Franco Bollo

Quergefönt


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Tagewerk lade ich ihn am nächsten Morgen auf einen Kaffee beim SB-Bäcker ein. Und da passiert es:

      Unerwartet blicke ich in ein Lächeln, weich wie der erste Kuss und zart wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling.

      Verdattert schaue ich mich um. Doch da ist niemand außer mir und Murat und der stöbert in einer Ecke in Heimwerkerzeitschriften.

      Dieses Lächeln gilt also mir?! Umso schlimmer! Was mache ich denn jetzt? Wie sehe ich überhaupt aus? Seit Ewigkeiten nicht rasiert, die Haare zottelig wie ein Fraggle. Und nun so was! Ausgerechnet! Es gibt sieben andere Tage in der Woche, da fühle ich mich attraktiver!

      Ich bleibe wie angewurzelt stehen und starre sie mit offenem Mund aus etwa einem Meter Entfernung an. Sie hält meinem Kuckucksblick unerschrocken stand.

      PFUMP! Es knistert und knallt in meinem Kopf, Gefühle explodieren in bunten Farben. Alle Geräusche verschwinden in einem vergessenen Geruch von Nähe.

      PFUMP! Sie wirbelt altvertraute Erinnerungen in mir auf. Für einen Moment denke ich, ihre Stimme zu kennen oder ihr schon mal als Ameise begegnet zu sein.

      PFUMP! Ihre Augen blicken direkt in mein Epizentrum der Begierde und der Neugier.

      PFUMP! Ich bin Feuer und Flamme, gründe in der Phantasie eine Familie, habe den besten Sex meines Lebens.

      Gedankenverloren höre ich nicht, wie hinter mir die automatische Tür aufgeht.

      Jähzornig stößt mich der grauhaarige Holzspatel mit der Kraft der zwei Herzen an. »Junger Mann, das ist hier kein Stehimbiss! Wollen Sie jetzt bestellen?«

      Ich schrecke hoch.

      Plötzlich steht Murat neben mir, legt mit einem kühlen Lächeln eine Ausgabe von Selbst gedacht, leicht gemacht auf die Theke und sagt: »Hallo Ayse, zwei Kaffee bitte!«

      Meine Taucheruhr piept und zeigt die Fehlfunktion meines Sprachzentrums an. »Warmmacha kaputt!« stammele ich mit rotem Kopf wie nach einem Esslöffel von Murats Salsa.

      Ayse blinzelt kurz, als habe sie einen Regentropfen abbekommen. Dann huscht wieder die warme Sonne des Frühlings über ihr Gesicht – und ich kann gar nichts dagegen tun.

      Was wäre, wenn Adam und Eva sich nicht verliebt hätten?

      Abstelltraum

      Wir haben auf eBay bei einer riesigen Geschäftsauflösung in Bayern zugeschlagen und warten nun seit den frühen Morgenstunden hinter der Schaufensterscheibe gespannt auf unsere erste Lieferung. Murat zählt nervös jede verstreichende Minute und ich zeichne Tic Tac Toe auf das verschwitzte Glas.

      Gegen Mittag hält endlich ein Laster quer auf dem Bürgersteig. Ein Schluchtenscheißer in einem bekleckerten Unterhemd hüpft heraus und rangiert mit einem Hubwagen auf der Ladebühne herum.

      Als Murat das Butterschiff entdeckt, stürzt er hektisch aus dem Laden und glotzt Bass erstaunt auf die beiden Holzcontainer, die sich direkt vor seine Füße senken. »Voll krass, Mann!«, murmelt er.

      Mürrisch wirft mir der Alpentoni die Frachtpapiere hin, schiebt rumpelnd die Fichtensärge ins Lager und springt kurzerhand zurück in seine bunt beleuchtete Fahrstube. Bald darauf bläst der Dieselmotor dicke, schwarze Rauchwolken durch den Schnorchel, in den nahe gelegenen Häuserschluchten hallt das Zischen der Druckluftbremse wie ein Donnergrummeln.

      Murat tanzt die ganze Zeit umher wie ein Derwisch zum Zuckerfest, bis ich ihn die Brechstange suchen schicke.

      »Wo bleibst du?«, blaffe ich, als er wieder auftaucht, nehme ihm den Polenschlüssel aus der Hand und hebe damit krachend und knarzend den vernagelten Deckel an.

      »Mach das Licht aus, hol die Kerzen und bring den Asti aus dem Kühlschrank mit«, befehle ich, »diese Situation wollen wir genießen wie das erste Mal!«

      Ich bin mir nicht sicher, ob er weiß, was ich meine, warte aber geduldig, bis er mit dem Stearinstängel neben mir steht. Langsam beginne ich den Countdown und nehme bei jeder Zahl einen großen Schluck. Exakt bei »Null« splittert die Paneele auseinander und poltert zu Boden.

      In seinem Übereifer haucht Murat das Wachsfeuerchen aus und wir stehen im Dunkeln. Als er das grelle Neonlicht wieder einschaltet, löst sich die Spannung auf wie eine Aspirin plus C im warmen Wasser. Ich bin mir jetzt sicher, dass er nicht wusste, was ich meine.

      Ungeschönt blicken wir auf eine Lage aufgeweichter Faltkartons, ein feiner Pelz nagt schon in den Ecken. Mit dem Kuhfuß schiebe ich den matschigen Pulp beiseite und lande bei einer noch trockenen Schicht.

      Ich stutze und schaue Murat an. »Was hast du da gekauft?«, frage ich ihn giftig.

      »3800 Wundertüten!«

      Mir fällt scheppernd das Nageleisen aus der Hand. Der Spumante flutet mir direkt ins Stammhirn und hält die Gipfelkonzentration auf letaler Plateauhöhe. Mein Augeninnendruck steigt, meine Zunge klebt am Gaumen, in meinen Ohren rauscht ein Intercity und meine Wutschnur kann jeden Augenblick zerreißen. Schaum quillt mir aus dem Maul, ungelenk schleudere ich meine Arme hin und her.

      Murat weicht bleich zurück, taumelt und sucht hinter dem zweiten Pritschenkoffer Deckung.

      Mit zitterndem Finger zeige ich darauf.

      »Wa i da in?«, quetsche ich zwischen den Zähnen hindurch.

      »Da … da«, stammelt er, »sind Puzzles drin!« und rennt los.

      Das Glockenspiel am Eingang donnert klirrend an die Decke und Murat verschwindet in einer Schülerbrandung, die in diesem Moment aus einem Bus strömt. Fassungslos gaffe ich ihm hinterher. Ich will ihn jagen und reißen wie der Wolf das Lamm, aber meine Beine schlurfen nur müde über den Boden, als habe mir ein abhängiger und hagerer Anästhesist seine Tagesdosis Fentanyl verabreicht. Krachend falle ich gegen die hölzerne Laube und rutsche an ihrer Nordwand herunter, erboste Späne schlagen mir in den Rücken. Schwer verwundet robbe ich mich zum Bierkasten und versuche, mir mit tauben Händen eine Flasche zu öffnen. Dann holt mich der Nachtfrost, die Tür bleibt sperrangelweit offen.

      Am anderen Morgen liegt knietief dichter Schnee auf den Straßen. Er hat sich schon zwei Meter durch das Mauerloch zu mir hindurchgefressen und meinen Bockermann bis auf den Knochen abgenagt. Ich schrecke hoch, als mir ein Schneeball genau in die Fresse fliegt. Schnaubend puste ich den Eisrotz beiseite und schaue hinaus. Draußen steht Murat, vermummt wie Tenzing Norgay beim Everestaufstieg 1953.

      Er lehnt an einem Schneeschipper und ruft: »Na, ist das ein geiles Wetter?«

      Stutzig sehe ich mich um. Flüchtige Gedanken rauschen mit exakt 33⅓ Umdrehungen pro Minute um einen silbernen Mitteldorn durch meinen Hippocampus. Der Tonarm setzt knackend im Jahr 1979 auf, Kiss stürmen unaufhaltsam die Charts. Wir Jungs spielen Luftgitarre auf dem Schulhof wie Paul Stanley und die Mädchen knabbern Flips auf Kellerpartys.

      »Du Spinner, mach die Tür zu und geh in die Schule!«, brülle ich raus.

      Murat tritt einen Schritt näher. »Ist dir nicht gut, Chef?«, fragt er und stupst mich mit dem Schipperstiel an wie eine tote Robbe.

      Polternd hüpft der Abtastdiamant über die schwarzen Vinylrillen meiner Zeitplatte ins Jahr 1984. Verpickelt stehe ich mit Lederschlips beim Abschlussball, sämtliche Bräute unter 90 Kilogramm sind vergriffen. Übrig bleiben nur noch Pommes-Walli mit einer vier Pfund schweren Brille und einem lahmen Bein und die schnelle Schantall, die mit jedem schon mal hinterm Vorhang auf Tuchfühlung war, nur mit mir nicht.

      »Und es hat Zoom gemacht«, singe ich fröhlich den Klaus.

      »Das merke ich«, sagt der Kaffeeröster mir gegenüber und zeigt auf zwölf verstreute, leere Bierflaschen, »hast du die alle getrunken?!«

      Ich zucke zusammen und stoße wieder an den massiven Drehteller in meinem Schädel. Dumpf schlägt die Nadel diesmal im Jahr 1989 auf. Mit lautem Getöse kracht ein schwarzer Knight Rider bei seinem Weltrekord-Sprungversuch über die Berliner Mauer mitten hinein. Sie stürzt ein wie ein Altenburger Kartenhaus. Ein terracotta-gebrannter