Franco Bollo

Quergefönt


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dafür ausstellen lassen kann, gibt Murat Gas und rauscht den Weg an den langen Blechhallen vorbei. Direkt vor dem Haupteingang quetscht er sich auf einen Frauenparkplatz zwischen zwei verbeulte Twingos. Wir zwängen uns durch die Kofferraumtür und stolzieren nach draußen. Die Sonne lacht uns zu, wir umarmen uns und gehen unter bewundernden Blicken auf dem roten Teppich zum Portal.

      Mit einem Mal huscht Ayse an uns vorüber und verschwindet ebenso Hals über Kopf wieder im Getümmel. Mir stockt der Atem, zittrig nestele ich nach dem Einlassticket, reiche Murat seines und sprinte hinterher. Erst jetzt bemerke ich, dass ich den falschen Weg erwischt habe und im Fluss der zeitgleichen Eventausstellung Einfach Frau sein schwimme. Panisch versuche ich noch umzudrehen, doch ich werde vom immer dichter werdenden Strom mitgerissen und skrupellos in den Plüschtempel der pastellfarbenen Begehrlichkeiten geschoben. Überfüllte Themen- und Verkaufsstände über Schmuck, Parfüm, Dessous, Wellness, Fitness, Haartrends, Dekorieren, Urlaub und Trennungsberatung säumen meinen verzweifelten Weg.

      In der Brandung erkenne ich Renzo, der abseits an einem Bierstand auf einen winzigen Fernseher starrt, auf dem das Livespiel um den Spitzenplatz soeben angepfiffen wird. Was macht der denn hier?

      Ehe er mir diese Frage beantworten kann, spuckt mich die letzte Welle direkt an den Stand der Weight Watchers. Ein Pulk blondierter Perückenschafe und Beratungsopfer tauscht Ernährungstipps aus, studiert Flyer und Punktetabellen. Dazu bietet eine spindeldürre Diätassistentin, die einer Brausestange Konkurrenz machen könnte, gedünstete Rohkostschnitzel auf ungeschältem Wildreismantel, grüne Tees und stille Wasser an.

      Eine Marktbude weiter hält die Vorsitzende des Anorexieverbandes Rund war die Frau einen Multimediavortrag zum Thema Ich esse meine Suppe nicht und projiziert ein verzerrtes, dünnes Kerlchen auf Wand und Decke.

      »Ayse ist eh verschwunden«, denke ich mir und zaubere mit den Händen ein tolles Schattenbild eines Murmeltieres, bis ich erbost mit Süßstoffwürfeln beworfen werde. Ich flüchte mich hinter einen Vorhang, als ein schriller Schrei das Gebet zerreißt und von den kalten Metallwänden jäh zurückgeworfen wird. Geschockt drehe ich mich um und blicke in Ulla Popkens nackte Augen. Noch bevor ich ihr zu ihrer guten Figur gratulieren kann, schlägt sie mir ihr handgeflochtenes Weidentäschchen um die Ohren und jagt mich trampelnd aus dem Zelt. Dutzende Pröbchen, bedruckte Einkaufswagenchips, Traubenzucker, Rabattgutscheine, Feuerzeuge und Kugelschreiber purzeln kunterbunt umher. Es sieht aus wie in Wacken am dritten Tag des Open Air-Festivals.

      Erst am Ha-Ra-Stand kann ich den übergewichtigen Modeirrtum endlich abschütteln, indem ich mich durch ein Nest damenbärtiger doppelter X-Chromosomenträger in die vorderste Reihe drängele.

      Eine ganze Halbzeit später schleiche ich mit einem revolutionären neuen Putzsystem mehr und einem gefühlten Monatsverdienst weniger von dannen und schleppe mich zur Wellnesslounge. Erschöpft mache ich es mir in einem Massagesessel bequem.

      Das schwarze Leder verschmilzt mit meinem durchgeschwitzten Shirt zu einem elastischen Neopren. Geschickt streife ich mir mit der Hacke die Schuhe ab, werfe meine letzten fünf Euro in den Automatenschlitz und schaue auf mein Handy. Ich will schnell die Zwischenergebnisse abrufen, als mich vier eiserne Pranken von hinten packen. Zwei stiernackige PEZ-Gesichter mit offenen Mündern und schiefen Nasen nicken stumm zur Ausgangstür. Rasch umkreist mich eine Traube geifernder Weiber, klatscht in die Hände und skandiert synchron: »Aus-zieh'n! Aus-zieh'n!«

      Ich denke an meine Popeye-Unterwäsche und lasse mich ohne Widerstand hinausbegleiten.

      Draußen hängt die Sonne bereits tief am Horizont und ein verführerischer Bratwurstduft liegt in der schon kühlen Abendluft. Bargeldlos, barfuß und blinzelnd folge ich ihm über den Parkplatz. Schon in der Ferne sehe ich Murat mit Ayse lachend auf der Ladekante unseres Autos sitzen. Das Radio plärrt und die beiden trällern verliebt Tarkans einzigen Hit. Ich schleiche mich an, verstecke mich hinter einem Twingo und warte gespannt auf die Fußballübertragung. Endlich schaltet der Sender ins Stadion, es läuft die Nachspielzeit. Die Partie steht auf der Kippe und die letzten Angriffsbemühungen rollen an. Schrille Reporterstimmen aus dem Off versuchen, die laufende Moderation zu überschreien. Die Bayern bekommen wie immer einen unberechtigten Elfmeter geschenkt. Fluchend kicke ich einen Kiesel weg.

      Unvermutet kommt die Drahtbürste aus der Umkleidekabine Hand in Hand mit einer Gewichtsguckerin auf meine Deckung zu. Gerade noch rechtzeitig kann ich mich mit einem kühnen Sprung zur Seite retten und unter den Renault kriechen. Doch zum Glück bemerken mich die beiden Tuppertanten nicht. Kichernd verstauen sie ihre prall gefüllten Seegraskörbe, steigen ein und brausen davon.

      Als der Torjubel der sprachdefizitären Südstaatentruppe mit Migrationshintergrund dumpf durch das Bodenblech dringt, stoße ich mir den Kopf und stöhne auf. Aufgeschreckt guckt Murat wie ein Strauß zwischen seinen Beinen hindurch und entdeckt mich.

      Ertappt schäle ich mich aus meinem Versteck.

      »Alles klar«, sage ich und wische mir die öligen Hände an der neuen Jeans ab. »Der Zylinder ist repariert! Wir können weiter! Pass aber diesmal besser auf!«

      Murat schaut mich an wie ein Playmobil-Sultan und ein winziges Lächeln huscht über Ayses Gesicht.

      Nächste Woche ist wieder Messe, das Thema heißt Mann sein!

      Da gehe ich sicher hin, Gina Wild gibt Autogramme!

      Was wäre, wenn Diät dick machen würde?

      Übergangsbinde

      Es dämmert schon, als wir schweigend zurückfahren. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach.

      Längst glaubte ich, über Ayse hinweg zu sein. Zumindest wollte ich das so, bis ich sie vor ein paar Tagen im dm-Markt an der Kasse traf. Wir plauderten süß daher, als ich entsetzt bemerkte, dass sie eine große Packung Kondome mit Fruchtgeschmack und ein Döschen Kieselsäuretabletten auf das Band legte. Ab da war es mit der Träumerei aus und vorbei, vergessen und verloren. Ich brachte keinen einzigen Ton mehr heraus und knallte stumm den Trennstab hinter ihre Lustartikel. Desillusioniert griff ich nach einem Karton Slipeinlagen aus dem Sonderangebot und packte ihn zu meinem Nasenhaarschneider, der Zahnseide und der Anti-Grau-Tönung. Ohne auf mein Wechselgeld zu warten, verließ ich den Ort der trügerischen Eitelkeiten.

      Aber jetzt huscht mir Ayse doch wieder durch den Sinn. Tausend kleine schillernde Momente fallen mir ein. Wie ihre dunklen Augen funkeln, ihr Lachen strahlt oder sie ihre langen Haare zwischen Daumen und Zeigefinger zwirbelt. Ich denke an die winzigen Grübchen auf ihren Wangen, wenn sie lacht. Die Luft flimmert zart und ihre Nasenflügel vibrieren ganz sanft, wenn sie spricht.

      Ich schaue zu Murat und muss husten. Er raucht schon die dritte steuerfreie Tabakfackel, die er stangenweise von Renzo kauft. Das Zeug qualmt wie ein isländischer Vulkan, die Sicht ist schlecht.

      Mit hohem Tempo taucht auf einmal dicht vor uns ein riesiger Tiefkühlwagen aus dem Nebel auf. Wild hupend reißt Murat das Lenkrad herum, prügelt den zweiten Gang rein, ohne zu kuppeln und treibt unsere Droschke auf der linken Spur Zentimeter um Zentimeter an den rasenden Eiswürfel heran. Ich blicke empört in seine dunklen Innereien und erkenne den Bofrostmann, der abgelenkt an seinem Navi herumfummelt. Hinter uns bildet sich ein Rückstau von drei Kilometern Länge und das Radio berichtet über eine Vollsperrung.

      Murat gestikuliert wie ein betrogener, arabischer Kamelhändler und rauscht schließlich an unserer Ausfahrt vorbei.

      Orientierungs- und hoffnungslos fahren wir nun schon seit Stunden über eine schier endlose Landstraße. Es ist mittlerweile stockdunkel, selbst die Scheinwerferkegel des Rapids werden nach etwa zwei Metern unbarmherzig wie von einem riesigen, schwarzen Maul verschluckt. Die Tankanzeige ist bereits im zweiten Untergeschoss angekommen und blinkt flackernd. Fieberhaft taste ich unter meinem Sitz nach dem Reservekanister, um festzustellen, dass ich ihn im Heizungskeller vergessen habe. Die Chance, lebend gefunden zu werden, wenn uns jetzt und hier der Sprit ausginge, gleicht dem Wirkstoffgehalt einer homöopathischen Hochpotenz. Angespannt hält Murat auf einer kleinen Anhöhe an, schaltet den Motor aus und dreht das Radio stumm. Ohne zu wissen, warum, gehe ich nach hinten, setze mich auf die Laderaumkante und