Axel P. Müller

Rachegold


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gewählt, stimmt schon, aber meine Ausbildung war nicht gut genug für einen besser bezahlten Job. Ohne eine fundierte Ausbildung kannst Du als gutaussehendes Mädchen höchstens in der Gastronomie oder, wenn Du viel Glück hast, in der Fernsehbranche arbeiten. Ich hatte damals ernsthaft geglaubt, als Begleitdame sei es leicht verdientes Geld. Wenn Du jedoch einen Termin mit jemandem hast, den Du nicht kennst, gehst Du schon ein Risiko ein. Wir lehnen auch etliche Kunden ab, ich erkundige mich immer schon vor dem ersten Treffen durch die Blume, welche Praktiken sie bevorzugen. Wenn mir dann die Antwort nicht gefällt, lasse ich mich erst gar nicht mit ihm ein. Andererseits habe ich ein paar Stammkunden, mit denen die Treffen richtig Spaß machen, das sind geschätzte zehn Prozent und den Rest betrachte ich als reine Einnahmequelle. Wobei die Unterhaltungen beim Essen oder in einer Bar mit einigen recht mühsam und langweilig sein können, mit anderen ist das Liebesspiel äußerst einfallslos. Dann bist Du gefordert und es kann in richtige Arbeit ausarten. Die Jungs wollen in jedem Fall auf ihre Kosten kommen, egal wie, selbst wenn sie total betrunken sind. Obwohl, es gibt auch ein paar Kunden, für die ist das Bett überhaupt nicht im Fokus ihrer Wünsche, die wollen nur reden, ihr Herz ausschütten oder vielleicht tanzen gehen. Es würde Dich wahrscheinlich überraschen, wenn Du wüsstest, wie oft wir den Psychotherapeuten spielen müssen.“

      „Ist das für Yvonne genau so oder hat sie andere Erfahrungen gemacht?“

      „Nein, nein, das ist in der ganzen Branche so. Da unterscheidet sich die billige Straßendirne kaum von dem teuren Callgirl. Reine sexuelle Befriedigung suchen noch lange nicht alle Freier. Ich glaube, die Mehrheit sucht neben dem Sexuellen auch das Gespräch. Wie gesagt, oft auch ausschließlich.“

      „Zurück zu Yvonne, ich verstehe ihre Theorie nicht so ganz. Du hast gesagt, sie mag circa zehn Prozent ihrer Kunden, mit denen sie gerne zusammen ist und die sie in Zukunft als elitäres Klientel behalten will, sofern das mit ihrem Goldschatz klappt. Unterstellen wir mal, dass sie aus der Angelegenheit 500.000 oder sogar 1.000.000 Euro herausschlagen würde, davon kann sie nur ein paar Jahre überbrücken, vielleicht zehn oder höchstens zwanzig Jahre. Aber das auch nur als Zubrot zu dem reduzierten Einkommen. Das Geld ist doch bei eurem Lebenswandel schnell aufgebraucht. Ihr seid es gewohnt, mit dem Geld um Euch zu werfen und sparen ist für Euch ein Fremdwort, wenn ich das immer so richtig verstanden habe, was Yvonne mir einmal anvertraut hat.

      Außerdem hat sie mir mal gesagt, dass sie den jetzigen Job nicht ewig ausüben kann, sie müsse auch für ihr Alter vorsorgen. Wenn sie fünfzig Jahre alt ist, kommen die Kunden wahrscheinlich nicht mehr in Scharen. Dann braucht sie unbedingt ein gewisses finanzielles Polster. Ich glaube nicht, dass sie in die Rentenkasse einzahlt, also wird sie auch nichts aus dieser Kasse bekommen, maximal das Minimum nach dem Armenrecht oder wie sich das heute nennt. Also, lange Rede, kurzer Sinn: Das Geld wird nicht bis an ihr Lebensende reichen und das würde aus heutiger Sicht bedeuten, dass sie im Alter total verarmt. Es sei denn, sie übt ihren Beruf so lange aus, bis es nicht mehr geht und greift erst dann ihre Ersparnisse an. Oder ist das bei Dir anders?“

      Chantal zögerte mit ihrer Antwort. „Eigentlich hast Du recht, an Altersversorgung oder Rücklagen für schlechtere Zeiten, denkt in unserer Branche kein Mensch. Die meisten Mädchen sagen sich, wenn du Geld brauchst, arbeite, manchmal auch ein bisschen mehr, wenn du viel Geld brauchst, arbeite viel. Andererseits ist es dumm, das weiß ich auch. Wir können den gut bezahlten Job bis fünfunddreißig, maximal bis vierzig ausüben, danach gehen die Einkünfte rapide nach unten. Irgendwann müssen wir uns etwas Anderes suchen, eine Boutique eröffnen oder ein Sonnenstudio. Wenn eine der Damen den Absprung verpasst, kann sie nur noch im Dunkeln arbeiten, damit man ihre Falten nicht sieht. Ich kenne sogar ein paar Kolleginnen, die müssen auf Grund ihres Alters für weniger als fünfzig Euro im Auto aktiv werden, weil sie schlichtweg Hunger haben und die Miete fällig wird. Dabei haben sie früher in Saus und Braus gelebt, haben teure Autos gefahren und ihr Geld in den besten Boutiquen verschleudert. Von den üppigen Unterhaltszahlungen an Zuhälter oder sonstige Schutzheilige will ich gar nicht reden.“

      Andreas lachte trocken auf. „Das mit der begrenzten Karrierezeit ist wahrscheinlich die einzige Parallele, die ihr mit Fußballspielern und anderen Sportlern habt. Allerdings verdienen die heutzutage unvorstellbare Geldsummen, sogar noch mehr als die Escort Damen. Die bekommen ihr Geld, ob sie Leistung bringen oder nicht. Nun gut, man kann auch bescheidenere Wege gehen. Also, wenn Du Yvonne sprechen solltest, sag ihr bitte, sie möchte mich mal anrufen, ich habe noch ein paar Fragen zu dem Brief.“

      „Gut, wird erledigt, versprochen. Mit ihr sind das immer die angenehmsten Pausen. Sie wohnt zwar hier in einer anderen Etage, aber ich werde versuchen einen Kaffee mit ihr zu trinken, der ist übrigens Klasse, den solltest Du mal probieren.“

      „Du wirst lachen, ich kenne nicht nur Yvonne sehr gut, sondern auch ihre Espressomaschine und ihren vorzüglichen Kaffee. Ich kann Dir aber auch ein intimes Geheimnis von ihr verraten, das sind nicht ihre einzigen Vorzüge, glaub mir. Nebenbei, ich bin Übermorgen ohnehin bei ihr, wenn Du sie heute nicht sprechen solltest, wäre das kein Problem, dann spreche ich sie direkt auf den geheimnisvollen Brief an.“

      Kapitel 6

      Petr Stádnik saß mit seinem Geschäftsfreund Ludvik Grusa zusammen in der Hotelbar des Maritim Hotels am Heumarkt, mitten in Köln. Etliche Leute umrundeten den Tresen, darunter auch einige Damen, nicht nur paarweise, sondern auch vereinzelt ohne Begleitung. Die geschwungene Theke nahm trotz ihrer Verwindungen eine grobe U-Form ein und schwang sich durch die Hälfte des abgedunkelten Raumes. Ob die Damen, die dort vor bunten großen Cocktailgläsern hockten und jede Bewegung in der Lokalität genau beobachteten, auf einen Tänzer warteten oder der mittelmäßigen Bandmusik lauschen wollten oder simpel auf Freiersuche waren, konnte der neutrale Beobachter nicht ausmachen. Der einzige Anhaltspunkt für die Absichten der Bargäste waren die mehr oder weniger schreienden Gesichtsmalereien und die Blickrichtungen der Damen. Die Schminke mancher Frauen war derart auffällig, dass man an das misslungene Werk einer Klasse von Kosmetikschülerinnen glauben konnte. Die aufgeklebten Wimpern schienen ein Gewicht zu haben, dass die Trägerinnen wohl Mühe hatten, die Augenlider geöffnet zu halten. Der so genannte Schlafzimmerblick herrschte vor.

      Petr flegelte sich breitbeinig auf seinem Barhocker, dass man glauben mochte er könne jeden Moment das Gleichgewicht verlieren. Sein Sonnenstudio gebräuntes Gesicht, umrahmt von grau melierten strähnigen Haaren, war seinem Nebenmann zugewandt, obwohl seine rastlosen Augen jede Bewegung in der Umgebung wahrnahmen. Vor ihm stand ein Dry Martini Cocktail, Ludvik hatte einen übergroßen Gin Tonic bevorzugt. Dass es nicht die ersten Getränke des Abends waren, sah man an den abgenagten Olivenkernen auf Petrs dunkelrotem Untersetzer, die Oliven sollten den Barkunden vorgaukeln, es handele sich um ein äußerst gesundes Getränk. Nach diesem Irrglauben war der Vitaminhaushalt für die nächsten Tage gerettet.

      Petr erzählte seinem Freund sichtlich amüsiert eine Begebenheit der jüngeren Art. „Du kennst doch meinen langjährigen Lieferanten aus Teplice, Jáchim Sobotka? Ich meine, ich hätte ihn Dir einmal in meinem Laden vorgestellt.“

      „Ja, ich erinnere mich, würde ihn aber wahrscheinlich nicht wiedererkennen. Du hast auch schon gelegentlich von ihm gesprochen. Der beliefert Dich doch mit Antiquitäten und alten Schmuckstücken, wenn ich mich recht erinnere.“

      „Genau der, der hatte vor ein paar Tagen wieder eine größere Lieferung für mich. Der ist ja so doof, der kann unmöglich der Sohn seines Vaters sein.“

      Petr klopfte sich dabei laut lachend auf den Oberschenkel.

      „Der Alte ist ja mit allen Wassern gewaschen, ein richtig cleveres Kerlchen. Aber der Sohn beherrscht nicht mal die einfachsten Sachen. Ich glaube, der würde drei mal drei in seinen Taschenrechner eintippen und sich dann noch über das Ergebnis wundern.“

      „Das verstehe ich nicht, Dir sollte doch eigentlich egal sein, wie intelligent der ist, die Hauptsache ist doch, dass Du gute Geschäfte mit ihm machen kannst. Je dümmer der Kerl ist, desto besser kannst Du ihn doch beschummeln und das machst Du doch leidenschaftlich gerne, wie Du mir schon oft genug berichtet hast.“

      Petr Stadnik schlug seinem Nebenmann auf die Schulter und lachte dröhnend, dass trotz der ziemlich lauten Musik die Thekennachbarn aufmerksam