Horst Buchwald

Griechenland – Merkels Alptraum


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schon eine Menge erreicht. Die einzigen, die es an Solidarität fehlen lassen, sind die Deutschen.“ Im kleinen Kreis wurde der französische Präsident noch deutlicher: „Der deutsche Egoismus ist kriminell, er verlängert die Krise.“

      Sarkozy wurde unterstützt von EU-Kommissionspräsident Barroso – der forderte, Deutschland solle nicht länger eine Lösung verhindern. Die Staats- und Regierungschefs hätten versichert, alles Notwendige zu tun, um die Stabilität des Euro zu erhalten. Jetzt müsse man diese Versprechen auch einlösen. Er bezeichnete die Lage als „sehr, sehr ernst“. Ohne eine überzeugende Antwort der Gipfelteilnehmer werde es negative Folgen für ganz Europa und darüber hinaus geben.

      Der nächste Schuß gegen Merkel kam von Horst Teltschik. Er war früher außenpolitischer Berater von Kanzler Helmut Kohl. Im Interview mit dem „Tagesspiegel“ fällte er ein vernichtendes Urteil über die Europapolitik der Kanzlerin: „Sie entwickelt keine Vorstellung von der Zukunft Europas, obwohl das gerade jetzt notwendig wäre. Auf die systemische Krise muss Europa eine systemische Antwort finden“, forderte er. Es sei offensichtlich, „dass wir eine gemeinsame europäische Haushalts-, Schulden- und Finanzpolitik brauchen.“

      Diese Kritik Teltschiks erhielt noch mehr Gewicht, als bekannt wurde, daß er in letzter Zeit mehrfach Altkanzler Kohl besucht hatte. In den Medien hieß es nun, seine Aussagen seien denen Kohls nicht unähnlich. Laut einem „Spiegel“-Bericht hielt der Altkanzler die Politik der Kanzlerin für „sehr gefährlich“. Kohl habe gesagt: „Die macht mir mein Europa kaputt.“ Doch Kohl dementierte den Bericht. Gegenüber der „Bild“-Zeitung behauptete er, die ihm zugeschriebenen Äußerungen seien frei erfunden. Zugleich zog er in der „Bild“ gegen Merkel zu Felde. „Ich bin – wie viele – besorgt über die Entwicklung in Europa und des Euro“, sagte der Altkanzler. Es sei dringend notwendig, dass die vermeintliche Eurokrise nicht als Strukturkrise des Euro an sich verstanden werde, sondern als das, was sie sei: „das Ergebnis hausgemachter Fehler und Herausforderungen für beide Seiten – Europa und die Nationalstaaten.“

      Spätestens damals wurde deutlich: Griechenland wird Merkels Alptraum!

      Buch 1 behandelt den Zeitraum von September 2008 bis Ende 2011

      Am 6. September 2008 ging Alexandros Andreas Grigoropoulos auf eine Party, die sein Freund Niko im Athener Stadtteil Exarcheias veranstaltete – und wurde erschossen. Über den Tathergang gab es unterschiedliche Versionen. Die einen behaupteten, er hätte mit Freunden gegen die Regierung und die Perspektivlosigkeit seiner Generation demonstriert und dabei erwischte ihn eine Kugel. Andere meinten, ihn in einer Gruppe von Freunden gesehen zu haben, die von der Polizei kontrolliert wurde. Bei dieser Aktion fiel der tödliche Schuß.

      Wer war der Todesschütze? Es handelte sich um einen siebenunddreißigjährigen Beamten, der zunächst behauptete, in Notwehr Warnschüsse abgegeben zu haben. Schließlich kam heraus, daß er wegen seiner Brutalität berüchtigt war. Seine Kollegen hatten ihm den Spitznamen „Rambo“ gegeben. Als er schließlich verhört wurde, sagte er aus, er habe drei Warnschüsse abgefeuert, wovon einer den Jugendlichen als Querschläger getroffen habe. Die Staatsanwaltschaft glaubte dieser Version nicht und warf ihm Totschlag vor. Kurz danach legte der Pflichtverteidiger des Polizisten sein Mandat nieder. Begründung: Einen „solchen Mandanten“ könne er aus Gewissensgründen nicht verteidigen.

      Wer war Alexandros? Der 15-jährige kam aus einer wohlhabenden Familie in Athen. Seine Mutter führte ein Juweliergeschäft, der Vater war Filialleiter einer Bank. Die Eltern lebten getrennt. Der Jugendliche wohnte bei seiner Mutter, hatte zu seinem Vater jedoch ein gutes Verhältnis. Seit einem Jahr besuchte er eine Privatschule. In seiner Freizeit fuhr er Skateboard und spielte Fußball. Ein spezielles politisches Engagement konnte nicht festgestellt werden.

      Dennoch löste sein Tod in ganz Griechenland Massenproteste aus. Immer häufiger wurde dabei Gewalt eingesetzt. Ladenzeilen wurden zertrümmert, verbrannte Autowracks säumten die Straßen, Häuserfronten wurden verunstaltet. Welche Erklärung gibt es für den Ausbruch dieser Gewalt?

      In der linksliberalen italienischen Tageszeitung „La Stampa“ vom 9. Dezember 2008 wurde der griechische Schriftsteller Vassilis Vassilikos dazu befragt. Er betonte, schon lange bevor die Finanzkrise Griechenland erfaßte, war der Staat sozial, ökonomisch und politisch zutiefst zerrissen und galt als einer der korruptesten Staaten in Europa. Der Schriftsteller beschrieb das so: Vor der Finanzkrise „kommt noch der Immobilienskandal, in den das Kloster Vatopedi auf dem Berg Athos verwickelt ist. Und die gefälschten Prozesse, mit Richtern, die ihre Entscheidungen entsprechend den politischen Spielen ändern. Und der versuchte Selbstmord des dreisten Generaldirektors des Kultusministeriums, der die EU-Subventionen verwaltet und die Grundstücke in der Nähe der archäologischen Stätten zu Schleuderpreisen verscherbelt hat. Dann das Rentengesetz und der Beschluss der Regierung, 28 Milliarden Euro an Hilfsgeldern für die Banken bereitzustellen und nicht für die Menschen, die Probleme haben, sich Lebensmittel zu kaufen.“

      Eine ebenso bedeutende Rolle spielte auch die rasch zunehmende Prekarisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Hochschulausbildung. Deren Eltern mußten sich zur Finanzierung des Studiums in der Regel hoch verschulden und dann erleben, daß ihre Söhne und Töchter trotz eines Universitätsabschlusses vergeblich einen angemessenen Job suchten. Ein Beispiel: Wer in Griechenland ein Medizinstudium abschloß, mußte sich bis zur Facharztausbildung auf eine Wartezeit von bis zu sieben Jahren einstellen. Nicht wenige fertige Medizinstudenten schlossen in dieser Zeit ein zweites Hochschulstudium ab – zum Zeitvertreib, denn die Berufschancen verbesserten sie damit nicht. Ganze Jahrgänge medizinischer Fakultäten sind inzwischen in andere EU-Staaten oder nach Übersee ausgewandert. Wer im Land blieb, endete nicht selten in einem Fast-Food-Restaurant statt im Krankenhaus. In Griechenland spricht man von der „700-Euro-Generation“. Ein Massenphänomen. Und selbst wer einen Job ergatterte, mußte oft mit einem Einkommen vorlieb nehmen, das nur knapp über der Armutsgrenze lag.

      Schon vor der Krise war die Jugendarbeitslosigkeit unverhältnismäßig hoch. Nach den Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bezogen 2008 durchschnittlich 1,35 Millionen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren Arbeitslosengeld II. Dabei schaffte nur jeder Dritte von ihnen den Absprung von der staatlichen Alimentierung – und auch das häufig nur vorübergehend. Fazit: Viele junge Erwachsene waren schon zu Beginn ihrer „Karriere“ auf staatliche Transfers angewiesen. Dies erklärt, warum die Schulen und höheren Bildungsanstalten schon seit Mitte der 90er Jahre immer wieder Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen waren. Die jeweiligen Regierungen reagierten darauf mit Diffamierungen und polizeilicher Repression.

      Die Selbstbedienungsmentalität der griechischen Oberschicht geriet zunehmend in die Kritik. Zu den wenigen öffentlich gewordenen Skandalen gehörte der Fall „Siemens Hellas“: Mit bis zu 100 Millionen Euro sollen seit den 90er Jahren die griechischen Regierungsparteien – sowohl die PASOK als auch die Nea Dimokratia – geschmiert worden sein. Doch nicht wenige Parteimitglieder waren und sind nicht nur korrupt, sondern auch unfähig. Wie sehr, das zeigten die Waldbrände.

      2007 vernichteten Waldbrände innerhalb einer Woche 184.000 Hektar Land – eine Fläche doppelt so groß wie Berlin. Mindestens 64 Menschen kamen in den Flammen ums Leben. Bei den Gegenmaßnahmen versagten die örtlichen Behörden, aber auch die Regierung in Athen. Sie glaubten, es sich ganz einfach machen zu können, indem sie behaupteten, starke Winde seien die Ursache. Doch die Griechen und auch die meisten Medien ließen sich nicht verulken. Sie machten die Regierungen der vergangenen zehn Jahre verantwortlich. „Der Staat des (Umwelt-) Verbrechens“, titelte die linksliberale Athener Zeitung „Eleftherotypia“. Der Vorwurf lautete: Athen habe in den vergangenen Jahren 97 Milliarden Euro für Rüstung ausgegeben, für den Kauf von Löschflugzeugen standen jedoch nur 300 Millionen Euro zur Verfügung. Schlimmer noch: 3000 Planstellen für Feuerwehrleute blieben unbesetzt und die Kommunikation zwischen Forstbehörde und Feuerwehr war wegen veralteter Technik fortlaufend gestört.

      Auch wenn es mangels intensiver Ermittlungen keine Schuldigen gab – hartnäckig hielt sich die These, Bodenspekulanten hätten die Brände gelegt, um Bauland zu gewinnen. Und was geschah, nachdem