Elke Bulenda

Himmel, Arsch und Hölle!


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Wie Anfangs erwähnt, bin ich sehr groß und besitze dementsprechend große Hände, die es mir ermöglichen, mit nur einer Hand spielend leicht eine menschliche Gurgel zu umfassen. Das Problem daran ist allerdings, an meinen Händen sind auch die passend großen Arme angewachsen. Trotz meiner Bedenken griff ich beherzt - durch den zugegeben recht engen Briefschlitz - und blieb prompt stecken. Natürlich besitze ich die dunkle Gabe der Telekinese. Nur muss ich das Objekt, das ich bewegen will dabei vor Augen haben, oder zumindest sehen können. Das Dumme an der Sache war, dass ich den Brief nicht ausmachen konnte, weil der Kasten zwar recht tief, dafür doch sehr flach war. Leise fluchend versuchte ich meine Hand wieder aus diesem vermaledeiten Schlitz zu befreien, schaffte es letztendlich auch und zog sie mit einem kräftigen Ruck wieder heraus. Erleichtert meine Hand wieder für mich zu haben, achtete ich nicht darauf, die Klappe leise zu schließen, die mit einem hörbar lauten »Klonk« zufiel. Gerade wollte ich unmittelbar das Weite zu suchen, doch öffnete sich schon die Tür und Annie stand vor mir. Wahrscheinlich wunderte sie sich, wer da zu dieser späten Zeit, wie ein Pilgersmann vor ihrer Tür kniete. Es passiert selten, doch ich war perplex und völlig sprachlos. Annie dagegen weniger.

      »Wer sind Sie? Und wenn mir die Frage gestattet ist, was machen Sie da?«, fragte sie sachlich.

      Völlig verdattert zeigte ich auf mich, dann auf den Briefkasten und danach wieder auf mich. »Äh, ich bin Ragnor McClane, ein Arbeitskollege von Amanda ... ich habe einen Brief eingeworfen ... nur es war ein Fehler ... deshalb wollte ich ihn mir wieder zurückholen«, stammelte ich.

      »Sie sind Ragnor McClane? Sascha erzählte mir schon von Ihnen. Sie redet überhaupt viel von Ihnen. Jedem zeigt sie stolz die Kette mit dem Bärenzahn, die Sie ihr schenkten. Und noch etwas: Obwohl Amanda nicht über ihre Arbeit reden darf, bin ich aber noch nicht so senil, um nicht festzustellen, dass meine Enkeltochter damals entführt wurde. Sie sind also der Mann, der Sascha das Leben rettete. Bitte, es ist kühl draußen, kommen Sie doch herein. Ich mache Ihnen eine schöne Tasse heißen Tees«, entgegnete sie und lud mich ins Haus ein. Noch immer war ich wie vom Donner gerührt und hatte den peinlichen Brief noch immer nicht zurück. Doch wenn sie mich so nett einlud, warum nicht?

      … Jetzt hört mir auf mit dem Quatsch, ein Vampir könne nur ein Haus betreten, wenn er eingeladen wurde hereinzukommen. Jederzeit kann ich mir Zutritt zu jedem x-beliebigen Haus verschaffen, selbst mittels Tür auftreten. Das mit dem Vampir einladen ist Humbug! Merkt euch das! Sonst komme ich auch euch besuchen …

      Also bückte ich mich durch die Tür und betrat das von mir so lange obsessiv observierte Haus. Die Dame des Hauses blickte mich erst verwundert, dann reichlich amüsiert an.

      »Du meine Güte, Sie sind wirklich groß! Da hat Sascha mir also doch keinen Bären aufgebunden. Sie sagte nämlich, Sie wären ein Riese. Ich schätze mal, wenn man bei einem Spezialkommando arbeitet, darf man kein Zwerg sein.«

      »Doch, aber nur wenn man Ehrenzwerg ist!«, meinte ich trocken.

      »Ha, das ist gut! Kommen Sie doch mit in die Küche, da können wir uns unterhalten, solange ich den Tee zubereite«, sagte sie und ich nickte. Auf dem Weg zur Küche checkte ich die Fotos, die ich von draußen nur von hinten betrachten konnte. Amanda, ein mir unbekannter Mann und eine noch ziemlich kleine Sascha. Die späteren Bilder zeigten nur noch Sascha, Amanda und Annie. Deshalb ging ich davon aus, dass der Kerl auf den Fotos Amandas verstorbener Mann war und folglich Annies Sohn. Aber sein Gesicht kam mir irgendwie schon bekannt vor.

      »Ragnor, hm?«, fuhr Annie fort. »Das ist doch ein skandinavischer Name, richtig? Nehmen Sie doch Platz«, forderte sie mich auf.

      »Ja, Ma´am«, antwortete ich und suchte mir einen stabilen Platz auf einer Bank. Die Stühle sahen mir ein wenig instabil aus. Irgendetwas lag unter dem Tisch und seufzte. Es war der Hund, den ich sofort hinter den Ohren kraulte.

      »Sie mögen wohl Hunde?«, fragte Annie, während sie in der Küche herumwuselte.

      »Ja, Ma´am. Ich hatte selbst zwei. Einer hieß Alter Sack, der andere Trottelgesicht. Zwei sehr nette ... so etwas Ähnliches wie Dobermänner.«

      »Lustige Namen. Ja, ich überlege auch, ob wir uns nicht einen zweiten Hund anschaffen sollten. Sozusagen einen Bediensteten für Prince Charles. Einer, der für ihn anschlägt. Manchmal glaube ich, Charlie hat Depressionen. Dann sind sie also Skandinavier? Und haben wohl als Kind mächtig viel Elchfleisch gegessen, was?«, fragte sie so nebenbei.

      »Äh, die Ahnen meines Vaters kommen aus Norwegen. Ja, Elchfleisch bekamen wir genug, für mich blieb leider immer nur das Geweih übrig«, witzelte ich. Annie lachte nicht wie eine feine englische Lady, sondern eher wie ein texanischer Cowboy.

      »Sie sind ein Witzbold, obwohl Sie nicht lachen. Ein sehr ernsthafter junger Mann. Ein Lächeln würde Ihnen gut zu Gesicht stehen. Und was ist noch in Ihnen drin? Eine interessante Mischung, aus der Sie bestehen. Hohe Wangenknochen. Hm, etwas Östliches, das sagen mir Ihre Augen, sehr schön, ein sogenannter Schlafzimmerblick!«, fuhr sie fort.

      … Flirtete diese ältere Lady etwa mit mir? ... Und nannte sie mich einen jungen Mann? Ha! - Ich bin mehr als 1200 Jahre alt! ...

      »Ja, Ma´am. Ich sehe grundsätzlich immer ein wenig müde aus«, antwortete ich etwas lahm. »Meine Mutter stammte aus der Steppe, deshalb hasse ich Camping«, erwiderte ich, in der Hoffnung ein anständiges Gespräch zu führen. Nur wirklich sicher war ich mir nicht.

      »Ja, das ist interessant. Entschuldigen Sie meine Neugier, ich bin Anthropologin, deshalb mein Interesse an ihrer Zusammensetzung. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Unter uns, ich hasse Camping ebenfalls. Keinen Tag würde ich es ohne die Annehmlichkeiten von fließend Wasser aushalten. Und damit meine ich nicht fließend Wasser von den Zeltwänden. Ich habe viele Grabungen mitgemacht, doch würde ich jederzeit ein anständiges Hotelzimmer einem Zelt vorziehen«, gab sie zu. »Nehmen Sie Milch in den Tee? Ach, ich stelle sie einfach mal hier auf den Tisch, dann können Sie sie nehmen, oder es sein lassen. Ich setze Ihnen mal einen Becher vor, Kerle trinken lieber aus Bechern, das weiß ich von meinem Sohn«, plauderte sie und stellte zwei große Becher auf den Tisch.

      Und ich merkte schon, wie sich erneut ein Drama anbahnte. Leicht entsetzt sah ich die Milch an und sie mich. Wie gesagt, Milch wird in meiner Gegenwart grundsätzlich sauer. Das ist mein schlechtes Karma.

      ... Es war für mich damals eine herbe Enttäuschung, meiner kleinen Tochter Jule nicht die Flasche geben zu können. Ständig wurde die Milch sauer. Aber meine Frau meinte, wenn ich etwas für Jule tun wolle, könne ich ihr die Windeln wechseln. Es ist doch immer das Gleiche: Du willst jemandem deine Zuneigung schenken und bekommst dafür nur Scheiße zurück ...

      Während Annie munter schwatzte und ich nur mein »Ja, Ma´am« von mir gab, wurde die Milch sofort im Kännchen steif. Aber hier schien es sich um ein enorm ängstliches Exemplar zu handeln, denn sie schob sich aus dem Gefäß und robbte in Kriechbewegungen über den Tisch. Entsetzt und zugleich fasziniert, beobachtete ich diesen Vorgang und vergaß für einen Augenblick, die Ma´am im Auge zu behalten. Als sie sich gerade umdrehen wollte, gab ich der sauer kriechenden Milchspeise einen telekinetischen Schubs, so dass sie über die Tischkante herunterfiel. Mein Komplize saß unter dem Tisch und freute sich über seinen Nachtisch und vertilgte den frischen Jogurt. Annie bekam große Augen.

      »Huch, wo ist denn die Milch?«

      Mit gespielter Beschämung wischte ich mir über den Mund.

      »Sie müssen verzeihen, Ma´am, bei frischer Vollmilch kann ich nicht widerstehen. Die war so frisch, da denkt man glatt, da würde noch eine Kuh dran hängen«, meinte ich und schlug die Augen nieder.

      »Ach, nun hören Sie doch auf, Sie brauchen sich nicht zu genieren! Und unterlassen Sie es, mich ständig Ma´am zu nennen. Ich sage Ragnor zu Ihnen und sie dürfen Annie zu mir sagen. Hätte ich gewusst, dass sie gerne einen Schluck Milch trinken wollten, hätte ich Ihnen eine warme Milch gemacht. Möchten Sie noch welche? Wie heißt es so schön? Milch macht müde Männer munter!«, gluckste sie amüsiert.

      »Nein danke, Ma ... Äh, Annie, für heute reicht mir die Milch«, lehnte ich ab.

      Sie