Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


Скачать книгу

hatte. So war sie zur letzten Instanz oberhalb des Königs geworden, denn was immer er entschied, er beriet sich in den gemeinsamen Nächten mit ihr, Machilla, der weißen Rose von Winchester. Jahrelang war alles zu ihrer besten Zufriedenheit verlaufen, doch dann waren unvermutet Schwierigkeiten aufgetaucht, mit denen niemand, auch nicht ihr Erzeuger hatte rechnen können. Dieser neunmal verfluchte Shandra el Guerrero hatte alle ihre sorgfältig vorbereiteten Pläne praktisch aus dem Handgelenk heraus zunichte gemacht….

      Machilla saß im Sand der Wanderdünen, von deren Hügel das Küstenbild der großen Insel Jersey bestimmt wurde und sah hinaus in die bleigraue Wasserwüste des Atlantik, durch dessen Wellen sie tagelang geschwommen war, ehe sie die große Insel erreicht und wieder einmal an Land gehen konnte.

      Sie war mit minimalem Ballast gereist, denn der Beginn ihrer Reise war eine Flucht gewesen, keine planvolle Abreise einer Königin. Immer noch kochte die Wut, der blanke Hass in ihr hoch, wenn sie daran dachte, wie der König ihr plötzlich seine Tochter Chelida vor die Nase gesetzt und diese zur Kanzlerin gemacht hatte, anstatt das Amt ihr zu geben, der Frau, der er ganz sicher mehr verdankte als sonst jemand auf der Welt.

      Die Kleider, die sie bei ihrer Flucht getragen hatte, waren längst zerstört, denn kaum eine von Mensch hergestellte Kleidung ist für eine derartige Reise geeignet, wie sie hinter Machilla lag. Sie hatte sich passende Kleidung aus den Häuten der wenigen Fische gemacht, die sie auf ihrer Reise erlegen konnte und weil es so wenige und vor allem kaum genügend große Fische in den Gewässern Britains gab, war Machilla nur sehr spärlich bekleidet. Eine Art dünnes Brusttuch war um ihren Oberkörper geschlungen und bedeckte ihre vollen Brüste, während sie um die Hüften einen Lendenschurz trug, der kaum groß genug war, um ihren muskulösen Hintern zu bedecken.

      Sie war barfuß, denn Schuhe hatte sie schon immer verabscheut. Die Schwimmhäute zwischen ihren Zehen störten stets, wenn sie in einen Schuh schlüpfen musste und im Sand der Insel würde sie auch keine Schuhe brauchen.

      Machillas Kleidungsstücke waren aus der Haut eines alten Wels gemacht und schillerten in der blassen Sonne grau und blaugrün und wer Machilla gesehen hätte, wäre wohl unvermeidlich auf die Idee gekommen, ein Fabelwesen, eine Nixe zu beobachten. Doch auf Jersey wurde man nicht gesehen, denn auf Jersey lebten keine Menschen. Schafe und Ziegen, Kaninchen und diverse Vogelarten, ein paar Dachse und Füchse und sie alle wussten wohl nichts von solchen Fabelwesen.

      Das einzige was an Machilla zivilisiert aussah, war das große Schwert, das sie auf den Rücken geschnallt trug. Zum Schutz vor der Nässe war auch das Schwert vollständig in einen Hülle aus der Haut eines alten Karpfens eingenäht worden.

      Nun saß sie im Sand der Dünen und ließ ihre Reise noch einmal vor ihren inneren Augen ablaufen.

      Sie war bei Nacht in den See von Winchester getaucht und dann den kleinen Fluss hinab geschwommen, der den Abfluss des Sees bildete. Den Gesetzen der Natur folgend, mündete dieser Fluss in einen größeren und dieser wiederum in einen größeren und nach mehreren Tagen hatte sie den Strom erreicht, der sie zum Meer bringen würde, die Themse. Ursprünglich war Machilla davon ausgegangen, dass sie das Meer in fünf oder höchstens sechs Tagen erreichen würde, doch aus den Tagen waren Wochen und Monate geworden, denn Machilla war zweimal so krank geworden, dass sie beinahe gestorben wäre.

      Die Gewässer Britains waren Kloaken!

      Stinkende, verseuchte und verdreckte Gerinne die Bäche und Flüsse, noch schlimmer die Tümpel und Seen, auf die sie traf. Schon am dritten Tag nach ihrer Flucht aus Winchester war sie nur noch unter grässlichen Schmerzen in der Lage, sich zu bewegen. Zwei Tage später hatten die Krämpfe eingesetzt und sie durchgeschüttelt und sie hatte so hohes Fieber bekommen, dass sie kaum mehr die Hand vor ihren Augen erkennen konnte, weil dort feurige Räder und grelle Blitze einen schaurigen Reigen tanzten. Machilla war aus dem Fluss gekrochen und hatte sich im Unterholz des Uferwaldes versteckt um fünf Tage lang mit ihrer Krankheit zu kämpfen. Zu essen hatte sie nichts und zu trinken nur das bisschen Regenwasser, das sie von den Blättern der Büsche leckte oder das stinkende Giftwasser des Flusses. Schwer zu sagen, weshalb sie überlebt hatte, doch am Ende des fünften Tages waren ihre Blicke plötzlich wieder klarer geworden und das Fieber ging zurück. Am Morgen des sechsten Tages kroch sie aus dem Gebüsch und ließ sich wieder ins Wasser des Flusses gleiten, um ihre unterbrochene Reise fortzusetzen.

      Ein gewaltiger Fehler, wie sich schon wenige Tage später heraus stellte. Ihre gesamte Konstitution war durch die Infektionen und Vergiftungen so miserabel geworden, dass die Krankheit sie erneut einholte. Ihr Körper war seiner sämtlichen Abwehrkräfte beraubt und die Alarmsignale wurden immer stärker und heftiger. Ihre Muskeln verkrampften sich, sämtliche Bänder und Sehnen brannten bei jeder Bewegung wie Feuer und von den Gelenken tobten Wellen rasenden Schmerzes durch ihren ganzen Körper.

      Dieser Rückfall war bei weitem schlimmer als die erste Erkrankung und Machilla wäre vermutlich gestorben, wenn nicht eine glückliche Fügung des Schicksals ihren schlaffen Körper in einen Seitenarm des Flusses gespült hätte, in ein Totwasser, an dessen Ende eine Holzhütte stand in der eine Fischerin ihr klägliches Dasein fristete. Eine alte Frau, verhärmt und halb verhungert aber dennoch bei weitem gesünder als Machilla. Die Alte zog die bewusstlose Frau aus dem Wasser, schleppte den schlaffen Körper in ihre Hütte und unternahm gegen alle Vernunft den Versuch, den letzten Rest Lebens in Machillas Körper festzuhalten und diesen vom Fluss vergifteten Körper wieder nach und nach zu kräftigen und Machilla auf diese Weise in kleinen Schritten ins Leben zurück zu holen.

      Sieben volle Monate und darüber hinaus noch achtzehn Tage hatte Machilla mit dem Tod gerungen und am Ende hatten sie und die Alte tatsächlich gesiegt. Machilla wurde wieder vollständig gesund und – ein unerwarteter Zusatzerfolg – absolut immun gegen die Gifte der Gewässer.

      Ihre Kleider waren zerfetzt und verfault und es gab nirgendwo im weiten Umkreis die Möglichkeit, sich Ersatzkleidung zu beschaffen. Ihre Gastgeberin schlug vor, sie sollte sich doch aus der Haut eines großen Fisches Kleidung herstellen. Die Alte betrachtete dieses Material als geeigneter als alle anderen Alternativen, da Machilla ja ohnehin vorhatte, ihre Reise im und unter Wasser fortzusetzen. So stieg sie wieder in den Fluss und machte sich auf die Suche nach großen Fischen und siehe da, die alte Frau wusste, wovon sie redete. Auf dem Grund des Flusses, der hier bereits gut zehn Schritte tief war, lebten ein paar große Bartenwelse und eine Reihe fetter, alter Karpfen. Sie erlegte einen der mehr als mannslangen Welse und einen der fetten Karpfen mit einem, aus einem Messer und einem Stock gebastelten Speer. Mit Hilfe der Alten gerbte sie die beiden Fischhäute und aus dem dadurch entstandenen, dünnen Leder fertigte sie ihr Brusttuch und den Lendenschurz, sowie die Schutzhülle für das Schwert.

      Zehn Monate war sie letztendlich Gast der alten Frau am Fluss, dann fühlte sie sich wieder stark genug um ihre Reise fortzusetzen. Ihr Ziel war das Meer, erst wenn sie das Salz des Atlantiks schmeckte, so sagte Machilla, würde sie sich über weitere Ziele Gedanken machen.

      Die Alte erzählte ihr von einem ihrer Brüder, der an der Küste lebte und dort ebenfalls seinen Lebensunterhalt als Fischer zu fristen versuchte und empfahl Machilla, sich mit diesem Bruder zu treffen. Er wusste bestimmt über unbewohnte Inseln im großen, grünen Atlantik Bescheid.

      Machillas Abschied von der Alten fiel kurz und knapp aus, ohne große Worte und ohne Geschenke oder gar Bezahlung, denn sie besaß ja nichts, womit sie sich für die Hilfe hätte erkenntlich zeigen können.

      Machilla hatte durch ihre Krankheit so viel unwiederbringliche Zeit verloren, dass sie ihre Reise ohne jede Hast fortsetzen konnte. Dennoch war sie erheblich schneller unterwegs, als zum Beispiel ein reitender Bote, der den Landweg nahm.

      Zehn Tage später hatte sie die Mündung der Themse erreicht und das Salzwasser des Atlantik, das wesentlich sauberer als die Binnengewässer der Insel war, umspülte ihren Körper wohltuend. Der Reichtum an Fischen und anderem Meeresgetier war groß genug, um Machilla jeden Tag eine erfolgreiche Jagd zu ermöglichen und jetzt erst begann ihr Körper wieder echte Substanz aufzubauen. Sie folgte der Küste drei Tage lang bis an die Spitze der Landzunge, die den südwestlichsten Punkt der Insel Anglialbion bildete. Sie umrundete dieses Kap und schwamm einen ganzen und einen halben Tag lang nach Nordosten, bis sie den von der Alten beschriebenen Nadelfelsen