Eva Pflüger

Der Coach


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T-Shirt, eher eine Verkleidung, die Werbeleute als Erkennungszeichen für sich beanspruchen, aber ich fühle mich wohl darin, auch wenn ich nicht zu dieser Spezies gehöre. Die eleganten schwarzen Schnürschuhe waren mein Zugeständnis an die Zwänge der Businessmode. Sie sahen an diesem, und ich fürchte auch an jedem anderen Tag in meinem Leben aus, als habe ich in aller Eile versucht, ihnen mit Papiertaschentuch und Spucke zu etwas Glanz zu verhelfen. Meinen Schuhschrank füllt eine ganze Armada von bequemen Tretern. Nur die Tatsache, dass derartiges Schuhwerk bei meiner Klientel als Karrierebremse gilt, hält mich davon ab, auch bei geschäftlichen Anlässen die bequeme Variante zu wählen.

      Zurück zu der Anekdote aus meinen Anfängen als Coach. Das Vorturnen vor den Managern des Daxunternehmens war hervorragend gelaufen. Noch nach Jahren erinnere ich mich an die sechs fahlgrauen Einreiher und die farbenfrohe Kopie eines Chanelkostüms auf langen Beinen, die mir als Coach allesamt hohe Kompetenz attestierten und daher umso mehr bedauerten, dass ich dem Topmanagement nicht zu vermitteln sei. Ich müsse verstehen, das lässige Outfit, die fehlende Krawatte. Mein Verständnis hatte sich in Grenzen gehalten. Hätte man mich um meine Einschätzung gebeten, was natürlich niemand tat, hätte ich die versammelten Leistungsträger darüber aufgeklärt, dass ich ihre Begründung für außerordentlich inkompetent hielt. Sie hatten den aufflackernden Zorn in meinen Augen nicht wahrgenommen, während ich jenes Haifischgrinsen erwiderte, das mir von der anderen Seite des Tisches entgegen blitzte und das ich so sehr verabscheute. Mit aufreizend langsamen Bewegungen hatte ich meine Papiere eingesammelt, in die Innentasche meines Mantels gestopft und den Saal mit ein paar höflichen Floskeln zum Abschied verlassen.

      Während meine Gedanken an diesem Freitagabend weiter ungeordnet durch mein Hirn kreisen, muss ich, ohne es registriert zu haben, die Schreibtischlampe eingeschaltet, den Computer hochgefahren und Outlook gestartet haben. Außerdem ist die Rotweinflasche leer. Ich brauche Nachschub und etwas zu essen. Schlurfe wieder in die Küche und prüfe meine beachtlichen Weinbestände. Ich entscheide mich für einen Tempranillo, belade einen Teller mit Baguette und Käse sowie einem geschälten Apfel als Zugeständnis an eine wenigstens ansatzweise ausgewogene Ernährung.

      Das alles trage ich zu meinem Schreibtisch, auf dem das gleiche Chaos herrscht wie augenblicklich in meinem Kopf. Der neugierige Betrachter kann unter der beständig wachsenden Papierflut die ganze Pracht des edlen, drei Meter breiten Empiremöbels nur erahnen. Das Chaos ist Ausdruck meiner unbezähmbaren Sucht, alles wissen und verstehen zu wollen. Besser zu sein als alle anderen.

      Ein Blick auf den Outlook-Kalender lässt meine Befürchtung zur Gewissheit werden. Auf das Wochenende folgt wieder mal ein Montagnachmittag mit Mutter. Den Abend werde ich dann damit verbringen, den Abschlussreport für einen Klienten zu schreiben. Ich erinnere mich noch sehr präzise an dessen ersten Auftritt, obwohl seitdem mehr als 18 Monate vergangen sind.

      Ein stark übergewichtiger Mann war mit raumgreifenden, zu allem entschlossenen Managerschritten, die vermutlich Entscheidungsfreude und Führungsanspruch signalisieren sollten, in meine Wohnung gestürmt. Obwohl er den Fahrstuhl in das dritte Obergeschoss genommen hatte, stand er nach Luft japsend vor mir. Er hatte sich telefonisch zu einem Vorgespräch angemeldet und teilte mir ohne Umwege über höfliche Konversation und mit seiner Kurzatmigkeit ringend mit, was der Grund seines Besuches sei. Er wolle seinen nächsten Karriereschritt in Angriff nehmen, wie er sich ausdrückte, und sich dabei von mir beraten lassen. Ich sei ihm empfohlen worden.

      Hätte ich mich damals von meinem ersten Impuls und den wenig wertschätzenden Schlussfolgerungen leiten lassen, hätte der potenzielle Kunde, da bin ich sicher, dankend auf meine Dienste verzichtet. Wenn der Mann nicht bereit sein würde, seine Selbstwahrnehmung kritisch zu hinterfragen und in der Konsequenz seinen zweifellos ungesunden Lebensstil radikal zu ändern, wäre es mit der Karriere sehr schnell und vermutlich dauerhaft vorbei. Diese Gedanken behielt ich erst einmal für mich und besann mich auf meine Talente als empathischer Profi.

      Die Geschichte, die ich zu hören bekam, nachdem der Besucher seine mehr als hundert Kilo zu meiner Verblüffung auf dem zierlichsten Stuhl platziert hatte, der in dem Coachingraum zu finden war, glich einem Parforceritt durch eine Welt gnadenloser Selbstausbeutung. Um die atemlose Jagd zu stoppen, nutzte ich eine Unterbrechung seines Vortrags, in der mein Besucher mit hochrotem Kopf nach Luft schnappte.

      „Lassen Sie uns eine kurze Pause machen“, bat ich ihn, „ich denke, ein Wasser wäre jetzt gut.“

      „Danke, ich brauche nichts.“

      „Ich schon. Bin gleich wieder bei Ihnen.“

      Er warf einen Blick auf seine Uhr. Ich ließ mir Zeit. Als ich mit einer Karaffe und Gläsern zurückkehrte, stand er am Fenster und starrte gebannt auf sein I-Phone. Noch ein Blick auf die Uhr, dann setzte er sich wieder, schaute mich mit einer steilen Unmutsfalte zwischen den Augen an. Ich betrachtete meinen Gast. Auftritte dieser Art gehörten so zuverlässig zum Standardrepertoire mancher gestresster Manager wie drittklassige Schauspieler in eine Daily Soap. In solchen Momenten fühlte ich mich stets ein wenig traurig, gleichzeitig waren sie die implizite Aufforderung an mich selbst, mich mit aller Aufmerksamkeit und Professionalität meinen Gesprächspartnern zuzuwenden.

      Ich trank einen Schluck Wasser. Mein Besucher ergriff ebenfalls das Glas, das ich vor ihn hingestellt hatte und leerte es.

      „Ich habe Ihr Anliegen gehört und fasse zusammen, was ich verstanden habe“, nahm ich den Faden wieder auf. „Sie wollen den nächsten Schritt in Ihrer Karriere planen und wünschen sich professionelle Unterstützung auf ihrem Weg. Bevor ich Ihnen meine Arbeitsweise erläutere und Ihnen etwas erzähle zu meinem Rollenverständnis als Coach und den Erwartungen, die ich an meine Klienten habe, würde ich Ihnen gerne eine Rückmeldung darüber geben, was mir durch den Kopf gegangen ist, während ich Ihnen zugehört habe.“

      Der Besucher schaute mich mit großen Augen an. Verschränkte die Arme. Schaute auf sein Glas. Ich folgte der nonverbalen Aufforderung und füllte es erneut mit Wasser.

      „Möchten Sie das hören?“

      Er trank einen Schluck, platzierte die Arme erneut vor der Brust.

      „Ja natürlich, deswegen bin ich ja hier.“

      „Ich bin sehr beeindruckt“, leitete ich meinen Kommentar ein, „von den enormen Herausforderungen, die Sie ganz offenkundig in Ihrer Position zu bewältigen haben. Mehr noch beeindruckt mich die Power, die Sie ausstrahlen.“

      Pause. Ich nahm einen Schluck Wasser.

      „Darf ich Sie fragen, was Sie derzeit tun, um für diese Belastungen einen Ausgleich zu schaffen, der Sie in der Balance hält?“

      Mein Besucher schwieg und betrachtete seine Hände, ergriff dann das I-Phone, das er auf dem Tisch platziert hatte und ließ es in seiner Jackentasche verschwinden. Ich wartete.

      „Also, ich gehe gerne zum Joggen, so zwei-, dreimal die Woche.“

      Ich war überrascht.

      „Allerdings komme ich derzeit nicht dazu.“

      „Gibt es noch etwas, wobei Sie entspannen können?“

      „Surfen.“

      Ich hatte gerade beschlossen, die Kiste meiner übereilt gefassten Vorannahmen ordentlich auszumisten, als mein Gast fortfuhr. „Im Internet meine ich. Das Surfen!“

      Ich goss uns Wasser nach.

      „Leider ist meine Frau davon nicht so begeistert.“

      „Wann surfen Sie denn? Gleich, nachdem Sie nach Hause gekommen sind?“

      „Nein, zuerst muss ich mal runterkommen von meinem Stresspegel.“

      Ich lächelte den Manager erwartungsvoll an. Seine Augen flatterten durch den Raum, fanden Halt an dem Sofa, das in seinem Blickfeld an der gegenüberliegenden Wand stand.

      „Wenn ich nach Hause komme, bringe ich meinen Sohn zu Bett und höre mir an, was er zu berichten hat. Dieses Ritual lasse ich mir nicht nehmen.“ Er presste die Lippen aufeinander, räusperte sich, prüfte den tadellosen Sitz seiner Krawatte. „Dazu gönne ich mir ein, zwei Gläser Wein.“