemacht, schimpft sie innerlich.

      David holt ein Puzzle aus seinem Zimmer und rennt freudestrahlend auf Vivian zu. Eigentlich müsste sie die Wäsche aus dem Trockner holen, eine neue Waschmaschine starten und die Küche aufräumen. Und das alles bevor sie mit der Zubereitung des Abendessens beginnt. Doch sie sieht in die leuchtenden Augen und kann nicht anders, als sich zu ihm auf den Boden zu setzen. Sarah ist in ihrem Zimmer, hinter verschlossener Tür, verschwunden.

      Nachdem Vivian eine Weile mit David gespielt hat, er nun in sein Zimmer geht, um ein Bild zu malen, wagt sie sich in die Küche. Als sie auf die Uhr sieht, bekommt sie einen Schreck: 18.30 Uhr. Jetzt wird es aber Zeit, das Abendessen vorzubereiten. Sie holt die Zutaten für die Eierpfannkuchen aus dem Schrank, die sie den Kindern morgens versprochen hatte, wenn sie sich artig waschen und anziehen lassen. Nachdem die Pfanne heiß genug ist, backt sie den ersten Pfannkuchen. Zwischenzeitlich deckt sie den Tisch und ruft die Kinder. Sarah kommt sofort mit freudiger Miene, doch David ist nicht in Sicht. Sie ruft erneut, doch er scheint lieber weiter an seinem Bild malen zu wollen. Vivian lässt die heiße Pfanne auf dem Herd stehen, während sie in sein Zimmer stapft. Als sie mit David unterm Arm, der sich lautstark mit Händen und Füßen wehrt, zurück in die Küche kommt, sieht sie Rauch aus der Pfanne aufsteigen.

      „So ein Mist!“ Blitzartig lässt Vivian David auf den Fußboden runter, nimmt die Pfanne vom Herd und schmeißt sie in die Spüle. „Jetzt setzt dich bitte hin David, bevor hier noch ein Unglück passiert.“ Ehrfürchtig klettert David auf seinen Stuhl. Während Vivian den schwarzen Teig aus der Pfanne kratzt, tritt Sarah David unter dem Tisch gegen sein Schienbein. Er fängt sofort an zu weinen. Vivian gibt einen kräftigen Schrei von sich und befiehlt beiden sich jetzt ruhig und ordentlich an den Tisch zu setzen. Stillschweigend und mit großen Augen sehen sie ihre Mutter an. Vivian dreht sich zur Pfanne und ist so mit dem Rücken zu den Kindern gerichtet. Sie atmet tief durch und sagt: „Entschuldigt ihr beiden. Ich wollte nicht so laut werden. Seid einfach lieb. Ich mach euch jetzt einen leckeren Pfannkuchen, ok?“

      Beide nicken.

      Als die Pfannkuchen fertig sind, schmiert sich Sarah ganz viel Nutella darauf, dass man sich fragt, welche Schicht nun dicker ist. Die des Teiges oder die der Nutella. Für David schneidet Vivian den Teig in kleine Stücke und gibt ihm den Teller mit einem kleinen Gäbelchen. Freudestrahlend nimmt er die erste Gabel, mit der er sich prompt das ganze Kinn voller Nutella schmiert. Vivian muss schmunzeln als sie die beiden betrachtet.

      Vivian backt noch zwei weitere Pfannkuchen und setzt sich dann zu den beiden. Sie lässt Sarah von ihrem Tag erzählen und das tut sie auch freudig. Sie erzählt vom Kindergarten, mit welchen Freundinnen sie gespielt hat, und welche Jungs sie geärgert haben. Als die beiden mit dem Essen fertig sind, sagt Vivian: „Ihr geht jetzt noch ein paar Minuten spielen, während ich für euch das Badewasser einlasse.“

      Sie räumt noch schnell den Tisch ab und geht ins Badezimmer, um die Wanne zu füllen und die Nachtwäsche zu recht zu legen. Als das Wasser fast fertig eingelaufen ist, ruft Vivian nach den beiden. Sie kommen auch sofort freudestrahlend ins Badezimmer gerannt. Sie führen einen Wettkampf durch, wer von ihnen am schnellsten ausgezogen ist und klettern in die Badewanne. Einen Moment setzt sich Vivian auf den Wannenrand und betrachtet die beiden mit einem Lächeln. Als die zwei sie allerdings nass spritzen, nutzt sie die Gelegenheit und holt sich einen Korb Wäsche, der zusammen gelegt werden muss. Anschließend wäscht sie den beiden – unter großem Geschrei – die Haare und macht sie Bettfertig.