Ursula Tintelnot

Faith und Richard


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zu genießen, das er inszeniert hatte. Auch die Schüler sahen gespannt nach vorn. Faith saß in der ersten Reihe neben Lisa. Jetzt drehte sie sich um.

      „Duck dich“, zischte sie Bruno zu, der direkt hinter ihr saß und hilflos mit ansehen musste, wie Valerie litt.

      Er reagierte sofort und Faith drehte den Mondstein, während sie ihn direkt auf den Lehrer und die anderen Schüler richtete. Herr Wallch erstarrte und mit ihm die gesamte Klasse.

      „Beeil dich“, raunte Faith Bruno zu.

      Und Bruno beeilte sich.

      In der Sekunde, in der er seinen Platz wieder einnahm, löste sich die Erstarrung der Klasse und des Lehrers.

      Faith ließ den Mondstein los und sah scheinbar gelangweilt nach vorn. Lisa, die wie Bruno und Valerie nicht von dem Zauber des Ringes erfasst worden war, schnaubte in ihr Taschentuch und fiel vor Lachen fast vom Stuhl.

      Auch der Mathematiklehrer fiel beinahe vom Stuhl. Allerdings aus anderen Gründen als Lisa. Was er erblickte, war eine perfekt gelöste Kurvendiskussion ohne einen einzigen Fehler und eine ebenso gelöste Schülerin, die ihn abwartend ansah.

      Er ähnelte einem Karpfen an Land. Sein Mund öffnete und schloss sich mehrmals. Nachdem er wiederholt vergeblich zum Sprechen angesetzt hatte, brachte er endlich einen Satz hervor.

      „Du kannst dich setzen.“

      Faith hatte ein schlechtes Gewissen. Sie hatte ihre Mitschüler um ein winziges Stück ihrer Erinnerungen gebracht.

      „Ich weiß nicht, wie du das geschafft hast. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde ich denken, du hattest Hilfe. Wenn dies ein unerlaubter Trick war, werde ich es herausfinden.“

      Mit diesen Worten entließ Herr Wallch Valerie kurz danach in die Pause.

      Faith’ schlechtes Gewissen verflog, als sie die giftigen Worte des Lehrers hörte.

      ~~~~~

      Nacht über dem Tal

      Dies war nicht der kalte blaue Ton, den Oskar über Leathans Felsenstadt gesehen hatte. Hier hing eine silberne messerscharfe Sichel vor einem goldenen Hof am blauschwarzen Himmel, die ihren hellen Schein über das Tal ergoss.

      Ein strahlender Stern begleitete die Sichel des Mondes.

      „Wie wunderschön“, flüsterte der kleine Elf und hob das grüne Gesichtchen. Seine spitzen Ohren bewegten sich begeistert vor und zurück. Oskar und Lilly stolperten mehr, als sie gingen. Tagelang waren sie unterwegs gewesen durch unwegsames Gebirge und versteppte, sandige, kaum bewaldete Gegenden, immer auf der Hut vor Gefahren, die sie nicht kannten, vor denen aber Nathan und Maia wortreich gewarnt hatten. Die blaue Kugel brachte im Wechsel Hitze am Tage und Kälte in der Nacht

      Lilly war es nach wie vor untersagt, zu fliegen. Und Maia hatte ihnen beiden eingeschärft, dieses eine Mal zu gehorchen.

      „Wenn Elsabe und Magalie ein Einsehen haben sollen“, hatte sie erklärt, “muss ich ihnen sagen können, dass du dich“, sie sah Lilly ernst an, „meinen Anweisungen gefügt hast.“

      Die Furcht hatte ihnen in den letzten Stunden die Kehle zugeschnürt, als die Phosphorkugel mit ihrem kalten Licht plötzlich verschwunden war. Das wenige Licht, das sie gespendet hatte, war einer wirklich pechschwarzen undurchdringlichen Finsternis gewichen.

      Leises Tapsen und andere Geräusche, die sie nicht einordnen konnten. hatten Oskar und Lilly erschreckt.

      Sie glaubten auch hier das Stöhnen und Ächzen der Seelendiebe zu hören.

      Wenn Oskar alleine gewesen wäre, hätte er längst fliegend die Flucht ergriffen. Aber er wusste, wenn Lilly noch einmal ungehorsam wäre, würden die Hexen ihr das nicht verzeihen. Also harrte er zitternd und vor Angst schlotternd an ihrer Seite aus. Unsichtbar zu werden gelang ihm vor Aufregung nicht. Lilly hingegen verschwand von Zeit zu Zeit, wie das ihre Art war. Er fühlte sich sehr allein, wenn sie nicht mehr zu sehen war.

      Und jetzt war diese Silbersichel am Himmel erschienen und verscheuchte die Dunkelheit. Erleichtert atmete Oskar auf, um gleich darauf wie am Spieß zu schreien.

      Direkt vor ihm war ein rundes weißbärtiges Gesicht aufgetaucht. Er hörte ungestümes Schnuppern und fühlte das Kitzeln von Barthaaren an seiner Nasenspitze.

      „Geh weg, du böses Biest!“

      Lilly schob sich zwischen den Glitter und die feuchte Nase des Nebelpanthers. Das riesige Katzentier wandte sich um und verschwand mit arrogant erhobenem Schwanz im Wald, der sich dunkel und geheimnisvoll vor ihnen auftat.

      „Kommt mit.“ Er sah kurz über die Schulter zu ihnen zurück und folgte einem unsichtbaren Pfad, ohne sich noch einmal zu versichern, ob Lilly und Oskar ihm wirklich folgten.

      Es war dunkler jetzt. Das Licht der silbernen Sichel erreichte durch das dichte Blattwerk den Boden kaum. Nur hin und wieder blitzte vor ihnen das fast weiße Fell des Panthers auf.

      Dann war der Panther nicht mehr zu sehen.

      Der Lärm, mit dem das hohe Eisentor sich öffnete, war ohrenbetäubend. Rostige Stangen kreischten in ihren Scharnieren.

      „Was ist das?“

      Lilly berührte Oskars Hand, der sie dankbar fest umschloss.

      Ihre Wärme gab ihm gleich mehr Sicherheit und nahm ihm ein wenig von seiner Angst.

      „Da seid ihr ja endlich, wir dachten schon, ihr kommt niemals an.“

      Mit einem Krachen schloss sich das Tor hinter ihnen. Gleichzeitig glommen kleine gelbe Flämmchen auf, die den Weg säumten.

      „Folgt dem Licht.“

      Wieder die Stimme aus dem Nichts.

      Ein Licht nach dem anderen schoss hoch und lockte sie weiter, während die Flammen hinter Oskar und Lilly wieder erloschen.

      Langsam wurde der Himmel heller und im aufschimmernden Morgenlicht nahmen die kalkweißen Mauern vor ihnen einen rosafarbenen Ton an. Ganz langsam öffnete sich ein Spalt in der scheinbar festgefügten Steinwand. Er wurde gerade so groß, dass Oskar und Lilly hindurch schlüpfen konnten. Das ebenfalls weiße flache Gebäude dahinter zog sich endlos hin. Es flimmernde wie eine Fata Morgana, schien zu schweben.

      Hier herrschte noch morgendliche Stille. Kein Laut war zu hören. Selbst die körperlose Stimme war verstummt. Wieder öffnete sich lautlos ein Durchgang. Diesmal führte er Lilly und Oskar in den langgezogenen Bau hinein. Niemand war zu sehen.

      Sie kamen zu einer geöffneten hölzernen Tür. Oskars Augen weiteten sich.

      Ein Bett mit einem schützenden Baldachin. Oskar war entzückt, ließ Lillys Hand los, warf sich auf die weichen Kissen und schlief sofort ein.

      „So sind sie, die Männer, selbst wenn sie noch kleine Männer sind.“

      Die Fee, deren Stimme Lilly sofort wiedererkannte, klang belustigt. Es war die Stimme aus dem Nichts, die ihnen empfohlen hatte, dem Licht zu folgen.

      Aber jetzt konnte die kleine Hexe die Stimme nicht nur hören, sondern auch sehen, zu wem sie gehörte.

      Kurze helle Haare standen dem weiblichen Wesen vor Lilly wild vom Kopf ab. Die fein geschnittene, leicht nach unten gebogene Nase gab ihm etwas Eulenhaftes.

      Der durchdringende Blick aus runden hellen Augen steigerte diesen Eindruck noch.

      „Maia hat uns hierher geschickt. Es war eine lange Reise. Oskar ist müde und er ist, mit Rücksicht auf mich, gelaufen. Er hätte auch fliegen können. Aber mir ist das noch verboten.“

      „Ich weiß. Du bist Lilly. Mein Name ist Atena.“

      Atenas Stimme war sanft und tief. „Du bist hier in der Residenz der alten Herrscher. Cybill ist hier aufgewachsen. Hier hat sie ihre Kindheit und Jugend mit Maia verbracht. Manchmal kommt sie noch hierher.“

      „Aber dies ist die Schattenwelt“, gähnte