Horst Buchwald

Griechenland – Merkels Alptraum


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„Das legt die Axt an den stabilitätspolitischen Rahmen der Währungsunion.“ Dass jeder Staat für seine eigenen Schulden und Defizite hafte, sei entscheidend für die finanzpolitische Disziplin. „Ohne das gebe es kein Halten mehr.“

      Deutliche Worte von einem Insider. Doch in Brüssel war man sich nicht einig. Denn EU-Währungskommissar Joaquín Almunia vertrat wie Steinbrück den Standpunkt, daß man für EU- Länder, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, eine „europäische Lösung“ finden müsse. Der Gang zum Internationalen Währungsfonds (IWF) – also deren Einbeziehung – sei unnötig. Die EU-Elite ignorierte die Einschätzungen von Almunia und Steinbrück. Schwer zu sagen, welchem Regierungschef und EU-Kommissar klar war, daß die Griechen es aus eigener Kraft nicht schaffen können, und wem nicht. Damals war die Mehrheit noch davon überzeugt, daß Griechenland mit einem Anteil von 2,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU keine Gefahr darstelle. Gerate dieses Land in eine Krise oder gar eine Pleite, würde das den Elefanten EU nicht im geringsten belasten. Das erwies sich als fatale Fehleinschätzung, denn schon sehr bald wurde aus der Maus ein Elefant. Wie war das möglich?

      In Griechenland regierte seit Anfang Oktober 2009 die Panhellenische Sozialistischen Bewegung (PASOK). Sie geriet sofort ins Visier der Eurogruppe. Auf ihrem Treffen am 20. Oktober war die Verschuldung Griechenlands das zentrale Thema. Wegen mangelnder Zuverlässigkeit seiner Statistik wurde Athen scharf gerügt. „Das Spiel ist aus – wir brauchen seriöse Statistiken“, forderte Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. Daß die Gespräche mit dem neuen griechischen Finanzminister Giorgos Papakonstantinou alles andere als harmonisch verliefen, konnte man daraus entnehmen, daß Eurogruppenmitglieder „gravierende, ernste Probleme“ in Athen erkannt hatten.

      Was waren das für „gravierende“ Probleme? Aus den nun folgenden Zahlen können Sie entnehmen, wie tief Griechenland bereits in eine Verschuldungskrise hineingeschlittert war.

Tabelle 2 Indikatoren zur Schuldenkrise in Griechenland 2005–2012
JahrHaushaltssaldoSchuldenquotePrivate SparquoteZinssatzZinslastquote explizitimplizit
2005-5,3114,0-8,03,64,44,1
2010-8,3129,2-7,39,15,315,5
2012-6,5142,2-12,05,617,1

      Quelle: Kiel Institut, Working Paper, Nr. 1690, März 2011

      Betrachtet man die Zahlen aus Tabelle 1 und 2, so ergibt sich ein eindeutiger Schluß: Es mußte etwas passieren, denn die Griechen steuerten eindeutig auf den Abgrund zu. Daß Staaten auch zuvor schon an den Rand einer Zahlungsunfähigkeit gerieten oder auch Pleite gingen, war nicht neu. In der Regel meldeten sie Insolvenz an und schuldeten um. Doch Griechenland war Mitglied einer Währungsunion. Damit lag der Fall völlig anders als in anderen hochverschuldeten Ländern wie Argentinien, Japan oder den USA. Diese Länder gehörten keiner Währungsunion an. Darum konnten sie ihre Währung auch beliebig auf- und abwerten, um dadurch Exportwaren günstiger anbieten oder Importe günstiger einführen zu können. In der Eurozone kann kein Land am Eurokurs „drehen“. Hier bestimmt die EZB allein den Kurs des Euro.

      Es war also ernst. Doch die EU-Elite verfiel in Lethargie – und die wurde sofort bestraft. Ende November 2009 waren schon viele Investoren nervös, weil nicht klar war, wie sich das fiskalpolitisch angeschlagene Griechenland angesichts seiner schwachen Konjunktur entwickeln würde. Und so kam es, daß die Rendite für zehnjährige Staatspapiere Griechenlands sich mit 5,12 Prozent – gegenüber 3,16 Prozent für Bundesanleihen – jenem Punkt näherte, ab dem die Begleichung der Schulden kaum noch möglich ist – der liegt nämlich bei 6 Prozent. Am 9. Dezember 2009 hatte die Ratingagentur Fitch ihr Urteil bereits gefällt – sie stufte die Kreditwürdigkeit Griechenlands auf „BBB+“ von „A –“ herab. Zuvor hatte die Ratingagentur S&P davor gewarnt, dass die Bonitätsnote „A –“ akut gefährdet sei.

      Welche Bedeutung hat diese Einschätzung? Das „A –“ Rating war die Mindestanforderung, damit ein Land seine Anleihen als Sicherheit bei der EZB hinterlegen konnte. Solange es diese Möglichkeit gab, war die Refinanzierung gewährleistet. Doch wegen der Finanzkrise ging die EZB noch einen Schritt weiter und senkte diese Grenze auf BBB– herab – jedoch nur bis Ende 2010. Danach würde das A-Rating wieder gelten. Kurzum: mit BBB+ war Griechenland nur eine Stufe von jenem Punkt entfernt, an dem die Refinanzierung nicht mehr möglich war. Dann wäre die Pleite unvermeidbar gewesen.

      Die griechische Regierung war sich dieser Gefahr bewußt. Ministerpräsident Giorgos Papandreou versicherte, Athen könne mit der schlimmen Finanzlage fertig werden. „Wir sind entschlossen zu handeln. Wir werden uns mit den Problemen konfrontieren und die Glaubwürdigkeit des Landes wiederherstellen.“ Anderenfalls sei „sogar die Souveränität des Landes Gefahren ausgesetzt.“ Er werde sich in den kommenden Tagen mit allen Spitzenpolitikern des Landes treffen, um Maßnahmen für die Genesung der Wirtschaft und für die Bekämpfung der Vetternwirtschaft, der Korruption und der Steuerhinterziehung zu suchen.

      Aus dem Munde des griechischen Finanzministers Giorgos Papakonstantinou klang es freilich ganz anders. Der Panik nahe gab er Sätze wie diese von sich: „Es ist wahr, die Wirtschaft des Landes geht durch schwierige Zeiten.“ Die Berichte der Ratingagenturen würden die Lage erschweren. „Wir rechnen mit weiteren Turbulenzen. Ich versichere aber: Die Regierung wird alles tun, um die verlorengegangene Glaubwürdigkeit (der Wirtschaft) des Landes wiederzugewinnen.“

      „Weitere Turbulenzen“? Im Kanzleramt und im Finanzministerium gab man sich cool. Die Kanzlerin ließ verlauten, sie sehe derzeit keinen Anlass für mögliche Hilfen an das finanziell schwer angeschlagene Euroland. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums verwies auf Aussagen des griechischen Finanzministeriums, wonach das Land die Probleme aus eigener Kraft lösen wolle. „Insofern gibt es auch keinen Grund, jetzt daran zu zweifeln, dass es nicht grundsätzlich auch möglich sein soll.“

      Anmerkung: Gab es damals Alternativen zu der Position Merkels? Hätte eine frühzeitige Umschuldung weniger Kosten verursacht als das Hinauszögern und Durchwursteln sowie das Spardiktat in Verbindung mit den Rettungspaketen? Auf diese Frage gehe ich in diesem Buch mehrfach ein.

      Die für den damaligen Zeitpunkt entscheidende Frage lautete: War den EU-Staatschefs der Ernst der Lage nicht bewußt oder standen sie unter dem Einfluß anderer Mächte? Klingt nach Verschwörungstheorie? Lesen Sie weiter – es wird spannend.

      Kein Zweifel: Die kaum noch vorhandene Wettbewerbsfähigkeit der südeuropäischen Länder hat den Boden für die Verschuldungskrise in der Eurozone bereitet. Sie war die Zündschnur, doch die Bombe hat einen anderen Namen.

      Untersuchen wir das genauer. Die Südeuropäer sowie Irland können schon darum nicht die Ursache der Verschuldungskrise sein, weil sie innerhalb der Eurozone wirtschaftliche Zwerge sind. Die unten stehende Tabelle zeigt das. Der BIP-Anteil an der gesamten Eurozone beträgt gerade mal 6,1 Prozent, jener der Bevölkerung 7,9. Doch ihre Verschuldungskriterien sind überproportional hoch.

Tabelle 3 Statistischer Überblick: Periphere Euroländer und gesamte Eurozone, 2010
GriechenlandIrlandPortugalEurozone
BIP (in Mio. Euro, laufende Preise) In % der Eurozone230 1732,5153 9391.7172 6991.99 190 619100.0
Gesamtbevölkerung (in 1000) in % der Eurozone11.3293.44.4801.310 6373,2331 966100.0
Bruttostaatsverschuldung (in % des BIP)142.896.293.085.1
Staatsdefizit (in % des BIP)-10,5-32,4(a)9.16.0
Banken: Exposure gegenüber eigenemDomizilstaat (in Mio. Euro)54 44712 46619 568-

      a) Darin sind Auslagen für Bankrekapitalisierungen in Form von Eigenwechseln (ca. 20% des BIP) enthalten, für welche keine unmittelbare Marktfinanzierung nötig ist.

      Quellen: