Eva Pflüger

Der Coach


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dieser unerwartet offenen Schilderung des abendlichen Entspannungsprogramms, wir kannten uns gerade mal eine Stunde, wirkte der Besucher eine Spur gelassener als zu Beginn, und ich hatte genug gehört, um später eine Entscheidung darüber treffen zu können, ob ich mit dem Mann arbeiten wollte.

      Ich gab ihm die angekündigten Informationen zu den verschiedenen Stadien eines Coachingprozesses, meinen Methoden, unserem formalen und psychologischen Vertrag und wir verabredeten eine Bedenkzeit von einer Woche für beide Seiten.

      Nachdem der Manager gegangen war, hatte ich ziemlich genervt die Fenster aufgerissen, um den Tabakgeruch loszuwerden, den er mitgebracht hatte. Ich war nicht sicher, ob ich diesen Kunden wirklich haben wollte. Als es zu einem Vertrag kam, verlegte ich die ersten Sitzungen während des Spätsommers kurzerhand ins Freie und sorgte für Bewegung im Görlitzer Park. Eine ebenso elegante wie sinnstiftende Lösung für die Arbeit mit einem Kandidaten, der auf dem besten Weg war, durch seinen ungesunden Lebensstil in rasantem Tempo das endgültige Aus für seine Karriere anzusteuern.

      Nach anderthalb Jahren Arbeit am kommenden Abend den Abschlussreport zu schreiben, würde das reinste Vergnügen werden. Ich werfe einen Blick auf den ausgedruckten Feedbackbogen, den ich am Montagabend bearbeiten will. Die Bewertung ist ausgezeichnet, alles hatte gestimmt für den Kunden, die Rahmenbedingungen wie Ort und Dauer der Sitzungen, die Methoden und Instrumente ebenso wie die erlebten Änderungen des eigenen Verhaltens sowie die positiven Feedbacks aus dem Umfeld. Die Beurteilung des Beitrags, den der Coach geleistet hatte, konnte aus Sicht des Managers nicht besser sein.

      Mit einem zweiten Glas Tempranillo in der einen und einem weiteren Käsebrot in der anderen Hand war ich meinen Erinnerungen in den Beratungsraum gefolgt. Er ist, wie die gesamte Wohnung, sehr minimalistisch möbliert. Ein Paradies für Putzfrauen. Und meine Putzfrau ist eine Fee, die zaubern kann. Ich habe Frau Plönzke am Kiosk ganz in meiner Nähe entdeckt. Sie ist die Schwester meiner Zeitungsfrau. Jeden Montag, seit fünf Jahren, widmet sie sich mit Hingabe den 180 Quadratmetern, die ich bewohne. Es gab nie den geringsten Anlass für Kritik. Was ich mich allerdings immer wieder frage ist, wie eine so unfassbar dicke Fee wie Frau Plönzke es schafft, auch in Ecken und Winkeln, hinter und unter Schränken und Betten, einfach überall für tadellose Sauberkeit zu sorgen. Ich traue mich nicht, sie danach zu fragen.

      „Morgen, Doktor“. Diese Begrüßung, genau genommen klingt es mehr nach „Morjen, Dokta“, ist höchst kurios, denn der Tag ist bereits fortgeschritten, wenn Frau Plönzke kommt und ich verfüge nicht über einen Doktortitel. Darüber habe ich sie mehrmals aufgeklärt, aber sie ignoriert das konsequent. Wie sie mir erzählte, arbeitet sie ausnahmslos für Männer in Singlehaushalten, und ich fantasiere, dass sie allen Kunden einen akademischen Titel verpasst. Nach dem Motto „Man kann ja nie wissen.“ Ich verstehe es auch weniger als Begrüßung, es ist eher die Aufforderung an mich, jetzt zu verschwinden. Bis ich die Türklinke in der Hand habe, rührt die dicke Fee jedenfalls ihre Putzutensilien nicht an. Vielmehr ordnen ihre üppig beringten Finger vor dem großen Spiegel in der Diele die wasserstoffgebleichten Haare zu einer Art Brigitte-Bardot-Hochfrisur im Stil der längst vergangenen 60er Jahre.

      Der Beratungsraum ist der größte und hellste in meiner Wohnung, mit zwei hohen Fenstern zur Straße, stuckverzierter Decke und einer wunderbaren, fachmännisch restaurierten Flügeltür, durch die ich mein Arbeitszimmer erreiche. Der Besucher, der den Raum von der Diele aus betritt, geht vorbei an einem ovalen Tisch, an dem bis zu sechs Menschen auf einladenden Stühlen mit Armlehnen und weichen Ledersitzen Platz finden. Zwei riesige Bananenpflanzen und ein mehr als zwei Meter hoher Kaffeestrauch trennen diesen Bereich von dem Teil des Raumes, in dem ich die Gespräche mit den Coachingkunden führe. In zwei weißen Schränken bewahre ich Arbeitsmaterial auf, vor den Fenstern steht ein kleinerer runder Holztisch. Wenige Gemälde, überwiegend in einer Palette variierender Weißtöne, hängen an weißen Wänden. Eines der Bilder zieht die Aufmerksamkeit aller Klienten an. Ein wunderschöner Frauenkörper, vor weißem Hintergrund auf einem weiß lasierten Balken balancierend. Eine mit einem feinen dunklen Strich angedeutete Stange in ihren Händen gibt ihr Halt. Die Betrachter wollen wissen, wer der Künstler ist. Nur eine Klientin fragte: „Wer ist diese Frau?“ Mein Lieblingsbild. Mir erzählt es eine Geschichte von Hingabe und Verlust, von Stärke und Zerbrechlichkeit.

      Weiß sind Decke und Parkett, dazwischen Farbinseln im üppigen Grün der Pflanzen und den warmen Holztönen der Tische und Stühle. In dieser Umgebung kann ich mich hervorragend auf meine Besucher konzentrieren.

      An einer der Seitenwände habe ich fünf Stühle aufgestellt, die sich in Form, Material und Entstehungsjahr voneinander unterscheiden. Jeder Gast wird gebeten, den Stuhl zu wählen, der ihn am meisten anspricht und ihn an dem runden Tisch dort zu platzieren, wo er sitzen möchte. Wenn ich bemerke, dass der Blick eines Besuchers auf das cremeweiße Sofa fällt, das an der Wand gegenüber zum Ausruhen verführt und wenn er dann diese Richtung ansteuert, teile ich ihm mit, dass der Platz nicht zur Wahl steht. Ich ergänze freundlich, dass Coaching harte Arbeit ist und kein Small Talk. Meine Hypothese ist, dass Besucher, die sich auf dem Sofa niederlassen möchten, zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich daran interessiert sind, in ihrem Leben etwas zu ändern oder an ihrer Zukunft zu arbeiten. Für meine Entscheidung, ob ich einen Klienten annehme oder nicht, spielt diese Abwägung eine wesentliche Rolle. Ich bin in der komfortablen Lage, Aufträge ablehnen zu können. Die Besucher akzeptieren die verbotene Zone. In all den Jahren gab es nur eine Ausnahme.

      Ich kehre an meinen Schreibtisch zurück, ohne nochmals einen Blick in den Spiegel zu werfen. Ich weiß, welcher Anblick mich erwartet. Das will ich jetzt nicht sehen. Martha hatte in der vergangenen Nacht angekündet, nach ihrer Rückkehr für uns beide Personal Trainer zu suchen, ob ich wolle oder nicht. Meinen Einwand, dass ich seit langem meine persönliche Trainerin gefunden habe, ordnete sie empört der Kategorie blödester Kalauer zu, der eines austrainierten Linksintellektuellen nicht würdig sei. Um dann mit lasziver Stimme vorzuschlagen, man könne es ja trotzdem mangels anderer Alternativen mal versuchen. Der Versuch endete auf meinem antiken Schreibtisch.

      Ich lenke meinen Blick wieder auf den Terminkalender. Der erste Eintrag für den kommenden Montag, 2. Mai, 11 Uhr Frau Bastian, lässt den drohenden Besuch bei meiner Mutter wie einen Spaziergang in der Frühlingssonne erscheinen.

      

      Kapitel 3

      Petra Bastian, seit Herbst vergangenen Jahres meine Klientin, ist ohne jeden Zweifel meine schwierigste Kundin. Das ist eine ziemlich ungerechte Bewertung einer Situation, die alleine ich zu verantworten habe. Ich hätte diesen Kontrakt niemals eingehen dürfen. Eine Korrektur meiner damaligen Entscheidung ist unvermeidlich, wenn das bevorstehende Gespräch den Coachingprozess nicht in eine andere Richtung lenkt.

      Das Unternehmen, in dem Petra Bastian zum obersten Management gehört, sie leitet den Marketingbereich der Leonardo Verlagsgruppe in Berlin und sitzt im Vorstand, berate ich schon seit ein paar Jahren. Frau Bastian hatte ich ein paar Mal gesehen, aber nie ein Wort mit ihr gewechselt. Im Herbst 2010 sprach mich der damalige Vorstandsvorsitzende an mit der Bitte, doch einmal ein Gespräch mit seiner Marketingleiterin zu führen. Er habe den Eindruck, dass sie Unterstützung brauchen könne. Sie habe selbst etwas in dieser Richtung angedeutet und sie wolle möglichst rasch einen Termin haben. Das klang alles andere als exotisch, der übliche Einstieg. Ich machte Frau Bastian den Vorschlag, den ich allen potenziellen Kunden mache, das Erstgespräch in einem der Besprechungsräume des Unternehmens zu führen. Das lehnte sie ab und bestand darauf, in meine Praxis zu kommen. Der Anflug von Ärger, den ich verspürte und mein anschließender Kurztrip in die Niederungen der Küchenpsychologie brachte die wenig originelle Erkenntnis, dass diese Frau wohl unbedingt die Kontrolle behalten wollte und ich, trotz fortgeschrittenen Alters, in meinem Narzissmus leicht zu provozieren war.

      Einige Tage nach unserem Telefonat betrat die Verlagmanagerin meinen Beratungsraum. Nach einer businessmäßig glatten Begrüßung einschließlich einiger Floskeln über das Lebensgefühl in Berlin Mitte, der dann folgenden Wahl eines Stuhls mit Armlehnen und dem Übereinanderschlagen langer Beine in einem nicht zu kurzen Rock saß mir die Besucherin an dem kleinen runden Tisch gegenüber.

      Und sagte kein einziges Wort. Heinrich Böll, Roman einer