Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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einzukaufen. Ihr Geschick im Handel kann sich mühelos mit allen anderen Händlern messen, denen sie jemals begegnet sind, doch was tun sie?

       Sie sitzen zu Hause, starren vor sich hin und hadern mit dem Schicksal, denn es gibt nichts, womit sie handeln könnten. Von den Handwerkern erhalten sie keine Produkte und wenn sie diese erhielten, so könnten sie diese nicht auf den Kontinent bringen, denn du hast ihnen alle Schiffe weg genommen, um eine weitere Armee ausrüsten und nach Iberia schicken zu können.

       Auch ihre Häuser zerfallen und auch ihre Kinder hungern und es besteht keine Aussicht, dass sich unter einem wohlmeinenden Imperator etwas ändern könnte.

       Unsere Bauern haben aufgegeben, sich weiterhin gegen die Unbilden des Wetters und gegen die immer häufiger auftretenden Katastrophen zu wehren. Immer weniger bestellen noch ihre Felder und die, welche sich noch abmühen, sind kurz davor zu verzweifeln. Der ständige Regen, die vergifteten Gewässer und ausgelaugten Böden machen es schier unmöglich noch eine Aussaat zum Reifen und zur Ernte zu bringen.

       Deinen Ländern fehlt es an allem, nur nicht an einem:

       Immer noch herrschen deine Adligen über ihre Ländereien und saugen ihnen von dem Wenigen, das hergestellt wird noch den größten Teil ab, um selbst auch in diesen schrecklichen Zeiten noch wie die Maden im Speck leben zu können.

       Und was tust du dagegen, großer Imperator?

       Du stiehlst Schiffe und bildest neue Krieger aus. Du versuchst immer noch Söldner zu bekommen und versprichst den Herrschern der Pikten, der Bulgar und der Polska das Blaue vom Himmel, ohne es jemals gesehen zu haben. Zum Glück glauben sie dir nicht mehr. Sie schicken dir keine Krieger mehr, denn sonst befänden wir uns schon längst wieder in einem deiner aussichtslosen Kriege.

       Doch selbst wenn sie dir wieder Krieger schickten, du könntest diese Krieger nicht zum Kontinent transportieren, denn es gibt niemand, der die von dir beschlagnahmten Schiffe auch bedienen könnte. Die Seeleute, die sich auf diesen Schiffen befanden, hast du ja sinnigerweise aufhängen lassen.

       Wann begreifst du also endlich, dass deine Pläne nicht aufgehen werden und unser Reich nur am Leben bleiben wird, wenn wir mit dem Kontinent zu handeln beginnen? Wir müssen das tun, was Chelida und ich dir nun seit Jahren predigen. Unsere Inseln müssen wieder bewohnbar werden, ansonsten geht dein Imperium unter.“

      Keines dieser Argumente war dem König neu. Auch wenn er behauptet hätte, er wisse nichts von den bedrückenden Zuständen in seinem – geschrumpften – Reich, wäre das nicht die Wahrheit gewesen. Aber Edward hatte eine Methode entwickelt, wie er sich vor dieser Wahrheit verschließen konnte. Er hatte sämtliche Audienzen zu Gunsten der Bevölkerung eingestellt. Wer dem Großkönig etwas mitzuteilen hatte, gelangte bis zu den Höflingen unter der Führung des königlichen Kämmerers Rodeport of Sussex und schon brauchte Edward sich nur noch mit sorgfältig gefilterten Informationen auseinander zu setzen. Rodeport und sein Klüngel ließen nur Informationen zum König gelangen, die Beschwerden des Adels behandelten. Man schilderte ihm die schrumpfenden Einnahmen der Königssteuer, die ausschließlich beim Adel erhoben wurde mit der Tatsache, dass die Bevölkerung sich als immer fauler und unwilliger entpuppte und selbst unter Einsatz von Waffengewalt kaum mehr zur Zahlung ihrer Abgaben zu bewegen war. Die Barone und Grafen, die Earls und Herzöge, die Unterkönige, sie alle waren angeblich nicht mehr in der Lage, mehr als einen verschwindend geringen Beitrag an die königlichen Kasse abzuführen, weil sie selbst kaum mehr Einkünfte hatten. Die einzigen Informanten, die den König von der echten Realität unterrichteten, waren Borasta und Chelida.

      Edward war aber nicht bereit, die Wahrheit zu akzeptieren. Er wollte glauben, dass er ein Volk von Rebellen und Aufständlern führte, das seinen Vertretern im Land ihm das Leben derart schwer machten. Er wollte glauben, dass es nur zwei Alternativen für das Imperium gab. Entweder musste er Krieg gegen sein eigenes Volk führen, um die Steuerdisziplin wieder herzustellen, oder aber er war gezwungen weitere Kriege auf dem Kontinent zu führen und auf diesem Weg wieder zu Einnahmen zu kommen.

      Edward aber wollte nichts anderes, als dieser zweiten Alternative zu folgen. Er sah den immer wieder von Borasta und Chelida vorgeschlagenen Weg der inneren Erneuerung als nicht gangbaren Weg an, als Sackgasse, als untauglichen Versuch, ihn von weiteren Eroberungen abzuhalten. Also ließ er kompromisslos alle Schiffe beschlagnahmen, auch die aller Kaufleute und Händler, die einen der Häfen des Imperiums anliefen. Dabei spielte es keine Rolle, woher die Eigentümer der Schiffe stammten. Imperiumsschiffe wurden genauso kassiert, wie die Schiffe aus fremden Ländern. Auch die Größe der Schiffe spielte keine Rolle mehr. Ob einen dreimastigen Schoner oder eine kleine Barkasse, Edward hatte für jede Nussschale eine Verwendung:

      Gewaltsam requirierte Krieger des Imperiums auf den Kontinent zu bringen, um dort Eroberungen und Raubzüge durchzuführen.

      Eroberungen wurden immer schwieriger und zu guter Letzt sogar völlig unmöglich, denn Edward mangelte es seit den iberischen Kriegen und den dortigen, katastrophalen Niederlagen an allem, was die frühere Überlegenheit der imperialen Heere ausgemacht hatte.

      Seine Seeleute waren schlecht ausgebildet und nur mit viel Glück in der Lage, ein Schiff über das raue Wasser des Kanals zum Festland zu bringen. Er hatte mit seiner Flotte in Malaga nicht nur die mehr als zwölf Dutzend großen Schiffe verloren, sondern praktisch auch alle fähigen Navigatoren und Kapitäne.

      Es gab kaum mehr Prälaten und – nicht weniger schlimm – die wenigen Gehirnverbieger, die er seinen Heeren noch mitgeben konnte, stießen bei den kontinentalen Verteidigern immer häufiger auf gleichwertige und sogar besser geschulte Adepten, so dass sich die Kämpfe immer mehr auf die reine Ebene der physischen Gewalt reduzierte. Ohne Pikten, Bulgar, Polska und Mauren aber waren die imperialen Truppen auch in diesen Bereichen den Festlandtruppen unterlegen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der König seinen Kriegern kaum einen Sold bezahlen konnte, ohne zuvor Beute gemacht zu haben und wenn etwas erbeutet worden war, verschwand es viel schneller in den Taschen der Adligen und Offiziere, als die wenigen, dem Großkönig noch loyalen Hofbeamten Ansprüche geltend machen konnten. Truppen aber, die nicht einmal so viel Sold erhalten, dass sie ihre Ausrüstung instand halten können, sind selten übermäßig treu und schon gar nicht außer der Reihe tapfer.

      So entwickelte sich in weniger als drei Jahren etwas, das schon in längst vergangenen Zeiten den Umgang des Kontinents mit dem Inselimperium Anglialbion geprägt hatte. Aus Kriegen und Eroberungen wurden letztlich Raubüberfälle. Dies wiederum führte aber dazu, dass die Überfallenen sich schon bald nicht mehr um Kriegsrecht und um damit verbundene Gepflogenheiten kümmerten.

      Die Krieger des Imperiums wurden behandelt wie das, was sie ja letztlich auch waren, wie Banditen. Ein Krieger der auf dem Festland gefasst wurde, hatte nichts anderes als den Tod durch den Strang zu erwarten. Ohne Gerichtsverhandlung, ohne Einspruchsmöglichkeit und ohne Gnade.

      Eigentlich wäre es schon am Ende des zweiten Jahrs nach der Schlacht von Granada sinnvoll gewesen, wenn eine kontinentale Armee den Kanal überquert und Anglialbion dem Erdboden gleich gemacht hätte. Doch dazu kam es nicht, dazu war der Respekt vor den Prälaten und den Tiermaskenkriegern auf dem Kontinent offenbar immer noch zu groß. Alle Regionen, alle Souveräne, alle Länder waren sich einig, dass es richtiger war, dem Imperium weiter Friedensangebote zu machen und Handelsabkommen anzubieten.

      Unter dem Eindruck dieser Situation entstand in Edwards Gehirn ein Plan, den er schon bald genauso fanatisch pflegte und verfolgte, wie er zuvor seine angeblich göttliche Sendung gepflegt und verfolgt hatte.

      Edward plante den Königszug.

      Er hatte vor, einen so genannten Enthauptungsschlag durchzuführen und ließ dazu eine Hundertschaft handverlesener Krieger ausbilden. In einer einzigen, präzise koordinierten und durchgeführten Aktion sollten sämtliche Führer auf dem Kontinent abgeschlachtet werden, danach konnte man die Kriege und Eroberungen mit neuem Schwung fortführen.

      Edward hatte eigenhändig eine Rangliste für diese Aktion erstellt und an oberster Stelle dieser Liste stand der Name Shandra el Guerrero.