Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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      Er hatte noch während der iberischen Kriege angeordnet, dass etwas mehr als hundert junge Kriegerinnen und Krieger, ausschließlich britannischer Herkunft und aus besten und loyalsten Familien rekrutiert wurden und nun in Sherwood Castle von erfahrenen Offizieren, Veteranen der kontinentalen Feldzüge und Eroberungen eine Ausbildung erhielten. Offiziell wurden in Sherwood Castle also nach wie vor Führungseliten für das imperiale Heer geschult, doch in Wirklichkeit entstand dort das Schwert, das – so hatte es der Großkönig einmal formuliert – der vielköpfigen Hydra der kontinentalen Herrscherhäuser mit einem gewaltigen Schlag alle Köpfe nehmen sollte.

      Edward war stolz auf seine Idee und wie sie von den Veteranen umgesetzt wurde. Was sie aus den jungen Britain gemacht hatten und noch machten, entsprach ganz exakt den Vorgaben des Großkönigs. Diese jungen Kriegerinnen und Krieger wurden auf die unumstößliche Treue zu ihrem Großkönig getrimmt und waren ihm auch als alleinigem Oberbefehlshaber direkt unterstellt. Zwischen Edward und den Ausbildern gab es keine Zwischeninstanzen. Sie berichteten nur dem Großkönig und nahmen – wie eine Leibgarde – ausschließlich vom Großkönig Befehle entgegen.

      So entstand also eine weitere Kriegerelite im Königreich Britain und erhielt in Sherwood Castle eine vielfältige und ausgesprochen konsequente Ausbildung, die weit mehr umfasste, als die gewöhnliche Ausbildung eines Maskenkriegers.

      Die Ausbildung an den Waffen war natürlich enthalten, doch sie stellte nur das Fundament des gesamten Drills dar. Höfisches Benehmen, diplomatische Schulung und Sprachen gehörten genauso zum Programm, wie die Kunst des waffenlosen Tötens und – als Sahnehäubchen oben drauf – der Umgang mit den unterschiedlichsten Giften und deren Herstellung. Und natürlich waren die Schüler alle mehr oder weniger begabte Adepten der Telepathie. Nur mit Hilfe der Telepathie war es möglich, die Maßnahmen an den einzelnen Höfen so zu koordinieren, dass alle Staatsoberhäupter, alle Könige, Fürsten und sonstigen Anführer auf dem Kontinent in genau demselben Augenblick getötet wurden.

      Edward hatte nie vorgehabt, seinen Enthauptungsschlag offen und in Form einer militärischen Operation durchzuführen. Sein Plan sah vor, die Entmachtung der Gegner mit den Mitteln des Terrors und des heimtückischen Anschlags durchzuführen und genau dazu wurden die Kriegerinnen und Krieger in Sherwood Castle ausgebildet. Aber mehr noch, denn jedes einzelne Mitglied dieser Truppe war in der Lage, sofort nach dem gelungenen Anschlag in die Rolle des jeweiligen Regenten, des königlichen Statthalters zu schlüpfen und die Führung über das Land, die Region, die Ansiedlung zu übernehmen, in dem seine Waffen gerade eben zugeschlagen hatten. Edward ließ eine Hundertschaft hoch begabter und bestens geschulter königlicher Assassinen heran ziehen.

      An der Spitze seiner Suite ritt der Großkönig nun also zu einer unangekündigten Inspektion nach Sherwood Castle. Obwohl sich Britain und sein Wetter von seiner schlimmsten Seite zeigten, wurde Edward immer lockerer, immer aufgeräumter und zu guter Letzt sogar fröhlich, je mehr sie sich Sherwood Castle näherten.

      Der Großkönig wurde von seinen wichtigsten Höflingen begleitet, wobei die Wichtigkeit seiner Begleiter nichts mit dem Amt zu tun hatte, das diese Höflinge bekleideten. Sie waren vielmehr in allererster Linie als Speichellecker und Zuträger Edwards von Bedeutung, sie waren diejenigen, die scheinbar treu und fest zum Großkönig und seinen kontinentalen Eroberungsplänen standen. Dabei war es nicht von Bedeutung, dass die Mehrzahl der königlichen Anhänger noch von Edwards ehemaligen Gemahlin Machilla ausgesucht und protegiert worden waren. Sie stärkten ihm und seinen Plänen den Rücken und deshalb standen sie in seiner Gunst. Wie weit ihre Loyalität tatsächlich reichte, wollte der Großkönig gar nicht wissen.

       „Menschen und vor allem Höflinge sind wie die Steine eines Spieles. Man benutzt sie, man setzt sie zu seinem Vorteil ein und opfert sie schon auch mal aus strategischen Gründen einem Angriff des Feindes. Hast du jemals von einem Spielstein Loyalität verlangt?“

      So hatte es der Großkönig einmal seiner Tochter und Kanzlerin Chelida gegenüber formuliert, als sie darüber sprachen, nach welchen Kriterien er seinen Hofstaat ausgesucht hatte. Solange seine Anhänger die ihnen übertragenen Pflichten zur Förderung Edwards Ideen getreulich wahrnahmen, spielte es keine Rolle, ob sie darüber hinaus auch noch ihre eigenen Vorteile zogen und zu Gunsten eigener Interessen intrigierten. Nur wenn des Großkönigs Interessen hinter die jeweils privaten Aktivitäten gestellt wurden, wurde Edward ungehalten, ein Höfling, der sich so verhielt, bekam sehr rasch mit, wie treu Edward sich selbst und seinen Maximen sein konnte. Der Austausch ging dann schnell, reibungslos und endgültig vonstatten und die Besitztümer der ausgetauschten Höflings vielen der Krone zu. Bislang hatte nämlich noch kein Höfling seinen Austausch überlebt und die Familie eines solchen Delinquenten hatte ebenfalls nicht mehr viel Freude am Leben im Imperium.

      An der Spitze seines Hofstaates folgte der Kämmerer Rodeport dem Großkönig. Er war nach wie vor Edwards engster Vertrauter und Bettgefährte, er hatte die Finanzen des Großkönigs zu verwalten und hielt damit neben der Kanzlerin die entscheidende Schlüsselposition im Imperium besetzt. Rodeports Ehegattin, Mutter seiner vier anerkannten Kinder und Tochter des walisischen Königs war Miracala und sie war die Herrin über das Hofzeremoniell. Auch sie teilte - oftmals zusammen mit Rodeport - das Bett des Königs. Der alte Bengt Oleson stammte ursprünglich aus dem Reiche Dansk, allerdings konnte selbst er sich nicht mehr daran erinnern, wann er dieses Reich im Norden des Kontinents verlassen hatte. Bengt war der oberste Prälat und damit Herr über die – klein gewordene - Riege der Telepathen, die Edward noch zur Verfügung stand. Gunthari of Port war ein eleganter Reiter und Maskenkrieger aus dem Clan des Dachses und der Waffenmeister Edwards. Als bevorzugter Fechtpartner des Großkönigs wusste er mehr als jeder andere am Hof über die mentalen und körperlichen Stärken und Schwächen des Großkönigs Bescheid.

      Diese vier Menschen stellten den engsten Zirkel um den Großkönig dar. Nur wer ihre Protektion besaß, konnte bis in den zweiten Kreis aufsteigen, zu dem ein Dutzend – sieben Männer und fünf Frauen - gehörten, die im Grunde keine echte Funktion in der Verwaltung besaßen sondern sich als persönliche Berater des Imperators betrachten durften. Allerdings, wenn einer dieser Berater sich die Mühe gemacht hätte nachzurechnen, wie oft seine Ratschläge befolgt worden waren, wäre das Ergebnis meist niederschmetternd gewesen. Edward war ein Despot und befolgte letztendlich nur die Eingebungen eines einzigen Gehirns, nämlich seines eigenen. Er hielt sich das Dutzend Berater streng genommen nur aus dem Grund, weil er sich sonst einsam gefühlt hätte und weil er glaubte, der Großkönig eines Imperiums verbreite ohne einen solchen Beraterstab nicht genügend Glanz.

      Erschwerend kam noch hinzu, dass die Angehörigen dieser beiden Zirkel einen recht hohen Preis für ihre herausragende Stellung bezahlen mussten. Wo Edward hin ging, mussten auch sie hingehen und dieser Umstand behagte längst nicht allen Angehörigen der Zirkel. Aber wer gute Miene zum Spiel machte, brauchte sich nach einiger Zeit um seinen wirtschaftlichen Status keine Sorgen mehr zu machen.

      Es regnete in Strömen und die achtzehn Angehörigen der Suite folgten dem gutgelaunten Großkönig mit weit weniger Freude am Leben. Der Regen war eisig und die Tiere der königlichen Karawane – neunzehn Reitpferde, zehn Reservepferde und zehn Packtiere - stampften mit hängenden Köpfen durch den Schlamm der Straßen und Wege, die von Winchester aus nach Nordwesten führten, an den Rand des alten Forstes von Sherwood. Schneller als Schritt zu reiten wäre auf den schlammigen und schlüpfrigen Wegen ausgesprochen gefährlich gewesen für die Gesundheit von Mensch und Tier, da war es besser, das miserable Wetter in langsamem Tempo zu ertragen. Mensch und Tier hatten sich in die Situation gefügt, doch die Laune aller glich exakt dem Wetter.

      Nur der Großkönig hatte glänzend gute Laune. Er lachte manchmal scheinbar grundlos vor sich hin, er summte kleine Melodien oder versuchte seinen Begleitern witzige Unterhaltungen abzuringen. Doch er blieb der Einzige mit guter Laune und Lust auf Unterhaltung.

      Edwards gute Laune hatte einen ganz konkreten Grund.

      Vor wenigen Tagen war ein Bote aus Sherwood Castle am Hof zu Winchester aufgetaucht. Der Großkönig war von seinem Obrist Rigotal Shifford, einem Vetter des in Granada ums Leben gekommenen Thomas, in Kenntnis gesetzt worden, dass die Ausbildung der königlichen Assassinen in längstens sechs Monaten abgeschlossen sein würde. Dann konnte man die jungen Leute