Horst Buchwald

Griechenland – Merkels Alptraum


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schockte Moody’s die europäischen Regierungszentralen mit einer drastischen Aussage zur Verschuldungskrise der Griechen. Dem Land drohe ein „langsamer Tod“, denn die Hellenen müßten einen größeren Teil ihres Vermögens einsetzen, um Schulden abzustottern, während Investoren höhere Prämien dafür verlangen, dass sie griechische Anleihen halten. Moody’s bezog sich auf folgende Ausgangslage: Die Staatsschulden beliefen sich auf 125 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), während die Renditen auf zehnjährige griechische Staatsanleihen inzwischen auf 5,83 Prozent geklettert waren.

      Die Aufforderung an die EU-Staaten, zu helfen, fiel nicht, doch die Botschaft war nicht zu übersehen. Und wie reagierte die EU-Elite samt der führenden Ökonomen? Wie nicht anders zu erwarten – die Antwort war wie bei einem gemischten Chor aus Gospel- und Opernsängern.

      Um es vorwegzunehmen: Wenn die EU den Griechen helfen würde, bricht sie geltende Verträge. Ich habe es oben schon beschrieben: Die Bail-Out-Regelung wird außer Kraft gesetzt. Dem IW-Chef Hüther war das klar. Er war gegen Hilfen und darum betonte er, daß souveräne Nationalstaaten auch als Teil einer Währungsunion verpflichtet seien, „autonom für ihre finanzpolitische Situation Sorge zu tragen.“ Die Bail-Out-Regelung folge diesem Grundsatz und solle daher vor falschen Anreizen bewahren. „Eine Solidarhaftung darf es nicht geben.“ Ähnlich verhalte es sich mit einem Insolvenzverfahren: „Eine Insolvenzordnung für Staaten, die abschätzbar einen Hair-Cut organisiert, würde letztlich in gleicher Weise wirken und die Staaten zu anhaltender Disziplinlosigkeit verleiten.“

      Auch der Bund der Steuerzahler wandte sich entschieden gegen Hilfen für Griechenland. Verbandsgeschäftsführer Reiner Holznagel verlangte, daß „Länder wie Griechenland schleunigst ihre Finanzpolitik ordnen müssen, statt klammheimlich auf ausländische Hilfe zu setzen.“ Außerdem stellte er klar: „Eine Haftung deutscher Steuerzahler darf es nicht geben.“

      Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, hielt dagegen ein Eingreifen der EU für unausweichlich. Ausgesprochen kontraproduktiv wäre es aus seiner Sicht allerdings, wenn in der derzeitigen Situation ein staatliches Insolvenzverfahren etabliert würde. Die Märkte würden das als Indikator dafür sehen, dass eine Insolvenz offenbar unmittelbar bevor stünde. „Dies würde eine Panikwelle mit unübersehbaren Folgen für den europäischen und globalen Zahlungsverkehr in Gang setzen“, erläuterte Horn. Auch langfristig sei dieses Instrument „keine Option“, da eine staatliche Insolvenz eines Mitgliedstaates immer Rückwirkung auf die anderen hätte. „Insofern führt kein Weg an einer gemeinschaftlichen Lösung vorbei“, betonte Horn. „No-Bail-Out ist eine Fiktion.“

      Die Bundesregierung spielte weiterhin auf „cool“. Bundesfinanzminister Schäuble und Bundesbankchef Weber sprachen sich gegen Hilfen aus und setzten die Griechen mit dem Ziel unter Druck: Ihr müßt es aus eigener Kraft schaffen!

      Am 19. Januar 2010 trafen sich die EU-Finanzminister und nahmen den Schuldensünder Griechenland in den Schwitzkasten. Das Verhandlungsergebnis lag voll auf der Linie, die Schäuble und Weber vorgegeben hatten. Die Griechen versprachen, bis Ende Januar werde man ein Stabilitätsprogramm in Brüssel vorstellen. Dann folgte die Sensation: Athen hatte sich Außergewöhnliches vorgenommen. Erstens: Im laufenden Jahr werde das Staatsdefizit auf 8,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) heruntergeschraubt. Zweitens: 2013 werde der Haushalt EU-konform sein – also ein Defizit von unter drei Prozent des BIP ausweisen.

      Man reibt sich die Augen und fragt sich: Haben die Griechen ökonomische Zaubertricks entdeckt, die bisher niemand kannte? War es möglich, daß auch nur einer der EU-Finanzminister glaubte, die Griechen könnten diese Ziele erreichen? Oder war das nur Augenwischerei für die europäischen Steuerzahler? Genau das war es. Den Europäern wurde signalisiert: Keine Panik – in einem überschaubaren Zeitraum von drei Jahren haben die Griechen ihr Verschuldungsproblem gelöst – und das aus eigenen Kräften. Ihr, die europäischen Steuerzahler, werdet nicht zur Kasse gebeten und Verträge werden ebenfalls nicht gebrochen.

      Nur wenige Tage später streute die Brüsseler Wochenzeitung „European Voice“ der EU- Elite Sand ins Getriebe. Unter Berufung auf eine anonyme Quelle aus der EU-Kommission berichtete sie, daß man dort über einen Kredit für das hochverschuldete Mitgliedsland nachdenke. Die EU-Kommission wies das sofort zurück.

      Zu spät. Denn nun reagierten „die Märkte“ – also die Banken, Versicherungen, Hedgefonds, Superreiche und Privatinvestoren. Weil die Spekulationen über eine mögliche Zahlungsunfähigkeit Griechenlands anhielt, stiegen die Kosten für die Versicherung von Schulden gegen einen Ausfall auf ein Rekordhoch. Die Credit Default Swaps (CDS) kletterten auf bis zu 358,4 Basispunkte. Damit kostete die Absicherung von zehn Millionen Euro griechischer Verbindlichkeiten inzwischen 358.000 Euro.

      Das wiederum nutzte Thomas Mayer, der neue Chefvolkswirt der Deutschen Bank, um den Teufel an die Wand zu malen. Er schlug vor, man solle so schnell wie möglich einen mit umfassenden Vollmachten ausgestatteten Europäischen Währungsfonds schaffen. Warum? Weil die aktuelle Krise um die griechischen Staatsfinanzen zeige, dass Europa das notwendige Instrument zur Bewältigung solcher Krisen fehle. Mayer fürchtete gar, „dass die Währungsunion zerbricht oder zur Inflationsgemeinschaft wird, wenn das Griechenland-Problem und seine möglichen Folgen nicht vernünftig gehandhabt werden.“ Und damit man in Berlin endlich kapiert, was Sache ist, stellte Mayer klar, daß nun Hilfe angesagt ist. Er verlangte, daß die EU und der IWF gemeinsam eingreifen. „Ich hätte keine großen Probleme damit. Da wir in Europa versäumt haben, rechtzeitig Winterreifen zu besorgen, brauchen wir jetzt fremde Anschubhilfe oder Schneeketten. Deswegen schließe ich nicht aus, dass der Währungsfonds nach Griechenland muss.“

      Die Gerüchteküche tobte. Erstens wurde behauptet, Griechenland könnte aus dem Euro aussteigen. Andere waren überzeugt, daß Deutschland und andere EU-Länder eine Rettungsaktion vorbereiten. Schließlich vergifteten Ängste vor einem von Griechenland ausgehenden Domino-Effekt die Atmosphäre, denn auch die Haushalte von Ländern wie Irland, Spanien und Portugal sahen katastrophal aus.

      Doch die EU-Elite war wie gelähmt. Kein Wunder, denn die Positionen der Mitgliedsländer waren meilenweit voneinander entfernt. Zählen wir einige auf: 1. Helfe man dem wankenden Staat finanziell, wäre die Beispielwirkung verheerend. Andere Haushaltssünder würden darauf setzen, daß ihnen im Notfall ebenfalls geholfen wird. 2. Helfe man den Griechen, würden die Finanzmärkte dann auch von Deutschland Risikoaufschläge für ihre Bonds verlangen, weil sie sich als potentieller Retter weiterer Eurozonen-Schwächlinge langfristig übernehmen würden. 3. Überlasse man Griechenland sich selbst und der Staat gehe pleite, wäre die Außenwirkung ebenfalls fatal.

      Die massiven Mißtrauensbotschaften waren in Athen angekommen. Wie reagierte die Regierung Papandreou darauf? Die Weltöffentlichkeit blickte nach Davos. Dort, auf dem Weltwirtschaftsforum, wehrte sich der griechische Premier heftig gegen Negativ-Berichte und benannte die wahren Schuldigen am Desaster seines Heimatlandes: die Spekulanten. Sie hätten Gerüchte gestreut, um sich an der Krise des Staates zu bereichern. „Was wir in den letzten Monaten gesehen haben, ist eine Attacke auf die Eurozone.“ Griechenland sei ins Kreuzfeuer geraten, weil es das schwächste Glied der Gemeinschaft sei. Ein leichtfertiges Urteil? Oder traf Papandreou den Nagel auf den Kopf?

      Er bemühte sich nach Kräften um Vertrauen bei den Investoren und kündigte einen „tiefgreifenden Strukturwandel“ an. Bis 2012 sollten das Haushaltsdefizit auf 2,7 Prozent begrenzt und damit die Maastrichtkriterien erfüllt werden. 54 Milliarden Euro, so seine Ankündigung, werde Athen noch im laufenden Jahr über die Herausgabe neuer Staatsanleihen auftreiben. Dafür werde er nicht nur in Europa werben, sondern auch in China.

      Hehre Ziele, fürwahr, doch kaum jemand traute den Griechen zu, daß sie realisiert würden. Ein deutliches Zeichen dafür, daß an Plan B gearbeitet wurde, lieferte ein Bericht in „Le Monde“. Danach würden mehrere Länder der Eurozone prüfen, ob eine bilaterale Unterstützung oder der vorzeitige Einsatz von Mitteln aus dem EU-Strukturfonds die Lösung sein könnte. Voraussetzung für jegliche Hilfe seien allerdings verstärkte Sparanstrengungen. Die EU-Kommission wolle im Rahmen des laufenden Defizitstrafverfahrens