Horst Buchwald

Griechenland – Merkels Alptraum


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      Kein Politiker fühlte sich schuldig oder gestand Fehler ein. Im Gegenteil: „Wir waren auf die Feuergefahr gut vorbereitet“, lobte sich der damalige Innenminister Prokopis Pavlopoulosin in einem Zeitungsinterview. Dabei waren er und der Minister für öffentliche Ordnung Vyron Polydoras die Hauptverantwortlichen für das gescheiterte Krisenmanagement. Konsequenzen kamen für sie nicht infrage. Und weil sie begriffen, daß allein die Windstory bei der Bevölkerung nicht ankam, palaverten sie von einer Bedrohung durch Terroristen. Und – wen wundert’s : Wenig später wurde diese Version auch von dem damaligen Regierungschef Konstantinos Karamanlis sowie vom Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche, Erzbischof Christodoulos, verbreitet.

      Um das Vertrauen beim Wahlvolk wiederzugewinnen, versprach Karamanlis, er werde mit Geldern der EU und mit zahllosen Krediten die zerstörten Dörfer und die Infrastruktur des Landes wieder aufbauen. Doch auch das wurde von der Bevölkerung nicht ernst genommen. Man erinnerte sich, daß 2007 in Attika rund 5000 ha Wald abbrannten – gerade mal 218 ha wurden aufgeforstet. Diese Arbeit wurde nicht von den staatlichen Forstbehörden realisiert, sondern von Bürgerinitiativen und Kommunen.

      Die Zeitung „Kathimerini“ sah in den Bränden ein Indiz für den Bankrott des griechischen Entwicklungsmodells. Für jede Regierung, die seit 1974 am Ruder war, galt der Umweltschutz als Hindernis und wurde ignoriert. Als ein Beispiel, das in allen griechischen Medien auftauchte, kann der Fluss Asopos genannt werden, der wenige Kilometer nördlich der Hauptstadt Athen fließt. Noch heute verseuchen die hier angesiedelten Industrien den Fluss mit Schwermetallen, die so stark vergiftet sind, dass das Grundwasser in der ganzen Region nicht getrunken werden kann.

      Die Brände haben aber auch die Krankheiten des politischen Systems offenbart. Seit 1974 wechseln sich zwei grosse Parteien, die „grüne“ Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok) und die „blaue“ Nea Dimokratia (ND), an der Macht ab. Beide stützen sich auf ein Klientelsystem. Das bedeutet: Bei jedem Regierungswechsel werden im Staatsapparat von den Schlüsselposten bis zu den unteren Funktionen die Funktionäre ausgewechselt.

      Fazit: Griechenland am Vorabend der Finanz- und Verschuldungskrise war also bereits zahlreichen Krisensymptomen angefressen.

      Das traf auch auf Länder wie Spanien, Italien und Portugal zu. Der spätere Chefökonom der Deutschen Bank, Thomas Mayer, hatte das in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ damals klar erkannt. Seine Einschätzung, „Länder wie Spanien, Italien und Griechenland haben ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren“, traf und trifft ohne Einschränkungen zu.

      Das bedeutete, gleich zwei wichtige Brückenpfeiler der Eurozone (nämlich Spanien und Italien) waren morsch und auch ein kleinerer wackelte schon. Kein Zweifel: Die Stabilität der Brücke war akut gefährdet. Natürlich – bis sich die Schäden in einer Brückenkonstruktion derart ausbreiten, daß sie zusammenbricht, vergeht eine gewisse Zeit. Ähnlich ist es mit den ökonomischen Krisen. Zweifellos ist die Wettbewerbsfähigkeit in einer globalen Gesellschaft ein ganz entscheidender Pfeiler. Geht sie verloren, sinkt zunächst das Wachstum, dann schließen Betriebe, die Arbeitslosigkeit nimmt zu und dies wiederum führt zu einer sinkenden Konsumquote. Konsequenz: Rezession.

      Doch die Europa-Brücke hatte noch mehr Schäden. Anfang 2009 warnte der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Jürgen Stark, daß der Stabilitäts- und Wachstumspakt in Gefahr sei. Er verlangte, daß das Haushaltsdefizit in Krisenphasen drei Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten dürfe. Damals bekämpften so gut wie alle Eurostaaten die Krise mit Konjunkturprogrammen. Für Stark waren das Ausgaben, „die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen.“ Die folgende Tabelle 1 zeigt, daß der Pakt schon seit Jahren grob mißachtet wurde. Stark meinte, die Konjunkturprogramme würden die Lage nur noch verschlimmern.

Tabelle 1 Haushaltsdefizite in der Eurozone 2000–2011 in % BIP (ausgewählte Länder)
Land2000200520072008200920102011
Deutschland1,1-3,30,20,1-3,1-4,1-0,8
Frankreich-1,5-3,0-2,8-3,3-7,0-7,1-5,3
Griechenland-3,8-5,6-6,8-9,9-15,6-10,8-5,3
Irland4,71,70,17,4-13,9-30,9-13,3
Italien-0,9-4,5-1,6-2,7-5,4-4,3-3,1
Portugal-3,3-6,5-3,2-3,7-10,2-9,9-4,4
Spanien-1,01,31,9-4,5-11,2-9,7-9,4

      Quelle: laenderdaten.info

      Hier können Sie sehen, daß jene Staaten, die laut Thomas Mayer die Wettbewerbsfähigkeit verloren hatten, auch den Stabilitäts- und Wachstumspakt seit Jahren nicht einhielten. Dennoch wurde keines der südeuropäischen Länder kritisiert, ermahnt oder bestraft. Die EU-Elite nahm das mit einem Achselzucken hin und wachte auch dann noch nicht auf, als die Ratingagenturen erste Zweifel an der Bonität dieser Länder anmeldeten (Wie das in Spanien ablief, können Sie über www.epubli.de in meinem E-Book „Killt Spanien den Euro?“ nachlesen).

      Obwohl ihr Ruf wegen der zwiespältigen Rolle, die sie im Rahmen der US-Finanzkrise gespielt hatten, ziemlich angekratzt war, dauerte es nicht lange, bis sie mit ihren Einschätzungen in der sich verschärfenden europäischen Verschuldungskrise eine Schlüsselrolle übernahmen. Das Feld dafür bereiteten sie schon Mitte April 2009 vor. Damals verpaßte Standard & Poors Spanien, Portugal, Irland und Griechenland schlechtere Bonitätsnoten. Das war ein erster Warnschuß. Und wie reagierten die Südeuropäer darauf? Sie kündigten an, die im Stabilitätspakt festgelegten Grenzen für das Haushaltsdefizit lockern zu wollen.

      Wie war es möglich, daß die Angezählten diese Warnung nicht ernst nahmen? Dafür war ein anderes Machtzentrum verantwortlich – die Europäische Zentralbank (EZB). Natürlich wird EZB-Chef Jean-Claude Trichet die oben genannten Fakten gekannt haben. Doch sein Urteil fiel völlig anders aus. Ende Januar 2009 vertrat er den Standpunkt: „Wenn jemand behauptet, der Euroraum wäre gefährdet, dann ist das eine Vorstellung, die ich für unangemessen halte.“

      Doch der „Markt“ sah das anders. Der „Markt“ – das sind die Hauptakteure auf den Finanzmärkten: Banken, Versicherungen, Hedgefonds, Reiche und Superreiche. Sie nämlich entscheiden als Käufer von Staatsanleihen, ob die Ratingagenturen oder die EZB richtig liegen. Und wie lautete ihr Urteil? Sie glaubten den Ratingagenturen und verlangten Renditeaufschläge für griechische, irische, aber auch italienische und spanische Staatsanleihen. Das bedeutete: Sie stuften die Wahrscheinlichkeit einer Zahlungsunfähigkeit dieser Länder höher ein. Und das sah dann so aus: Noch im Spätsommer 2008 waren die sogenannten Spreads nicht höher als 1 Prozent. Anfang 2009 mußte Griechenland jedoch gut 3 Prozentpunkte mehr Zinsen als Deutschland zahlen. Hintergrund: Die gesamte Staatsverschuldung Griechenlands summierte sich 2007 auf knapp 95 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

      Diese Zahlen lösten im Bundesfinanzministerium Alarm aus. Offensichtlich wurden Berechnungen zu der Frage angestellt, ob die Griechen ihre Schulden aus eigener Kraft begleichen können. Anders gesagt: Die Schuldentragfähigkeit wurde untersucht. Das Ergebnis lautete: Nein, das schaffen sie nicht (mehr zur Schuldentragfähigkeit siehe unten).

      Daraufhin forderte Finanzminister Peer Steinbrück überraschend, die Europäische Union in ihrer Gesamtheit müsse helfen, wenn ein Euroland in gravierende Zahlungsschwierigkeiten gerate. So verständlich diese Forderung auch sein mag – sie wäre ein Verstoß gegen Artikel 103 des EG-Vertrages – die sogenannte „No-Bail-out“-Klausel. Sie besagt, dass in der Währungsunion kein Staat für die Schulden anderer Staaten haften oder aufkommen muss. Steinbrück hatte seine Position offenbar nicht abgesprochen, denn wenige Stunden später schickte die Kanzlerin ihren Sprecher vor und ließ erklären: Die Äußerungen von Steinbrück würden auf keinen Fall bedeuten, daß Deutschland den EU-Vertrag