Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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nun als bequeme Unterlage eines perfekten Schlafplatzes diente.

      Machilla kletterte vorsichtig an dem breiten Felsband nach oben und starrte durch die Öffnung hinaus auf das Land der Insel.

      Die Öffnung gab im Wesentlichen den Blick nach Süden und Osten frei. In diesen Himmelsrichtungen gab es außer Wasser zunächst nichts zu sehen. Der Atlantik lag wie eine ewig wogende, grün und schwarz schillernde Fläche vor ihr, die sich in der Ferne im Dunst des Sonnenaufgangs verlor. Erst wenn man aus der Öffnung hinaus und auf die etwa zehn Schritte im Geviert messende Plattform trat, konnte man auch nach Westen und damit auf weite Teile der Insel sehen. Nach Norden war kein Ausblick möglich, denn die Öffnung zur Höhle lag in etwa halber Höhe einer steil aus dem Ozean aufragenden Felsformation, beinahe so etwas wie ein kleines Küstengebirge.

      Machilla jubelte innerlich, denn einen perfekteren Zufluchtsort hätte sie kaum finden können. Sie konnte ihre Höhle sowohl von Land als auch vom Atlantik aus bequem erreichen, in der Höhle gab es genügend Stellen an denen sie sich zur Ruhe legen und wenn es sein musste auch verstecken oder verteidigen konnte. Die Höhle war deutlich wärmer als die Luft draußen und ebenso als das Atlantikwasser. Besser hätte sie es kaum treffen können.

      Sie kehrte in die Höhle zurück, stieg das Band hinunter und fand ein weiteres, sehr viel schmäleres Band, dem sie bis zu einer Nische im Fels folgen konnte, einer Art Grotte, vielleicht zehn Schritte breit, drei Schritte hoch und gut fünf Schritte in den Fels gegraben. Hier, so beschloss sie spontan, wollte sie sich sozusagen häuslich einrichten. Der Wasserspiegel lag mindestens fünfzig Fuß tiefer als der Boden dieser Grotte und dennoch war der Grottenboden dicht mit dem feinen, weichen Sand bedeckt, der doch eigentlich nur auf dem Meeresgrund vorkommt. Ein Zeichen dafür, dass es Situationen gab, an denen der Wasserspiegel bis in diese Höhe reichte. Machilla ging allerdings über diese Erkenntnis leichten Herzens hinweg, denn zum Einen war der Sand unter ihren Füßen zundertrocken, was bewies, dass das letzte Hochwasser lange zurück lag und zum Andern stellte das Wasser für sie ja keinen Schrecken dar. Das Wasser war ihr Freund.

      Jetzt, da sie diesen Platz gefunden hatte, nahm sie zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch von der Hütte der Alten, seit ihrer Wiedergenesung also, das große Schwert von ihrem Rücken und suchte nach einem geeigneten Platz, an dem sie es unterbringen konnte. Ein schmaler Felsvorsprung auf Höhe ihrer Brust war dafür bestens geeignet und dort legte sie das Schwert ab. Allerdings erst, als sie es aus der schützenden Hülle aus gegerbter Karpfenhaut genommen hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit betrachtete Machilla das Schwert wieder genauer.

      Das Schwert stak in einer schlichten Scheide, doch was man von der Waffe sehen konnte, war ganz und gar nicht schlicht. Vielmehr schien es sich um eine wahre Kostbarkeit zu handeln.

      Der Knauf bestand aus einem Material, das weiß wie Perlmutt schimmerte und ebenso wie Perlmutt von feinen, grauen Schlieren durchzogen war. Die Hand eines Künstlers hatte diesen Knauf zu einer perfekten Kugel geschliffen und wie immer bewunderte sie voller Staunen, das im Innern dieser Kugel verborgen Bild, das einen großen, starken Hai in Angriffshaltung bis ins kleinste Detail wieder gab. Einen Hai mit weißer Haut, von dem man erwartete, dass er sich jeden Moment aus dem Knauf befreien und davon schwimmen würde …

      Das Heft, der Griff des Schwertes war lang genug, dass man die Waffe notfalls auch mit zwei Händen halten konnte und dieser Griff war mit einem seltsamen Material umwickelt, dessen bestimmende Farbe ein stumpfes Weiß, allerdings mit einer Vielzahl von feinen grauen und wenigen schwarzen Sprenkeln durchsetzt war. Wie schon so oft legte Machilla ihre Hände auf den Griff des Schwertes und fühlte wie sich dieser warm und trocken und ein ganz klein wenig rau in ihre Hand schmiegte und dadurch wie angegossen in der Hand lag.

      Die Parierstangen waren aus fein geschmiedetem Stahl und zeigten zwei starke Schlangen, deren Mäuler sich um das Heft schlossen. Die Schlangen hatten sogar Augen und diese Augen waren aus roten Achaten geschnitten und exakt in den Stahl eingearbeitet worden.

      Sie fühlte die eigenartige Macht, die von diesem Schwert ausging, sobald sie es nur ein wenig in der Scheide anhob. Sie hatte die Klinge noch nie blank gezogen, seit sie die Waffe in ihre Hände bekommen hatte, doch jetzt, da sie einen derart guten Platz gefunden hatte, würde sie dieses Versäumnis bald nachhohlen.

      Zum Schwert gehörte ein recht schmuckloses und einfach aussehendes Wehrgehenk, das dafür geeignet war, über die Schulter getragen zu werden. Das Wehrgehenk war aus nicht ganz glattem, schwarz gefärbten Leder hergestellt worden. Breite Riemen und Gurte mit Verstellmöglichkeiten aus Messingschnallen, die es erlaubten, das Gehenk in alle Richtungen an seinen jeweiligen Träger anzupassen. Das Leder stammte von einem Fell, dem man bei der Herstellung des Leders den Narben nicht abgezogen hatte, so war die leichte Struktur in der Oberfläche entstanden.

      An diesem Wehrgehenk hing eine recht lange, gerade Scheide aus einem schlichtem, schwarz lackiertem Material, möglicherweise aus Holz, nur an der Spitze und an der Öffnung der Scheide waren Beschläge aus Messing angebracht, auch die Einhängungen am Wehrgehenk waren aus Messing. Die Messingteile waren in der langen Zeit, da das Schwert nicht benutzt worden war, mit Patina beschlagen, was die Farbe aber noch interessanter machte.

      Machilla war nie als Schwertkämpferin ausgebildet worden, doch jetzt, da sie ihren Rachefeldzug plante, wollte sie diese Kunst erlernen. Machilla hatte schon von dem Augenblick an, da sie das Schwert zum ersten Mal angefasst hatte erkannt, welche ganz besonderen Eigenschaften diese ungewöhnliche Waffe besaß. Eine eigentlich sanfte Stimme war direkt in ihrem Gehirn erklungen und hatte sie als Meister begrüßt. Doch schon bald musste Machilla feststellen, dass die sanft und weich klingende Stimme glasharte Forderungen verbrämte. Das Schwert war als Waffe zum Kämpfen und zum Töten geschaffen worden, auch wenn sich in seiner „Seele“ eine Philosophie und ein Auftrag verbargen. Der weiße Hai war als Schwert des Westens geschaffen worden um die Idee der Neuerschaffung des gesamten menschlichen Lebens auf der Erde durchzusetzen. Sie, Machilla spielte dabei offenbar eine wichtige Rolle. Ihre von einem Mensch aus der fliegenden Stadt Ninive geschaffene Genstruktur sollte die mütterliche Basis der neuen Menschen bilden. Das war ihr von ihrem Schwert bereits anvertraut worden.

      Machilla hob die Klinge behutsam ein kleines Stück aus der Scheide und spürte sofort das eigenartige Kribbeln in ihrer rechten Hand, das ihr einen unmittelbar bevorstehenden Kontakt mit der Seele des Meerwolfes – so lautete der Name des Schwertes – ankündigte. Doch im Augenblick war sie nicht zu einem solchen Kontakt bereit. Sie löste ihre Finger vom Heft und ließ die Klinge in die Scheide zurück gleiten. Sie spürte allerdings, wie schwer es war, die Hand vom Heft des Schwertes zu lösen.

       „Ich muss mich in Geduld üben, meine Zeit ist noch nicht gekommen, dann musst auch du, mein schönes Schwert, noch geduldig sein.“

       „Oh, hattest du den Eindruck, ich sei ungeduldig? Das tut mir leid. Ich kann dir versichern, meine Geduld ist groß und ich kann warten. Immerhin warte ich schon seit dreieinhalb tausend Jahren. Allerdings solltest du nicht mit mir spielen. Entweder du lässt mir fortan meine Ruhe oder aber, wenn du mich ergreifst, dann ziehst du auch blank. In diesem Fall will ich – muss ich – aber auch Blut trinken und Seelen essen.“

       „Du sagst, wenn ich dich aus der Scheide ziehe, muss ich töten? Ich darf dich nicht zu Übungszwecken benutzen?“

      Die Stimme hatte plötzlich ihren gewohnt sanften und weichen Klang verloren. Es hörte sich fast verächtlich an, als die Antwort in Machillas Kopf ertönte:

       „Wer will denn schon mit einem Schwert meiner Art üben? Nur ein blutiger Anfänger benutzt sein Kampfschwert auch zu Übungszwecken. Und welcher Art könnten Übungen sein, was könnten solche Übungen taugen, wenn dein Schwert dabei ohne Nahrung bleiben muss? Bist du doch nicht die Meisterin, die ich erhofft habe? Hätte ich möglicherweise doch bei dem alten Mann bleiben sollen?“

      Ein unliebsamer Disput, auf den Machilla im Augenblick nicht eingestellt war. Deshalb verzichtete sie auf eine Antwort. Stattdessen legte sie das Schwert auf seinen künftigen Platz, dann trat sie nach vorne an den Rand der Plattform vor ihrer Grotte, richtete sich hoch auf, stellte sich auf die Zehenspitzen, breitete die Arme aus und stieß sich ab.

      Gleich