Viktoria Horstbrink

Melodie


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anhören, weiß Vivian. Es tönt auch schon aus der Küche:

      „Wie sieht es denn hier aus?“ Niklas kommt ins Badezimmer und schaut entsetzt. „Ihr seid ja noch gar nicht im Bett.“

      Vivian geht gleich in die Verteidigungsposition „Wie du siehst sind sie kurz davor. Außerdem ist es doch schön, wenn sie ihren Vater auch mal unter der Woche zu Gesicht bekommen!“

      Niklas brummelt noch irgendetwas vor sich hin - Vivian ignoriert ihn einfach. Sie bringt die beiden ins Bett und liest ihnen jeweils eine Gute Nacht Geschichte vor. Als sie zurück ins Wohnzimmer kommt, sieht sie, wie Niklas das Spielzeugchaos beseitigt. „Wann lernen die beiden denn mal in ihren Zimmer zu spielen und ihr Zeug auch dort zu lassen?!“

      Ohne darauf zu antworten geht Vivian in die Küche.

      „Was gibt es denn zu essen? Ich habe heute noch nichts gegessen“, ruft Niklas hinter ihr her.

      So wie du dich aufführst, dürfte ich dir eigentlich gar nichts zu essen machen. Außerdem bin ich auch total fertig und wer kocht mir etwas?, denkt sich Vivian. Sie antwortet stattdessen, „Nudeln.“ Sie wartet auf die Widerworte, weil sie weiß, dass Nudeln nicht zu Niklas Lieblingsessen gehören, aber komischerweise kommt nichts. Stillschweigend bereitet sie das Essen vor und hört wie Niklas den Fernseher im Wohnzimmer einschaltet.

      Als sie beim Essen beieinander sitzen, ist Niklas sehr schweigsam. Vivian beobachtet ihn, aber ihm fällt es nicht auf, da er gedankenverloren die Nudeln von rechts nach links auf seinem Teller schiebt.

      „Wie war denn dein Tag?“, unterbricht Vivian das Schweigen.

      „Es geht“, antwortet er kurz und knapp, ohne von seinem Teller auf zublicken.

      „Meine Präsentation lief übrigens ganz gut, falls es dich interessiert“, schießt es aus ihr heraus.

      „Ach ja, schön. Hast du Erfolg gehabt, ja?“, nun schaut Niklas ihr in die Augen.

      „Ja, ich glaube ich kann zufrieden sein. Herr Lehmann war wie immer er selbst, aber trotzdem lief es sehr gut.“

      Niklas nickt nur, lächelt sie freundlich an und widmet seine Aufmerksamkeit wieder seinem Essen.

      „Und wie läuft dein internationales Projekt? Kommst du gut voran?“

      „Ich komme überhaupt nicht voran“ poltert es aus ihm heraus, „die Abteilungen führen wieder mal einen politischen Krieg. Es ist sehr frustrierend. Erst werden alle Stufen abgesegnet, doch jetzt wo es an die Umsetzung gehen soll, werden noch zusätzliche Punkte zwingender Maßen gewünscht. Nur diese Punkte können einfach nicht implementiert werden. Deswegen ist die ganze Sache wieder beim Vorstand gelandet. Das heißt im Klartext, wir stehen wieder am Anfang.“

      Vivian fragt sich, warum er ihr nicht mehr von seiner Arbeit bei der Bank erzählt. Sie will ihn ansprechen, aber da er seinen Blick wieder von ihr abgewendet hat, isst sie still weiter. Warum vertraut er sich ihr nicht mehr an? Wo sind die Abende geblieben, an denen sie gemeinsam am Tisch saßen, Wein tranken, redeten und lachten? Wann haben sie zum letzten Mal ein Spiel zusammen gespielt, so wie sie es häufig machten? Wohin ist der liebevolle Vater gegangen, der ausgiebig seine Kinder geherzt und geküsst hatte? Der mit ihnen alleine etwas unternahm und sie nicht vor dem Fernseher parkt, so wie er es heute tut?

      Nach dem Essen geht Niklas geradewegs auf die Couch und schaltet den Fernseher wieder ein. Vivian kümmert sich um den Abwasch, die Wäsche, das Online-Banking und sonstige Dinge, zu denen sie tagsüber nicht kommt. Sie sagt sich immer zu, die Beziehung wird wieder besser, wenn die Kinder größer sind. Das ist auch Niklas Kommentar, wenn sie ihn darauf anspricht, dass es so zwischen den beiden einfach nicht weitergehen kann. Aber wie lange soll das noch gehen? Wie lange hält das eine Beziehung aus?, fragt sich Vivian immer wieder. Doch was ist die Alternative? Ihn verlassen? Alleine die beiden Kinder groß ziehen? Ohne ihren Vater? Das will Vivian auf gar keinen Fall! Sie weiß genau, dass die Kinder ihren Vater über alles lieben und das gilt auch im Umkehrschluss für Niklas. Auch wenn er es derzeit leider nicht zeigen kann.

      Nachdem sie alles Nötige erledigt hat, geht Vivian ins Arbeitszimmer und ruft ihre beste Freundin in Los Angeles an. Vivian kennt Pelagia von ihrer gemeinsamen Studienzeit.

      Pelagia, die mit 18 Jahren von einer kleinen griechischen Insel nach Deutschland kam und mittlerweile schon mehr als drei Jahre mit ihrem Mann in Los Angeles lebt, ist Vivians engste Vertraute. Sie telefonieren mindestens einmal die Woche, schicken sich Emails und sehen sich mindestens einmal pro Jahr.

      „Vivian, ich wollte dich auch heute anrufen“, schießt die laute Stimme aus dem Hörer. „Es steht jetzt fest. Ich komme mit Matula und Demitris in zwei Wochen nach Hydra. Wir bleiben sechs Wochen und feiern im August, genau drei Tage nach meinem 30igsten Geburtstag, die Taufe von Demitris. Du musst kommen. Du willst schon so lange meine Heimat kennen lernen, das ist die beste Gelegenheit.“

      „Pelagia, wie stellst du dir das vor? Wir haben jetzt Ende Juni, wie soll ich bitte so kurzfristig Urlaub bekommen und meine Kinder unterbringen? Niklas wird sich bestimmt nicht Urlaub nehmen, um eine Woche lang alleine auf die Kinder aufzupassen. Meine Mutter will ich auch nicht fragen, weil ich sie sowieso dauernd in Beschlag nehme.“ Vivian stöhnt. „Warum macht ihr Griechen alles immer so kurzfristig? Hast du schon mal etwas von einer mittelfristigen Planung gehört?“

      Pelagia muss lachen. „Da spricht wieder die Deutsche in dir. Alles planen bis ins Detail, am besten schon Jahre im Voraus. Tut mir leid, so geht das nun mal bei uns nicht. Ich bin froh, dass ich Aram überreden konnte, mit den Kindern fliegen zu dürfen. Ich habe mit meinem Bruder ausgemacht, die Taufe in seinem Restaurant zu feiern. Mit dem Pfarrer habe ich auch schon gesprochen. Er hat die Taufe fest eingeplant. Wer weiß, wann ich danach wieder nach Europa kommen kann. Ich habe doch geplant ab Herbst arbeiten zu gehen. Dann gibt es erst mal keinen Urlaub. Du kennst doch Amerika und weißt wie das hier läuft. Also, bist du nun dabei oder nicht?“

      Vivian muss erst mal die Flut an Informationen aufnehmen. Natürlich würde sie gern dabei sein. Aber wie soll sie das machen? „Pelagia, ich kann dir jetzt keine Antwort geben. Natürlich wäre ich gerne kommen. Du weißt genau, wie sehr ich mich freuen würde dich wiedersehen und endlich deine Heimat kennen lernen zu können“, gibt Vivian zu. „Gib mir ein paar Tage Zeit darüber nach zu denken. Ich melde mich wieder bei dir.“

      Vivian verbringt noch einige Zeit im Internet, um ein paar Sachen zu erledigen. Unter anderem prüft sie die Flugmöglichkeiten nach Athen. Es würde ihr so gut tun, mal Abstand zu bekommen. Einfach mal raus aus allem. Aber sie kann nicht einfach die Koffer packen und gehen. Sie wird gebraucht.

      Als Vivian die Treppe herunter ins Wohnzimmer kommt, sieht sie, dass die Couch leer ist. Sie macht die kleinen Lichter auf dem weißen Holzregal aus, schüttelt die Kissen des Sofas aus, auf dem Niklas gelegen hat, schaut noch mal in die Kinderzimmer und geht dann ebenfalls ins Bett. Wach liegt sie neben ihren Ehemann, der mit dem Rücken zu ihr gedreht ist und schläft.

      Kapitel 2

      Die Sonne Kaliforniens strahlt durch das Fenster in sein Büro. Jonathan sitzt am Computer und telefoniert mit seinem Manager.

      „Matt, ich weiß, wie wichtig der Fernsehauftritt am 4. Juli ist. Mir brauchst du auch die Bedeutung unseres Unabhängigkeitstages nicht zu erklären. Ich weiß auch, dass sich viele Menschen die Show ansehen werden. Hast du denn jemals erlebt, dass ich irgendwo unvorbereitet aufgetreten bin?“, raunzt er frustriert in den Hörer.

      Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und geht mit der Hand durch seine braunen gewellten Haare. Der Druck wird ihm einfach zu viel. Die vor kurzem beendete Welttournee, die über 10 Monate andauerte, die vielen Interviews und Fernsehauftritte haben ihm viel Kraft gekostet. Und die Anzahl der Termine werden einfach nicht weniger.

      Aber er ist am Ende seiner Kräfte. Er kann auf diesem Niveau, in dieser Frequenz, nicht weitermachen. Die Qualität wird darunter leiden. Tief im Inneren weiß Jonathan das auch, doch will oder kann er es sich nicht eingestehen.

      Er