Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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sie dem Druiden und verlangte dessen militärische Beurteilung des gesamten Planes. Aber genau so, wie Edwards Verhalten einem immer gleichen Muster folgte, so glichen sich Borastas Antworten auch in jeder dieser Auseinandersetzungen.

       „Ich verstehe nicht mein König, weshalb du diesem Shandra el Guerrero eine solch eminente Bedeutung beimisst. Ich verstehe deine Rachegefühle, ohne jeden Zweifel. Aber einem Großkönig wie dir kommt es nicht zu, einem politischen Gegner gegenüber Rachegedanken zu hegen. Ein Großkönig muss über den Rand seines eigenen Suppentellers hinaus und das große Ganze sehen können.“

       „Und das meinst du, kann ich nicht?“

       „Ich bin mir ganz sicher, dass du es könntest, wenn du nur wolltest. Doch du bist verbohrt und stur und willst das Offenkundige nicht sehen. Dieser Shandra ist völlig bedeutungslos geworden, seit die Kämpfe zu Ende sind. Er mag ein kluger Stratege gewesen sein und ein wackerer Kämpfer, aber ein Politiker ist er offenkundig nicht. Also vergiss ihn einfach. Du musst deine Augenmerk auf den Grafen von Malaga richten, auf die Herzogin von Antequera und die Gräfin von Granada. Die Königin von Lusitania ist von Bedeutung und König Ferdinand von Franca. Michael Vanderlek solltest du niemals aus dem Kalkül lassen. Aber Shandra el Guerrero? Er ist ein Nichts geworden.“

       „Er ist nach wie vor die Seele des Widerstandes gegen mich!“

       „Wie oft mein König, muss ich das noch sagen? Es wird keine Herrschaft Anglialbions über auch nur einen Quadratfuß kontinentalen Bodens geben. Es ist dir nicht bestimmt, über Länder auf dem Festland zu herrschen. Du kannst mit diesen Leuten nur friedlich zusammenarbeiten und dann spielt eine Seele des Widerstandes nicht die geringste Rolle. Gegen wen oder was sollen die Menschen sich erheben, wenn es keine Invasion gibt?“

      Der König starrte verdrossen vor sich hin und verzichtete auf eine Antwort. Es gab ja auch kein Argument, das man Borastas Worten entgegen setzen konnte, denn streng genommen hatte er Recht. Er war auch ganz und gar nicht allein mit seinem Standpunkt, bis hin zur Kanzlerin gab es eine Menge Leute, die diesem Standpunkt ebenfalls anhingen. Nur etwa ein Dutzend hochrangiger Adliger waren noch auf seiner, Edwards Linie und planten zusammen mit dem Großkönig weiterhin kontinentale Eroberungen.

      Edward starrte Borasta mit wütender Sturheit an und dieser starrte mit nicht geringerem gälischem Trotz zurück. Wie so oft waren sie an diesem Punkt angelangt, da jegliche Basis zu einer Fortsetzung der Diskussion unmöglich geworden war und sie beide wussten das.

       „Geh jetzt, Druide. Verlasse meine Gemächer und lass mich meine Arbeit machen. Geh in dich, denke über deine Loyalität zu deinem Großkönig nach und wenn du festgestellt hast, dass du Fehler gemacht hast, darfst du wiederkommen und ich werde dir wieder meine wertvolle Zeit zur Verfügung stellen. Jetzt aber geh. Hinaus mit dir!“

      Borastas Augen waren dunkel vor Zorn und Trauer. Er erlebte diesen Rausschmiss nicht zum ersten Mal und – ganz sicher – auch nicht zum letzten Mal, denn er würde wieder kommen, so sicher wie der nächste Regentag oder der nächste Mondwechsel. So lange wollte er seinem König in den Ohren liegen, bis dieser es leid war und nachgab. Zum Glück, so ging es Borasta durch den Kopf, als er des Königs Gemächer verließ, war er nicht allein in diesem mühsamen Kampf. Chelida unterstützte ihn nach Kräften und, seit die Kriegszüge des Königs in regelmäßigen Schlappen ihr Ende fanden, wechselten auch immer mehr Adlige und hochrangige Bürger die Seiten und schlossen sich der von Borasta und Chelida repräsentierten Friedensbewegung an. So bemühte der Druide sich darum, sein inneres Gleichgewicht wieder zu finden, während er durch die langen, kalten Gänge des Schlosses lief, um zu den Räumen der Kanzlerin zu gelangen.

      König Edward hingegen atmete tief durch und war sichtlich erleichtert, als die Tür hinter Borasta ins Schloss fiel und er wieder allein in seinem Arbeitszimmer war. Er hasste diesen Menschen Borasta längst aus tiefster Seele. Früher, vor langer Zeit, waren sie beide beinahe so etwas wie Freunde gewesen. Borasta war nur wenig älter als König Edward und ihre Wege waren parallel verlaufen, seit Edward den Thron von Britain bestiegen und sich dann in relativ kurzer Zeit zum Großkönig der Völker von Anglialbion aufgeschwungen hatte. Borasta selbst war auch damals schon der oberste Druide und damit das geistige Oberhaupt der gälischen Bevölkerungsschichten im Reich Anglialbion gewesen. Somit war er auf Edwards Weg immer ein unverrückbarer Faktor gewesen. Ohne die Freundschaft Borastas ging wenig, wollte man etwas von den Gaeloch. Obwohl die irischen und scotischen Gaeloch einander wenig Freundschaft entgegen brachten und obwohl auch der walisische Bevölkerungsteil fast immer sein eigenes Süppchen kochte, wenn es galt, waren sie da. Allerdings galt es nur, wenn Borasta und seine Druiden die Hände im Spiel hatten, nur dann waren die Gaeloch bereit, sich aus ihrer, dem Großkönig gegenüber eher gleichgültigen Grundhaltung wegzubewegen. König Edward hatte dies besonders schmerzhaft und eindringlich erkennen müssen, als er Borasta dereinst in der Brücke von Ronda hatte festsetzen lassen. Weniger als ein halbes Dutzend Menschen in Anglialbion hatten gewusst, was mit Borasta geschehen war und die hatten geschwiegen wie die Gräber. Doch allein die Tatsache, dass die königlichen Steuereintreiber oder auch die Anwerber der königlichen Truppen ohne Empfehlung Borastas auftauchten, hatte dazu geführt, dass aus den gälischen Völkern weder Steuern in die Kasse flossen, noch neue Rekruten in den Heeresteilen zur Verfügung standen.

       „Eines Tages werde ich dich endgültig aus dem Weg räumen und wenn deine Gaeloch dann aufmüpfig werden, bekommen sie den königlichen Zorn in voller Härte zu spüren. Anglialbion ist ohnehin viel zu dicht bevölkert. Es würde nichts schaden, alle Gaeloch auszurotten.“

      Der Großkönig hatte diese Gedanken natürlich nicht laut ausgesprochen, aber dennoch hatte er die Überlegung schon des Öfteren angestellt und sie nahm unter dem Schirm, der seine Gedanken beschützte immer konkretere Formen an. Der Plan des Enthauptungsschlages galt nicht nur für Edwards kontinentale Gegner. Auch Borasta und die Elite seiner Druiden waren in dieser Planung enthalten. Allerdings erst in einer zweiten Liste, die außer Edward selbst nur noch sein Kämmerer und Bettgefährte Rodeport kannte.

      König Edward schüttelte die Gedanken an Borasta und seine ständige Widerspenstigkeit ab, stattdessen klingelte er nach seinem Kammerdiener und befahl, die königliche Suite zu einem Inspektionsritt nach Sherwood Castle in Bereitschaft zu bringen.

      Wann immer der Großkönig den täglichen Verdruss und die Staatsgeschäfte satt hatte, ritt er an der Themse entlang nach Norden, nach Sherwood Castle. Eine kleine, absolut unbedeutende Festung, um diese herum eine ebenso winzige und unbedeutende Ansiedlung von Bauern und doch war Sherwood Castle von herausragender Bedeutung in Edwards Plänen.

      Sherwood

      Die Burg von Sherwood war schon alt gewesen, als der Rest der Welt noch jung war. Im Dunst der Vergangenheit, zu Zeiten des legendären Königs Richard Löwenherz war die Burg am Rande des damals angeblich riesigen und undurchdringlichen Sherwood Forrests gelegen und eher ein Heim für lichtscheues Gesindel, für Wegelagerer, Erpresser, Mordbrenner und andere mehr gewesen, denn eine Burg des Königreiches. Im Laufe der Jahrhunderte war sie bis auf die Grundmauern zerfallen, bis einer von König Edwards Vorfahren, der Britainenkönig Alfred, aus einer Laune heraus die Burg vor etwas mehr als dreitausend Jahren wieder hatte aufbauen lassen und dann eine Kaderschmiede in ihr einrichtete. Die Offiziere seines stehenden Heeres waren in Sherwood Castle gedrillt worden, ehe sie zu den Truppen stießen. Sherwood Castle war auch der Geburtsort der Tiermaskenkrieger und die Orden Wolf, Bär, Dachs, Luchs und Reiher hielten immer noch ihre Jahresfeiern in Sherwood Castle ab.

      Sherwood Castle war schon seit langer Zeit einer von wenigen Standorten im weitgehend abgeholzten Reich Britain, an welchem noch Bäume wuchsen und es noch so etwas wie den Rest eines Waldes gab. Seit Edwards Amtsantritt aber war aus Sherwood der einzige Platz im gesamten Imperium Anglialbion geworden, den man noch als Waldbestand bezeichnen konnte. Den ständigen Quengeleien Borastas und – fast noch mehr – Chelidas Rechnung tragend, hatte der Großkönig erlassen, dass dieser letzte Wald des Imperiums ein Bannwald werde, in dem weder ein Baum gefällt noch Büsche gerodet werden durften. Der Bevölkerung an seinen Säumen war es gar bei Todesstrafe verboten,