Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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aus dem Meer und fand auf Grund der guten Beschreibung die ihr die alter Frau am Fluss gegeben hatte, recht rasch die kleine Bucht, an deren Ufer das aus Treibholz gebaute Haus stand in dem der Bruder der Alten lebte. Der Mann war zu Hause und erstaunlicherweise auf Machillas Besuch vorbereitet. Machilla war nie aufgefallen, dass die Alte telepathische Kräfte besessen hatte. Doch nur auf diese Art konnte eine Nachricht schneller in das Haus an der Küste gelangt sein, als Machilla.

      Der Mann lebte nicht weniger einsam und zurück gezogen, als seine Schwester und auch er war schon sehr alt, obwohl er mit weniger Jahre belastet war, als seine Schwester. Er empfing die fremdartige Frau nicht mit offenen Armen, doch er war auch nicht übermäßig abweisend. Machilla erfuhr von ihm, was sie wissen wollte.

      Auf der anderen Seite der Meerenge, die man auch den „Kanal“ nannte, vor der Küste des Landes Franca gab es zwei größere und eine ganze Reihe kleinerer Inseln, die von Menschen völlig unbewohnt waren. Die größte dieser Inseln hieß Jersey und auf Grund der Beschreibung des alten Mannes kam Machilla zu dem Entschluss, dass diese Insel genau das richtige Zwischenziel bildete, um sich zu erholen und auf die Rache vorzubereiten.

      Schon am nächsten Morgen tauchte sie wieder in die Wellen des Atlantiks ein und schwamm ohne zu zögern ins offene Meer hinaus. Sie hatte sich alle Informationen genau eingeprägt, die sie von dem alten Mann erhalten hatte. Sie wusste, welchen Sternbildern sie bei Nacht und welcher Himmelsrichtung sie bei Tag folgen musste. Niemand kannte außer ihr selbst das Ziel, dem sie zustrebte, denn als sie die Hütte des Fischers verließ, blieb nur ein Leichnam zurück.

      Sie zog ihre Bahnen in den Wellen des Atlantiks, als hätte sie niemals etwas anderes getan. In gleichmäßigem Tempo schwamm sie dahin, nur ab und zu unterbrach sie ihre Reise für kurze Zeit, fing sich einen Fisch oder ein paar Krabben, um sich dann, wenn sie sich an ihrer Beute gesättigt hatte, für eine Weile einfach nur an der Wasseroberfläche treiben zu lassen. Sie spürte, wie ihr Körper sich in diesen Pausen entspannte und von den Anstrengungen des Schwimmens erholte.

      Machilla staunte über sich selbst und verstand nicht wirklich, wie es ihr gelang, sich so schnell und so vollständig dem Leben im Salzwasser des Ozeans anzupassen. Sie lernte die anderen Meeresbewohner kennen und wusste, wem sie mit Vorsicht begegnen musste und wer ihr freundlich gesinnt war. Dabei machte sie eine ganz und gar erstaunliche Entdeckung. Es gab Tiere im Meer, die sich durch eine hohe Intelligenz auszeichneten. Die schlanken Delfine, die kräftigen Tümmler, die gefräßigen Orcas und die gewaltigen Blau- und Pottwale, sie alle waren kluge und - von den Orcas abgesehen - friedliebende, sanfte Lebewesen. Doch gerade diese Lebewesen gingen ihr aus dem Weg. Sie fand keinen Kontakt zu ihnen. Auch nicht zu den Seehunden und Robben. Mühelosen Kontakt dagegen fand sie bei den stärksten, schnellsten und wildesten Jägern des Ozeans, den Haien. Haie schwammen in zahlreichen Arten und unterschiedlichsten Größen im Ozean herum. Machilla fand zwar heraus, dass die Haie nicht gerade als intelligent zu bezeichnen waren, doch ihre Sinne und Instinkte waren perfekt an das Leben im Ozean angepasst, sie waren unglaubliche Schwimmer und unschlagbare Jäger.

      Machilla bewunderte die Haie und die Haie schienen sie zu mögen. Sie und die Haie wurden erstaunlich gute Freunde, obwohl die großen Jäger eigentlich Einzelgänger waren und sich die Annäherung eines anderen Lebewesens nur zögerlich gefallen ließen. Da war nichts von der verspielten Geselligkeit der Tümmler und Delfine zu finden, dennoch durfte Machilla sich jederzeit einem Hai nähern und sich sogar an einer seiner Flossen festhalten, um sich ein Stück weit mitziehen zu lassen. Allerdings niemals allzu weit, dann wurde der jeweilige Hai unwillig und begann sie abzuschütteln.

      Die Haie, die ihr begegneten waren im Prinzip ununterbrochen auf der Jagd, denn das Wasser des Atlantik war kalt und die Haie benötigten viel Nahrung und Energie, um nicht von Unterkühlung heimgesucht zu werden. Auch Machilla verspürte den ständig vorhandenen Hunger und so begann sie sich zunehmend den Jagdgewohnheiten der Haie anzupassen. Wann immer ihr ein jagdbares Lebewesen in die Quere kam, jagte sie es auch und wenn sie erfolgreich war, verschlang sie große Mengen rohen Fleisches.

      Das Schwimmen im Meer, die proteinreiche Nahrung, alles zusammen kräftigte ihre Muskeln auf eine Art, die sie gar nicht erwartet hatte und so war sie bald in der Lage, mit den Robben und Seehunden um die Wette zu schwimmen und auch die zahlreichen Tümmler und Delfine waren nicht mehr viel schneller als sie.

      Als Machilla zwölf Tage später den Strand von Jersey erreicht hatte und an den Dünen aus dem Wasser stieg, wäre jeder Beobachter erstaunt gewesen. Sie war nicht mehr die Frau, die vor nunmehr nahezu einem Jahr in den See von Winchester geglitten war, um aus dem Bannkreis des verhassten Königs zu verschwinden.

      Ihr bis zur Hüfte herunter reichendes, goldblondes Haar kaschierte die starken Muskeln, die sich an ihren Armen und Schultern, am Nacken und den ganzen Rücken hinunter entwickelt hatten, doch ihr Hintern wirkte wie aus Marmor gemeißelt, ihre Beine strotzten vor Kraft und ihr Bauch warf dicke Wülste, wenn sie ihr Zwerchfell anspannte. Sie bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer Seeschlange, allerdings nur so lange, wie der Sand unter ihren Füßen weich und nass war. Sobald Machilla trockenen Boden unter sich spürte, wurden ihre Schritte unsicher und zögernd und ihr ganzer Körper verspannte sich. Trockener Sand, Kies, Geröll oder gar grober Schotter verursachten ihr leicht Schmerzen an den empfindlichen und feinen Membranen zwischen ihren Zehen, die ihr beim Schwimmen so gute Dienste leisteten.

      Machilla beschloss deshalb, ihren Aktionsbereich einstweilen auf die Dünen von Jersey zu begrenzen. Sie verzichtete darauf, Jagd auf Ziegen oder Schafe zu machen, die in großen Herden auf der Insel lebten und ernährte sich weiterhin aus dem Meer. Sie schwamm an der Küste der Insel entlang, jagte in den Klippen nach Barschen und Sardinen und fing viele von den großen Garnelen und Meereskrebsen, die besonders nahrhaft waren, wenn man ihre harten, ungenießbaren Schalen geknackt hatte. Auf einem ihrer Jagdzüge, schon am vierten Tag ihrer Ankunft machte sie dann eine Entdeckung, die ihr das Leben sehr vereinfachte.

      Sie hatte herausgefunden, dass die großen Muränen nicht nur ungemein stark, misstrauisch und aggressiv waren, sondern auch, dass sie zum Jagen Gift benutzten, das über die starken Zähne der Seeschlangen in das Blut ihrer Beutetiere gelangte. Darüber hinaus aber besaßen die Muränen selbst ein sehr wohlschmeckendes Fleisch und Machilla jagte hin und wieder einen der schlangenartigen Fische. An diesem vierten Tag begegnete sie einem besonders starken Exemplar, das soeben in einer großen Öffnung im Uferfels verschwand, als Machilla sie entdeckte. Kurz entschlossen folgte Machilla der Muräne und war nicht wenig erstaunt, als sie durch einen zwar langen aber nur wenig gewundenen Stollen in eine große Höhle gelangte, die nur etwas mehr als zur Hälfte ihrer Höhe unter dem Meeresspiegel lag. Der Stollen maß in Breite und Höhe jeweils mehr als das Vierfache ihrer eigenen Körperlänge und konnte von ihr somit mit Höchstgeschwindigkeit durchschwommen werden. Die Höhle selbst glich einer riesigen Halle mit Balustraden und Bänken, die teilweise unter aber zu einem weitaus größeren Teil über dem Wasser lagen. Es gab Bereiche, die wie Veranden und Balkone aus dem Fels ragten und so hoch über dem Wasserspiegel lagen, dass man wundervoll ins Wasser hinunter springen konnte. Hoch oben, knapp unter dem Gewölbe der Höhlendecke erblickte sie einen recht großen, hellen Fleck und begriff, dass es dort hinaus an die Luft ging. Dieser Ausgang war leicht zu erreichen, obwohl er so hoch oben lag, denn es führte ein Felsband wie ein breiter Weg dort hinauf.

      Die Orientierung in der Höhle war leicht, denn es war erstaunlicher Weise recht hell. Die Quelle des blaugrün schimmernden Lichtes mochte wohl in dem dichten Teppich leuchtender Algen liegen, der die Wände der Höhle und auch über weite Strecken die des Stollens überzog.

      Die Muräne hatte Machillas Eindringen in ihre Höhle bemerkt und wollte das seltsame Wesen vertreiben, das ihr offenbar ihren Rückzugsbereich streitig machen wollte. Sie schoss aus einer dunklen Stelle heraus und stürzte sich wütend auf Machilla. Es wurde nur ein kurzer Kampf, dann hatte Machilla die Spitze ihres primitiven Jagdspeers tief in den Nacken der Muräne gerammt und die wichtigen Nervenstränge durchtrennt, die dort unter dicken Muskeln verborgen lagen.

      Nun war Machilla im Besitz einer perfekten Zuflucht, denn in dieser Höhle würde sie auch dann kaum auffindbar und geschützt leben können, wenn grimmige Feinde wie der Winter sie überfielen. Es war recht warm in der Höhle, stellte sie fest, als sie an einer perfekt dafür geeigneten,