Horst Buchwald

Griechenland – Merkels Alptraum


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href="#ulink_07dd4848-1146-545e-91e6-bf2e69c918e6">Deutsche Banken vertagen Zustimmung zu Schuldenschnitt

       Merkel und Sarkozy bändigen die Griechen

       Welche Folgen hätte zum damaligen Zeitpunkt ein Austritt der Griechen aus der Eurozone gehabt?

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      Man hätte auf jene hören sollen, die schon frühzeitig der Meinung waren, daß es ein Fehler war, Griechenland in die Währungsunion aufzunehmen. Diese Mahner gab es auch in Deutschland. Doch man nahm sie nicht ernst. Ein gutes Beispiel dafür war die Bundestagsdebatte vom 23. April 1998. Die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth freute sich, weil „im Hinblick auf den Gegenstand unserer Debatte, heute ein so schöner Sonnentag ist“. Sie ist sich ganz sicher: „Heute ist ein guter und wichtiger Tag für Europa und für uns. Ich hoffe, wir kommen zu besten Ergebnissen.“

      Was war da los? Zur Diskussion stand der „Beschluß der Bundesregierung zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion“.

      Den Auftakt machte Finanzminister Theo Waigel. Er kam gleich zu Anfang auf den Punkt: „Seit dem 25. März 1998 liegen mit den Konvergenzberichten der Europäischen Kommission und des Europäischen Währungsinstituts die nach dem Vertrag vorgesehenen Entscheidungsgrundlagen auf dem Tisch. Am 27. März hat die Deutsche Bundesbank ihre Stellungnahme zur Konvergenzentwicklung veröffentlicht. Die Kommission empfiehlt dem Rat, zu bestätigen, daß elf Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für die Einführung des Euro erfüllen. Die Ausnahmen sind Griechenland, Großbritannien, Schweden und Dänemark. Die drei letztgenannten Länder haben politisch entschieden, der Währungsunion zunächst noch nicht beizutreten.“

      Und Griechenland? Klar, die Griechen erfüllten die Konvergenzkriterien nicht. Waigel schenkte auch dazu reinen Wein ein: „Die vorgelegten Konvergenzberichte bestätigen: In Europa hat sich eine breite Stabilitätskultur entwickelt. Der Preisanstieg ist auf einen historischen Tiefstand gesunken. Die durchschnittliche Inflationsrate in der Europäischen Union lag im letzten Jahr bei nur noch 1,6 Prozent. Zu Beginn der 80er Jahre waren es noch rund 13 Prozent.“ Nächster Punkt: Zahlreiche Experten hätten „im Vorfeld der Währungsunion dramatisch steigende Zinsen erwartet. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben die niedrigsten Zinsen seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Was an der Preisfront und im Zinsbereich erreicht wurde, ist eine großartige Erfolgsgeschichte deutscher Finanzpolitik.“

      Dann ging er auf die Haushaltsdefizite ein. „Den Referenzwert für das öffentliche Haushaltsdefizit in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hat 1997 mit Ausnahme von Griechenland kein Mitgliedstaat überschritten. Im EU-Durchschnitt fiel die Neuverschuldung von 6,12 Prozent 1993 über 4,2 Prozent 1996 auf 2,4 Prozent im letzten Jahr.“ Und wie stand es um die Schulden der Staaten? Waigel betonte, hier müsse er „Einschränkungen“ machen. „Der Referenzwert in Höhe von 60 Prozent des BIP wurde im letzten Jahr nur von Finnland, Frankreich, Großbritannien und Luxemburg unterschritten. In einigen anderen Ländern lag die Schuldenstandsquote zwischen 60 und 70 Prozent. In Deutschland war die Überschreitung mit 61,3 Prozent am geringsten“.

      Fassen wir zusammen: Griechenland erfüllte mindestens zwei Konvergenzkriterien nicht. Also hätte man das Land nicht aufnehmen dürfen. Hat das irgendein Bundestagsabgeordneter oder Minister in der Aussprache gefordert? Kein Wort davon. Ganz im Gegenteil. Das Problem Griechenland wurde einfach schöngeredet. Der damalige CDU-Shootingstar Friedrich Merz etwa führte aus: „Dieses Europa, diese Bundesrepublik Deutschland stehen in den nächsten Tagen vor einem Quantensprung ihrer Geschichte.“ Dieser Einschätzung wollte Bundeskanzler Kohl nicht nachstehen: „In der Politik gerät man häufig in die Versuchung, von säkularen Ereignissen, von Jahrhundertereignissen zu sprechen. Dies ist ein solches Ereignis.“

      Selbstverständlich sind an Kohl die Einwände gegen die Aufnahme der Griechen nicht spurlos vorübergegangen. Er kannte also die Risiken. Doch ein Problem sah er im Falle einer Pleite des Landes nicht. Warum nicht? Ohne Griechenland zu nennen (aber welches andere Mitglied konnte sonst noch gemeint sein?) hob der Kanzler einen Punkt von „großer Bedeutung“ hervor: „Meine Damen und Herren, nach der vertraglichen Regelung gibt es keine Haftung der Gemeinschaft für Verbindlichkeiten der Mitgliedstaaten und keine zusätzlichen Finanztransfers.“

      Was heißt das? Für Kohl war damit jegliches Risiko vom Tisch. Für den Fall, daß ein Eurozonen-Mitglied in die Pleite abrutscht, fließt kein Geld zur Unterstützung aus deutschen Kassen. Das Mitglied muß alleine sehen, wie es klarkommt. Der deutsche Steuerzahler kann ruhig schlafen. Heute wissen wir: Es kam alles anders. Wie das möglich war, lesen Sie auf den folgenden Seiten.

      Es ist Mitte Juli 2011. In den Regierungszentralen der EU herrscht Säuernis. Seit Monaten streiten sich die Spitzenpolitiker über Griechenland. „Das Faß ohne Boden“ hing wie ein Mühlstein über dem bevorstehenden EU-Gipfel. Im Kreuzfeuer stand die Krisenstrategie der deutschen Kanzlerin. Auf den Punkt gebracht hieß sie: Rettungspakete plus Spardiktat. Sie funktionierte nicht, denn die ökonomische und soziale Lage der Griechen hatte sich trotz des Hilfspakets vom Frühjahr 2010 nicht verbessert, sondern extrem verschlechtert. Die Schulden des Staates waren gestiegen, die Arbeitslosigkeit erreichte einen Rekord nach dem anderen. Ein Generalstreik folgte dem nächsten. Von einer Schuldentragfähigkeit (dazu gleich mehr) war das Land weiter denn je entfernt. Griechenland drohte die ewige Pleite.

      Der Wirtschaftsexperte und CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch brachte das damals in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ kurz und bündig auf den Punkt: „Griechenland hat 230 Milliarden Euro Bruttoinlandsprodukt, inzwischen 360, vielleicht 370 Milliarden Gesamtschuldenstand, Steuereinnahmen von 45 Milliarden und einen Zinsdienst von 25 Milliarden Euro. Das ist mathematisch unlösbar. Ich kenne niemanden außerhalb der Politik, der das anders sieht.“ (Wirtschaftswoche, 19.9.2011)

      Es lag also nahe, daß einige Politiker und Ökonomen Alternativen ins Spiel brachten. In Stichworten waren das: Insolvenz mit anschließendem Euroaustritt, Umschuldung sowie Schuldenschnitt. Doch in der Berliner Regierungszentrale rührte sich nichts. Die Kanzlerin bestand auf der Fortsetzung ihres Spardiktats. Gleichzeitig erweckte sie den Eindruck, daß sie sich den bevorstehenden EU-Gipfel eigentlich schenken könnte. Warum? Weil der „große europäische Befreiungsschlag“ nicht gelingen werde. Was das sein sollte, blieb ihr Geheimnis. Vielleicht hatte sie das den anderen EU-Regierungschefs auf geheimen Kanälen mitgeteilt, ohne daß davon etwas an die Öffentlichkeit gelangte. Denn wer nun Proteste aus Madrid, Rom, Athen oder Lissabon erwartete, wurde enttäuscht. Es blieb mucksmäuschenstill. Die Mehrheit kuschte vor der „mächtigsten Frau der Welt“ (Forbes). Nur zwei wagten sich nach vorn – der französische Präsident Sarkozy und der frühere Kanzlerberater Horst Teltschik.

      Beginnen wir mit Sarkozy. Auf dem Tisch lag die Frage einer substantiellen Beteiligung privater Gläubiger (also Banken, Hedgefonds, Versicherungen, Pensionsfonds und Superreiche) an einer Umschuldung Griechenlands. Während Merkel diese Beteiligung einforderte, brachte Sarkozy die Idee einer Sondersteuer für den Finanzsektor ins Spiel und warb für eine Ausweitung des Rettungsfonds EFSF. Sarkozys Position wurde von der Europäischen Zentralbank und einer Mehrheit der Eurozonen-Staaten unterstützt, Merkel fand Zuspruch in den Niederlanden und Finnland. Weil die beiden Spitzenpolitiker sich nicht einigen konnten, wurden die Verhandlungen auf EU-Ebene im Vorfeld des Gipfels blockiert. Damit der Gipfel nicht noch in letzter Minute abgesagt werden mußte, reiste der französische Präsident extra nach Berlin und hoffte dabei auf eine Lösung im Vieraugen-Gespräch.

      Doch unmittelbar vor dem deutsch-französischen