Ursula Tintelnot

Faith und Richard


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alle auf einmal. Ich hatte befohlen, mich nicht zu stören. Also was gibt es so Wichtiges.“

      „Die Herrscherin ist wieder da.“

      Nicht schon wieder. Sie hatte genug.

      Die Reifen, wie hier die Alten genannt wurden, bewohnten einen Flügel ihres Palastes, den Annabelle so gut wie nie betrat. Und dort sollten sie bleiben. Stattdessen trieben sie sich neuerdings überall herum.

      Sie wollte diese alten Feen nicht sehen, die seit dem Brand, den Leathan gelegt hatte, hier lebten. Sie lehnte alles ab, was nicht ihren Vorstellungen von Schönheit und Jugend entsprach. Aber die Reifen blieben nicht unsichtbar in ihrem Flügel, wie sie es wünschte. Und sie konnte nichts dagegen tun.

      „Erstens ist Cybill nicht mehr die Herrscherin. Zweitens interessiert mich nicht, dass sie wieder da ist.“

      „Aber sie will dich sprechen.“

      Wütend fuhr Annabelle die Lulabellen an. „Sagt ihr, ich habe zu tun und jetzt raus hier.“

      „Charmant wie immer. Du solltest mich lieber anhören.“

      Die alte Herrscherin hatte nichts von ihrer Würde verloren. Sie mochte alt sein, aber immer noch hatte sie etwas Achtungsgebietendes, dem auch Annabelle sich nicht entziehen konnte.

      Jetzt stand Cybill kerzengerade in der Tür. Die Sonnenstrahlen ließen ihr dichtes schlohweißes Haar wie einen Strahlenkranz leuchten. Die grünen lebendigen Augen brannten dunkel und machten Annabelles Abwehr zunichte.

      Sie ergab sich. „Also, was willst du.“

      Die alte Herrscherin setzte sich unaufgefordert.

      Annabelle wand sich innerlich. Sie wusste wie unhöflich es war, Cybill keinen Platz angeboten zu haben. Andererseits hatte sie es ganz bewusst nicht getan. Sie wollte das Gespräch so kurz wie möglich halten.

      „Annabelle“, begann die Alte, „ich bin zwar alt, aber ich bin nicht dumm. Und ich sehe, dass wir alle, alle Bewohner der Anderswelt ein Problem haben werden, wenn die grüne Muschel deinen Zwillingsbruder wieder ausspeit.“

      Sie lächelte spöttisch. „Du wirst die Erste sein, die seine Rache zu spüren bekommt. Seine Begeisterung, von dir in die Muschel gestoßen worden zu sein, wird sich in Grenzen halten.“

      Annabelle machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber Cybill ließ sie nicht zu Wort kommen.

      Gebieterisch hob sie die Hand. „Lass mich ausreden. Du musst einen Weg finden, deinen Bruder im Zaum zu halten.“

      „Wie stellst du dir das vor? Leathan ist ignorant und stur. Er ist der verzogene Sohn seiner Mutter. Maia ist mit ihm in sein Land gezogen, nachdem er den alten Herrschersitz in Schutt und Asche gelegt hat, obwohl auch sie dabei fast zu Tode gekommen wäre.“

      Cybill beobachtete Annabelle sehr genau, als sie sprach. Da saß eine aufgebrachte aber offensichtlich auch traurige Frau vor ihr, die es nicht ertrug, dass der Bruder ihr vorgezogen wurde. Wie abhängig wir doch ein Leben lang von der Zuneigung und Liebe unserer Umgebung sind, dachte Cybill.

      Annabelle machte normalerweise einen unabhängigen, geradezu gefühlskalten Eindruck. Das was sie jetzt aus ihren Worten heraushörte, sagte ihr etwas ganz Anderes. “Ich kann sehr wohl auf mich selbst aufpassen und was die Anderen angeht, jeder ist sich selbst der Nächste.“

      Da war sie wieder die alte Annabelle, anmaßend und gefühllos.

      Annabelle ärgerte sich über sich selbst. Was ging es die Alte an, wie sie über Maia und Leathan dachte. Sie hatte schon viel zu viel gesagt.

      „Und nun lass mich allein, es gibt Wichtigeres für mich. Ich bin noch immer mit meinem Bruder fertig geworden. Solange er in der Muschel sitzt“, sie lachte gehässig, „besteht kein Anlass etwas zu unternehmen.“

      Cybill erhob sich. „Er wird nicht mehr lange dort eingeschlossen sein. Er tötet die Fische und andere Lebewesen. Odine verlangt, dass er das Neue Meer verlässt. Sie hat Magalie um Hilfe gebeten. Die Nixen sind alleine nicht imstande, die Muschel zu öffnen.“ Damit begab sich die alte Herrscherin zur Tür.

      „Dort bist du also gewesen, bei Magalie.“

      „Ich war bei den Grotten. Ich wollte den Mann sehen, den meine Tochter liebt.“

      „Deine Tochter?“

      „Magalie ist meine Tochter.“ Amüsiert betrachtete Cybill Annabelles Mienenspiel, das von Fassungslosigkeit zu Verstehen und dann zu blinder Wut wechselte.

      „Deswegen also diese Prophezeiung. Faith sollte die Macht für Magalie sichern. Sie war immer als deine Nachfolgerin vorgesehen? War das so? Weder Leathan noch ich sollten jemals eine Chance bekommen?“

      „Annabelle, ich habe immer gehofft, dass weder du noch Leathan meine Nachfolger werden würdet. Mit dieser Hoffnung stand ich aber nicht allein. Selbst euer eigener Vater, der alte Herrscher, und Maia, eure Mutter, hielten euch für zu egozentrisch, zu gierig. Wenn man nicht imstande ist sich selbst zurückzunehmen, sich nicht für den Nabel der Welt zu halten, kann man keine Verantwortung für andere übernehmen. Das ist der Grund, weshalb ich die beiden Teile des magischen Medaillons getrennt versteckt habe. Denn wer es besitzt und seinen Zauber entdeckt, hat die größte Macht in der Anderswelt. Magalie war damals noch zu jung, um die Macht zu übernehmen.”

      „Zwei Teile?“ Annabelles Augenbrauen fuhren in die Höhe. Ihr Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

      „Das Zeichen der Macht besteht aus zwei Teilen. Eines der Teile hat dein Bruder in der Festung gefunden, im Glauben es sei vollständig. Das Andere war immer ganz in deiner Nähe.“

      „In meiner Nähe?“

      Wie ein Papagei wiederholte Annabelle alles, was Cybill ihr zu erklären versuchte.

      Die alte Herrscherin zeigte auf die beiden wunderschön gearbeiteten Jadefiguren, die auf einem Podest aus purem Gold standen.

      „Ohne das kleine Medaillon, das einst um den Hals dieser männlichen Jadefigur hing, war das Kleinod, das dein Bruder trug, unvollständig und weniger mächtig. Wenn ihr beide nicht in ständiger Feindschaft gelebt hättet, wäre es möglich gewesen, die beiden Teile zusammenzufügen. Das war die Chance für euch, die einzige.“

      „Es ist mit Robert verschwunden.“

      Cybill drehte sich um und verließ eilig den Raum. Sie musste das Lachen unterdrücken, als ihr einfiel, was Magalie ihr erzählt hatte.

      Robert hatte das kleine Medaillon tatsächlich in Gedanken eingesteckt. Oskar hatte es ihm gestohlen, bevor er es wieder zurückbringen konnte. Und Oskar war es auch, der es Magalie „geschenkt“ hatte.

      Sie lachte wieder. Diese Glitter, nichts war vor ihnen sicher. Sie waren begnadete Diebe. Es lag ihnen im Blut zu stehlen. Was sie erbeutet hatten, gaben sie bereitwillig wieder her oder verschenkten es. Diesen grünen Elfen ging es nur um das Vergnügen, sich zu nehmen, was ihnen nicht gehörte, besitzen wollten sie nichts.

      Annabelle sah wie Cybill mit zuckenden Schultern den Raum verließ. Lachte diese alte Frau etwa über sie? In ohnmächtiger Wut blieb sie zurück.

      Verschwendete Zeit.

      Wäre ihr Bruder bei ihr willkommen gewesen, hätte er ihr Medaillon als Teil seines Eigenen erkannt. Dann wäre es vielleicht möglich gewesen, sich die Macht zu teilen, wie es eigentlich vorgesehen war.

      Jahrhundertelang hatte es immer zwei Herrscher gegeben. Jetzt besaß Magalie die Macht alleine. Wen würde sie bitten, sie mit ihr zu teilen?

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