Ursula Tintelnot

Faith und Richard


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auf der Erde hockte. Auf der anderen Seite der Wiese war Wolle zu einem Standbild erstarrt.

      Er stand, eine Pfote erhoben, den Kopf weit vorgestreckt, unbewegt am Rande des Waldes.

      „Sag ihm, dass ich komme“, flüsterte Faith und legte Murat sacht die Hand zwischen die Ohren.

      Hochbeinig stakste der Wolf auf den Wald zu. Als er an seinem domestizierten Verwandten vorbeikam, wandte er den Kopf, sah den zitternden Wolle arrogant an, um gleich darauf mit seiner Umgebung zu verschmelzen.

      Endlich löste sich Wolle aus seiner Erstarrung und lief auf Faith zu. Aufgeregt schnupperte er an ihren Fingern, die noch den scharfen Geruch des Wolfes trugen.

      „Trinkst du mit uns Kaffee?“

      Faith stand auf und begrüßte Ben mit einer Umarmung.

      Bens Blick blieb an dem goldgelben Zuckerkuchen auf dem Tisch hängen.

      „Wenn ich dazu ein Stück davon bekommen könnte…“

      Robert lachte. „Ich weiß nicht, woran es liegt, aber immer, wenn wir gebacken haben, kommt wie zufällig einer von euch daher und frisst uns alles weg.“

      Faith schnaubte. „Hast du gesagt, wenn wir gebacken haben?“

      „Ich habe den Kuchen rechtzeitig aus dem Ofen geholt.“

      „Ha.“

      Seine Tochter würdigte ihn keiner weiteren Antwort.

      „Was hat Murat „gesagt“?“

      Robert wurde ernst und sah Faith sorgenvoll an.

      Er wusste genau wie alle anderen, die in der Anderswelt gewesen waren, dass das Tier in der Lage war, Bilder und Gedanken aufzunehmen und weiterzugeben. Ben und Robert sahen Faith gespannt an. Dass Murat jetzt kam, konnte kein Zufall sein.

      „Richard ist noch immer in der Schattenwelt und Leathan befindet sich auf dem Grund des Neuen Meeres.” Faith wich dem Blick ihres Vaters aus. Das, was sie selbst gesagt hatte, verschwieg sie ihm.

      Robert kannte seine Tochter gut.

      Sie würde ihm nichts weiter sagen und drängen ließ sie sich nicht. Aber sie verschwieg ihm etwas, das spürte er.

      Umso überzeugter war er, dass er sie nicht alleine lassen konnte.

      „Bin gleich wieder da.“

      Robert stand auf und ging ins Haus. Er betrat sein Arbeitszimmer, griff zum Telefon und wählte die Nummer der Direktorin. „Annegret…?

      ~~~~~

      Magalies Entscheidung

      Die Trennung von Robert war ihr schwer gefallen. Aber das, was jetzt auf sie zukam, ließ der Fürstin keine Wahl. Magalie war froh darüber, dass ihre Tochter und ihr Geliebter wieder in der Sicherheit ihrer eigenen Welt waren.

      Kaum hatte sie sich von Robert getrennt, waren die schwarzen Horden über sie hergefallen.

      Die dunklen Reiter Leathans hatten sie umzingelt.

      Die Dunkelalben mit den seltsam toten Augen hatten sie festgehalten und von ihr die Herausgabe ihres Fürsten verlangt.

      Sie hätte nicht einmal den Hauch einer Chance gehabt, Robert zu schützen, wenn er bei ihr gewesen wäre. Elsabe hatte die Gefahr gespürt, in der sie sich befand. Magalie war nicht aufmerksam genug gewesen.

      Zu sehr war sie noch in Gedanken bei Faith und Robert.

      Sie hatte nicht auf das Klopfen des Rubinherzens an ihrer Brust geachtet. Hatte es für das Klopfen des eigenen Herzens gehalten, das den Trennungsschmerz kaum aushielt.

      Das schrille Kreischen der Hexen war ohrenbetäubend. Allein dieser hohe Ton, der wie ein Tornado in die Ohren fuhr, verursachte unendliche Qualen. Die Angreifer rissen die Arme hoch, um sich abzuschirmen.

      Diesen kurzen Moment nutzte Magalie.

      Das Rubinherz in dem jetzt geöffneten Medaillon glühte auf und lähmte die Elfen mit seinem blendenden roten Leuchten.

      „Versinkt in der Schattenwelt.“

      Mit donnerndem Getöse öffnete sich die Erde, nahm die schwarzen Reiter mit ihren Rappen auf und schloss sich über ihnen.

      Langsam erlosch das Glühen und Magalie schloss das magische Medaillon.

      Elsabe und ihre Schwestern flogen immer noch wie ein Schwarm wütender Hornissen, um auch die letzte der dunklen Gestalten aufzuspüren. Atemlos landete Elsabe vor Magalie.

      Mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren die Hexen ein todbringendes Heer. Jeder Schuss traf und brachte ein schnelles, äußerst schmerzhaftes Ende. Die Spitzen der Pfeile trugen ein Gift, so wirksam wie das der Seewespe. Wie die Hexen es mischten, blieb ihr Geheimnis.

      „Warum?“

      Magalie verstand Elsabes Frage sofort.

      „Du willst wissen, warum ich sie laufen ließ?“

      Sie sah den Willen zu morden in Elsabes eiskalten blauen Augen.

      „Weil ich keinen Sinn in diesem fortgesetzten Töten sehe. Wir müssen einen anderen Weg finden.“

      „Aber sie werden sich sammeln und wiederkommen.“

      „Mag sein.“

      Magalie sah nachdenklich auf die mordlüsternen Hexen. Eine Armee von streitbaren aufgebrachten Frauen, die zu ihrem Schutz angetreten waren. Aber sie sah nicht nur die Bereitschaft sie zu schützen, sondern auch die Lust zu töten. In ihren dunklen Augen loderte pure Mordlust, nicht nur der Wille, ihre Fürstin zu retten.

      „Ich werde sie wieder wegschicken und wieder und immer wieder, bis sie begreifen, dass es keinen Kampf geben wird. Was soll aus unserer schönen Welt werden, wenn wir uns gegenseitig umbringen. Nein, ich will das nicht mehr, keine kriegerischen Auseinandersetzungen.“

      „Das wird nicht funktionieren.“

      Elsabe schüttelte den Kopf.

      Magalie schwieg und gab ihrem Pferd ein Zeichen.Chocolat preschte davon.

      Die Hexen flogen, Pfeil und Bogen schussbereit in den Händen, über dem gewaltigen schokoladenbraunen Wallach und seiner rothaarigen Reiterin dahin.

      Die dunklen Elfen, die den Hexen nicht entgangen waren, lösten sich bereits auf.

      Silberner Staub, den der Wind verwehte.

      Nachdem Magalie sicher ihre schier endlosen Obstplantagen erreicht hatte, drehten die Hexen ab, um zu den Grotten zurückzukehren.

      Blau flatternde Gewänder.

      Müde lenkte Magalie den Braunen zu den ausgedehnten Ställen, die neben dem einladenden Wohngebäude lagen.

      Kein fröhlich plappernder Oskar kam ihr entgegen. Der kleine Kerl fehlte ihr. Wo mochte er jetzt sein?

      Kapitel 4 - Die Unterstadt

      Volk der Eulenelfen

      Lilly streckte sich. Dann setzte sie sich mit einem Ruck auf. Verwirrt sah sie sich um.

      Wo war sie?

      Sie lag zum ersten Mal im Leben in einem Bett. Neben sich den grünen Glitter, über sich einen Baldachin. Wie ein Dach, wunderte sich die junge Hexe.

      Leise, um Oskar nicht zu wecken, ließ sie sich von ihrem hohen Lager gleiten und schlich zum Tisch. Erst jetzt merkte sie, wie hungrig sie war. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, lief Lilly das Wasser im Mund zusammen.

      Zuckrige geröstete Walnüsse, kandierte Veilchen, in Schokolade getauchte Erdbeeren, gebackene Feigen, in Honig eingelegte Mandeln. Karaffen mit klarem Wasser und solche mit dunklem Traubensaft, Brot und sahniger frischer Ziegenkäse. Lilly stopfte sich von allem etwas in den Mund und kaute andächtig mit geschlossenen Augen.

      „Lass