Franco Bollo

Quergefönt


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auf die Bühne.

      Einer trifft mich hart am Kopf, ich erwache.

      »Murat, was ist los?«, frage ich, »warum räumst du nicht auf?«

      »Chef, bist du nicht mehr sauer?«

      Ich rappele mich hoch, »los, wir müssen die Ware auspacken und den Laden aufmachen! Was stehst du hier so dumm rum und hältst Maulaffen feil?«

      Was wäre, wenn die Zeit rückwärts liefe?

      Strebergarten

      Unbeirrt gehe ich am versteinerten Murat vorbei, sammle die umherliegenden Bierflaschen in den Kasten zurück und stelle ihn direkt auf seine Fußspitzen.

      »Musste das sein?«, ranze ich ihn an, »du weißt doch genau, dass heute Eröffnung ist!«

      Murat starrt weiter in den hohlen Raum, ein bisschen Schnee rieselt ihm aus den Haaren und lässt mich vermuten, dass er noch nicht ganz mumifiziert ist.

      »Wie siehst du überhaupt aus?«, frage ich vorwurfsvoll.

      »Also, ich, äh …, du hast …«, stammelt er sich in den Schnauz.

      »Ach, red jetzt keine Opern, hilf mir mal, ich krieg die Kiste hier nicht auf. Bin mal gespannt, was ich da günstig ersteigert habe!«

      Wortlos überreicht mir Murat die Spitzhacke und guckt sich argwöhnisch um, als könne jeden Moment ein Flaschengeist erscheinen und ihn zur ewigen Knechtschaft zwingen.

      »Wovor hast du Angst?«, necke ich ihn, »da springt niemand raus und packt dich!«

      Doch der Schisser bleibt in seiner Deckung.

      »Buh!«, mache ich, hebe meine Hände in die Höh‘ und gehe einen Schritt auf ihn zu.

      Murat hüpft einen rekordverdächtigen Dreisprung rückwärts und starrt mich kreidebleich an wie eine rostige Drei-Zentner-Bombe aus dem 2. Weltkrieg. Sein verwaschenes I love NY-Shirt klebt klamm auf seiner Haut.

      »Sche-Herz!«, lache ich und schlage mit einem einzigen gezielten Hieb ein riesiges Loch in den Container. »O‘zapft is!«

      Dann stake ich durch das umherliegende Splitterholz und linse ins Innere.

      »Ich glaub‘s nicht! Komm her, Murat, das musst du dir unbedingt anschauen!«

      Vorsichtig wie ein Igelpärchen beim Geschlechtsverkehr trippelt er Schritt für Schritt auf mich zu und lugt ungläubig über den Kistenrand. Sein Kinn fällt dumpf aus der Fassung, kleine ekstatische Stromimpulse durchzucken seinen Körper, als er die bunten Plastikbausteine erblickt. Begeistert greift er bis zu den Ellenbogen hinein, wühlt das Unterste nach oben und schaufelt schließlich einen Leuchtstein empor. Sofort rennt er nach hinten und kramt klöternd in einer Klappkiste nach einer 4,5 Volt-Flachbatterie. Stolz, als habe das Osmanische Heer Wien doch eingenommen, kehrt er im Schein der mattgelben Soffitte zurück.

      »Sie brennt sogar«, sagt er mit breiter Brust. »Weißt du noch, was wir damit alles angestellt haben?!«

      »Na klar«, rufe ich glückselig, »du hast den Stein wie einen Scheinwerfer in mein Polizeiauto gebaut!«

      Murat umschließt den Noppenquader sanft mit der hohlen Faust und schielt ins Innere. »Willst du auch mal?«, fragt er.

      Andächtig blinzele ich durch einen Spalt zwischen seinen Fingern, sie riechen nach Marlboro und Hammelfleisch.

      »Dann war er plötzlich weg, meine Mama hatte ihn eingesaugt«, sage ich mit erdrückter Stimme.

      Murat versteift, schaut geniert zu Boden und lässt die Hand sinken. »Weißt du, das war …«, stammelt er, »das war … das war nicht der Staubsauger. Ich habe ihn versteckt, weil ich neidisch war! Hier«, sagt er und hält mir den Lichtwürfel hin, »er gehört dir!«

      Ich blicke ihn an und muss ihn schlicht umarmen. »Komm, wir schauen, ob wir noch einen finden!«

      Gemeinsam stoßen wir hinab bis zum Grund der hölzernen Trommel, rühren und rieseln winzige Einer, blaue Vierer und breite Achter, zerbrochene Fenster, Räder ohne Reifen und sogar einen seltenen fluoreszierenden Sechser empor. Schließlich schütten wir die ganze Litfaßsäule aus und kramen fieberhaft darin herum, bis sich endlich ein zweiter Glimmblock wie von selbst aus den unendlichen Weiten der Legogalaxien materialisiert. Unerwartet liegt er da, als sei er nie weg gewesen. Ich jubele glucksend in mich hinein, Murat strahlt wie ein kleiner Junge am Weltspartag, dem ein greiser Filialleiter für seine mühsam gesammelten 47 Kupferstücke einen schielenden Plüschhasen überreicht.

      Sofort beginnen wir, aus dem Gedächtnis unsere alte Feuerwache mit Hubschrauberlandeplatz und Garage für den Notarztwagen wieder aufzubauen. Wie Dagobert Duck lassen wir uns die Plastikwürfel über den Kopf rieseln, als seien es Goldstücke, wir singen und tanzen mit bloßem Oberkörper und feiern bis zum Abend.

      Plötzlich klopft es und ein kalter Wind bläst in den Geldspeicher. Erschrocken wie ein überraschter Liebhaber blicke ich auf. Meine Gedanken zerplatzen wie Seifenblasen im Kinderzimmer, als ich Ayse in der offenen Tür stehen sehe. Sie trägt eine völlig durchnässte Kuchenpappe in ihren Händen. Dicke Regenschnüre laufen sturzbachartig von ihrer Nase und aus ihren Haaren zu Boden.

      Dann hält sie mir das Gebäckpaket entgegen.

      »Alles Gute zur Eröffnung«, sagt sie, lächelt süß wie Paris Hilton in Gummistiefeln und ich wünsche mir, die Sonne würde nie wieder scheinen.

      Was wäre, wenn der rechte Winkel 180 Grad hätte?

      Kassensturz

      Heute ist ein besonders schwarzer Freitag. Keine Menschenseele hat sich in unseren Laden verirrt, den wir vor etwa drei Monaten eröffnet haben. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss der Geldkassette und drehe ihn um. Im Dunklen kullert eine Rolle Kupfer herum und ein paar Silberlinge hocken dicht gedrängt um einen kleinen geknickten Zettel. Sonst nix. Ich nehme ihn und falte ihn auf. In seiner krakeligen Schrift hat Murat unleserlich etwas notiert, das jede Grundschuh(!)-Referendarin zum freiwilligen Exil im analphabetischen Neustrelitz getrieben hätte.

      Ohne Umschweife wähle ich die Nummer seines Bruders. Irgendwo in Istanbul geht einer dran. Ich höre gutturales Geschnatter und ein rasselndes Dönermesser.

      »Ist Murat da?«, schreie ich gegen einen Flachbildschirm an, der im Hintergrund die türkischen Top40 plärrt, »hier ist Chef!«

      Eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung ruft seinen Namen rüber zum europäischen Teil der Stadt.

      »Efendim?«, kräht es ein paar Minuten später.

      Dann rappelt und röchelt es furchtbar wie eine Klospülung in der Sommerdürre und mit einem Schlag ist der Draht still.

      Entnervt schleudere ich den Telefonknochen auf den Tisch, knülle den Zettel und versenke ihn über Bande in der Rundablage.

      Ich mache mir ein Efes-Bier auf, das einzige Gesöff, das ich in diesem Imbiss hier finde. Herb rinnt es meinen Bosporus hinunter und bringt im Marmarameer eine griechische Thunfischflotte auf, die verbittert Gegenwehr leistet. Kaum haben sich die Wellen ein wenig geglättet, stoße ich kräftig ins Nebelhorn und der tranige Nachgeschmack lässt mich schwindeln.

      Rudernd suche ich Halt an der dämlichen Rattangarderobe, die Murat von seinen stolzen Eltern zur Einweihung geschenkt bekommen hat. Wie ein angeschlagener Boxer umklammere ich das gebeizte Peddigrohrmöbel und taumele damit schwankend hin und her. Das kiloschwere magische Auge an der goldenen Panzerkette, das darin baumelt und uns vor bösen Blicken und Wasserrohrbrüchen schützen soll, gerät in ungestüme Rotation und trifft mich hart an der Schläfe. Mein rechtes Sehobjektiv schwillt unaufgefordert zu und ich pralle mit dem Schädel auf den Glastisch.

      Hyperventilierend schnappe ich nach Luft. Gleichgültig und kaltherzig zählt mich die Schwarzwälder Kuckucksuhr über der Tür an. Erst das Piepsen meiner Taucheruhr bewahrt mich in letzter Sekunde vor dem endgültigen Knockout.

      Immer noch benommen