Axel P. Müller

Rachegold


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Hausverbote in Gaststätten betrachtete er als vernachlässigbar, Kneipen gab es immerhin genügend, in Köln alleine rund viertausend, wie er einmal gelesen hatte. Da fielen die Handvoll Hausverbote nicht ins Gewicht.

      Schlägereien und Gewaltanwendung waren für ihn ein Kavaliersdelikt. Summa Summarum hatte ihn seine Unkontrolliertheit - oder wie viele Leute sagen würden „Jähzorn“ - schon ein kleines Vermögen gekostet. Er kannte die Regeln, Grenzen durften nicht überschritten werden. Dennoch ließen gewisse Situationen seinen Verstand aussetzen, er dachte dann nicht mehr über seine Taten nach, er ließ sich gehen und seine Fäuste ihre Sprache sprechen.

      Petr war mit elterlicher Gewalt schon als Kleinkind konfrontiert worden. Sein Vater war Alkoholiker und hatte wenig geredet. Wenn er mal wieder betrunken nach Hause gekommen war und sein Sohn sich erlaubt hatte, ein wenig zu weinen oder zu quengeln, wurde das Kind aus dem Bett geholt und geschüttelt. Mutter hatte immer größte Mühe gehabt, das Schlimmste zu verhindern, wobei sie meist auch eine ordentliche Portion Schläge einstecken musste. Dieses Umfeld hatte ihn geprägt und gezeigt, dass nur der Stärkere eine Chance im Leben hatte.

      Sein Gebaren hatte er als junger Tscheche, der als Kleinkind bereits im Gepäck seiner Eltern nach Deutschland geflohen war, im sozialen Umfeld der heruntergekommenen Trabantenstadt Chorweiler im Kölner Norden erworben. Die Straße betrachtete er als seine Heimat, innerhalb der Gruppe von Kleinkriminellen fühlte er sich zu Hause. Hier konnte er jemand sein, man erkannte ihn an. Unter türkischen und slawischen arbeitslosen Jugendlichen konnte er Mut und Verachtung der Gesellschaft beweisen. Nicht wie in der Schule, wo er gehänselt, von den Lehrern nicht anerkannt wurde. Wenn dann sein Vater vom Lehrer in die Schule gerufen wurde, um ihn davon zu überzeugen, dem Sohn die Notwendigkeit des Schulbesuches nahezubringen, erschien sein Vater erst gar nicht und bevorzugte das Bier und den Schnaps, die es am Kiosk billig zu kaufen gab. Die Gleichgültigkeit gegenüber seinem Sohn wurde von der Lehrerschaft entsprechend interpretiert: „Wenn du deinen Eltern egal bist, brauchen wir uns auch keine Mühe mit deiner Erziehung zu machen.“ Nach eindringlicher Mahnung durch das Lehrerkollegium ging Petr dann meist ein paar Wochen regelmäßig in die verhasste Lehranstalt, um kurz darauf wieder in den gewohnten Trott zu verfallen. Dies geschah regelmäßig nach schlechten Schulnoten, die ihm prinzipiell gleichgültig waren, er konnte sich nun einmal nicht für die unendlich lange Zeit von mehr als dreißig Minuten konzentrieren. Die Schule für das Leben war in seinen Augen die Straße und nicht dieses steife und humorlose Pauken in diesem städtischen Lehrinstitut.

      Den letzten Schliff seines unsozialen Gebarens erhielt er dann, als er sich bei der französischen Fremdenlegion verdingte. Hier hatte er neben Kämpfen auch rudimentär Fremdsprachen erlernt. Neben Deutsch und Tschechisch konnte er sich in Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch mehr oder weniger gut verständlich machen. Diese Sprachkenntnisse waren für seine jetzige Tätigkeit sehr hilfreich. Er machte regelmäßige Einkaufsfahrten nach England, Spanien, Italien und Ex-Jugoslawien, geliefert wurde dann vornehmlich nach Frankreich, Holland und in die Schweiz. Dort traf er zwar im Allgemeinen auf mehrsprachliche Geschäftspartner, die jedoch gerne den Verkäufer radebrechen ließen.

      Er war nicht sonderlich intelligent, sondern eher gerissen, er hatte sich allzeit mit Gaunereien während und nach seiner erfolglosen Schulzeit über Wasser gehalten. Dabei hatte er sorgsam darauf geachtet, keine Kapitalverbrechen zu begehen, oft war er an Einbrüchen beteiligt, wenn auch immer als Fahrer oder Wächter, nie als aktiver Täter. Mit einigem Glück hatte er es verstanden, seine Abfindung von der Fremdenlegion durch Betrügereien zu mehren. Bei seinen Sparbemühungen war es stets nützlich gewesen, dass er nicht wie die anderen, seinen Legionärssold in Pokerpartien oder in Bordellen verprasste. Im Gegenteil, er war seinen Kameraden immer behilflich gewesen, wenn diese ihre Barschaft in dubiosen Unternehmungen verschleudert hatten, er lieh ihnen dann bis zur nächsten Soldauszahlung Geld zu Wucherzinsen. Die Kameraden waren ihm dann auch noch dankbar gewesen, wenn er ihnen aus der Patsche geholfen hatte und sie sich wieder Schnaps und Tabakwaren kaufen konnten oder sich vergeblich in dem Versuch erproben konnten, den Sold durch Glücksspiele aufzubessern oder sogar zu vervielfachen. Einer seiner Stammkunden stand einmal mit dem Mehrfachen seines Monatssolds in der Kreide und konnte seine monatlichen Zahlungen komplett an Petr abführen, wobei mehr als die Hälfte dieser Zahlung Zinsendienst darstellte. Petr führte genauestens Buch über seine Außenstände und war stets penibel darauf bedacht, das geschuldete Geld auch einzutreiben. Zu diesem Behuf spielte er regelmäßig Kiebitz bei den allabendlichen Pokerpartien. Wenn einer seiner Schuldner dann einmal gewann, stand er sofort in den Startlöchern, um einen erheblichen Teil des Gewinns als Schuldentilgung einzustreichen. Mit den Rücklagen aus seiner Abfindung, den Gewinnen aus Gaunereien und den Wucherzinsen baute er nach seiner Entlassung aus der Fremdenlegion ein Entrümpelungsunternehmen auf, später dann kombiniert mit einem Antiquitätengeschäft, in dem er wertvoll erscheinende Gegenstände aus den Entrümpelungen verkaufte. Mangelnde Sachkenntnisse hatte er durch eifriges Studium der einschlägigen Literatur von Zeit zu Zeit verringert, bei Zweifelsfragen ließ er sich von einem Auktionator beraten. Die Gewinnspanne aus diesen Geschäften war ihm allerdings nicht lukrativ genug erschienen und so kaufte er auch Sore aus Einbrüchen und Überfällen auf, wobei er sorgfältig darauf achtete, dass die Schmuckgegenstände und Kunstobjekte nicht allzu bekannt waren. Er lehnte grundsätzlich jeden Kauf von Gegenständen ab, die von der Polizei als gestohlen veröffentlicht worden waren. Alles, was er aus inoffiziellen Quellen erwarb, verbuchte er als aus Entrümpelungen stammend. Er führte auch für solche Gegenstände genauestens Buch, wobei er bei besonders wertvollen Stücken jeweils einen realen Verkäufer einsetzte, der den kompletten Nachlass an ihn veräußert hatte. Es war nicht selten geschehen, dass die Verkäufer keine Ahnung von dem Wert einzelner Objekte hatten und er in diesen erworbenen Nachlässen wahre Wertstücke entdeckte. Hier scheute er aber auch keine buchhalterischen Tricks bis hin zur Urkundenfälschung. Auf diese Weise hatten ihm die Ordnungsbehörden in Form der Polizei bisher keine Hehlerei oder andere illegalen Aktionen nachweisen können.

      Finanziell ging es ihm seit einigen Jahren gut, so richtig gut, trotzdem verspürte er eine ständige Gier, sein Vermögen zu mehren. Seine Handelsspanne zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis kalkulierte er, wenn eben möglich, mit tausend Prozent: Erwarb er also einen Artikel für zweihundert Euro, verkaufte er ihn für zweitausend Euro. Diese Spanne konnte sich nur durch die Umschlagsgeschwindigkeit ändern. Bei geringer wertigen Gütern setzte er die Spanne auch schon mal noch höher an. Bei Waren, die risikolos gehandelt werden konnten, gab er sich auch gelegentlich mit kleineren Aufschlägen zufrieden. Zu diesen Waren zählten auch die Stücke, die er von dem Sobotka Klan aus Teplice erwarb. Diese Familie steuerte ohnehin in erheblichem Maße zu seinem Vermögen bei.

      Seine Brutalität und seine Angriffslust hatten auch in seinem Gesicht Spuren hinterlassen. Halbwelt und Fremdenlegion waren eben kein Ponyhof, insbesondere, wenn man keinem Konflikt aus dem Wege ging. Er sah muskulös aus und seine Augen waren zu Schlitzen mutiert. Die Falten seines Gesichts entstammten nicht vom Lachen, sondern seiner ungezügelten Lebenswut, Lebenswut auf alles und allen, denen es gut ging, wobei das sich nicht nur auf monetäres Wohlergehen beschränkte. Trotz seines mittlerweile stattlichen Vermögens war er von Grund auf unzufrieden und neidisch, neidisch auf jeden, der nicht am Boden lag. Neid krampfte immer wieder seine Brust zusammen. Neid war in ihm immerzu gegenwärtig, fröhliche und glückliche Menschen hasste er abgrundtief.

      Darüber hinaus freute es ihn, wenn er einen Menschen sah, der eine schlimme Krankheit hatte, er las sogar die Todesanzeigen und stellte mit Befriedigung fest, wenn jemand gestorben war, der wesentlich jünger war als er. Eine Freude bereiteten ihm auch Sätze wie „nach langer schwerer Krankheit ist XY von uns gegangen“. Er hatte noch nie einem Bekannten oder Freund zu etwas gratuliert, sei es zum Geburtstag, zur Hochzeit oder der Geburt eines Kindes. Auch hasste er den seligen Gesichtsausdruck schwangerer Frauen, dieses Mona Lisa Lächeln, er musste dann die Faust in der Tasche ballen, damit er nicht mit einem Schlag den Gesichtsausdruck der Fremden vertrieb. Er schaffte es meist, aber nur, wenn er sich sofort abwendete und gegen etwas trat oder die Faust gegen einen Baum knallte. Den Schmerz oder eine Verletzung nahm er dabei billigend in Kauf.

      Er hatte nie in seinem Leben geliebt, weder eine Frau noch seine Eltern oder Geschwister, also sollten auch nicht andere lieben oder geliebt werden. Liebe war Spinnerei von Esoterikern. Liebe setzte er in seinem Leben gleich mit Sex und der war schnell vorbei.