Claus Beese

Geschichten aus dem Leben


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So, wie Zunder und Reiser der Ursprung eines wärmenden, lodernden Feuers sind, so sind alte Freunde der Ursprung eines Kreises von Menschen, die sich zusammenfinden.

      Der Waldweg, der zu der Lichtung führte, brachte Neuankömmlinge. Sie winkten dem Feuer und den darum Stehenden zu. Alte Freunde und Bekannte umarmten sich, freuten sich über das Wiedersehen. Und auch diejenigen, die sich zum ersten Male an das Lagerfeuer gesellten und ein wenig schüchtern in die Runde blickten, wurden ebenso herzlich begrüßt und als erste mit einem Becher Tschai bedacht, dem alten Waldläufergetränk, welches in einem großen Topf in der Glut neben dem Feuer stand. Denn ein guter Tschai, in dem sich mehr roter Wein als Tee, eine gute Portion des besten Rums und edle Gewürze ein Stelldichein geben, löst die Zunge, bläst die Bedenken und die Schüchternheit aus den Menschen und lässt sie so hell strahlen, wie die aufziehenden Sterne.

      So saßen sie wieder um das Feuer, alte Freunde und Freundinnen und solche, die es vielleicht einmal werden würden. Es war ein buntes Volk, Männer und Frauen, Alt und Jung, wobei das Alt- oder Jungsein nicht immer vom Alter abhängig ist. Sie waren nicht nur zusammengekommen, um gemeinsam im Feuerschein zu sitzen, den Tschai zu trinken und in die Sterne oder den dunklen Wald zu blicken. Sie alle vereinte ihre Liebe zu Geschichten und Erzählungen, zu Worten und Gedanken, für Erdachtes und Erlebtes, welches sie niederschrieben und erzählten. Immer in der Hoffnung, dass diese Worte nicht nur sie erfreuen, nachdenklich oder vielleicht auch mal traurig stimmen würden, sondern dass auch andere Menschen sich darin wiederfinden oder hineinträumen könnten.

      Nach der ersten Wiedersehensfreude und nachdem die neuen Bekanntschaften ausführlich ausgefragt worden waren, wurde es ein wenig stiller in der Runde. Nicht immer braucht es viele Worte, um sich behaglich zu fühlen. Es reicht das Knistern des Feuers, das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln, das Gefühl, im Kreise von Menschen zu sitzen, die all das wahrnehmen – und daraus vielleicht eine gute Geschichte oder Erzählung machen. Eine Erinnerung, die geweckt wird – oder ein spontaner Einfall von etwas Phantastischem, was vielleicht nie geschehen würde. Aber wer weiß das schon so genau?

      „Habt ihr euch schon mal gefragt, was passieren würde, wenn ...?“ Neugierig blickten alle in die Richtung, aus der diese Worte kamen.

      „Was meinst du? Hast du eine Geschichte für uns? Erzähl.“ Gespannte Erwartung zeigte sich auf allen Gesichtern, einige beugten sich nach vorne, andere stellten ihre Becher beiseite oder reichten sie dem älteren Mann mit den vielen Falten im Gesicht, der neben dem Topf mit dem Tschai hockte, damit dieser sie wieder füllte. Doch der schüttelte den Kopf.

      „Nein“, sagte er mit breitem Grinsen, „Nachschub gibt es nur im Tausch. Tschai gegen eure Gedanken. Ein fairer Tausch, findet ihr nicht?“

      „Dann werde ich beginnen“, lachte der, der vorher die Frage nach dem „Habt ihr euch schon mal gefragt ...“ gestellt hatte, und nachdem das Klappern der Kelle und des Topfdeckels verklungen und nur das Knistern der Flammen und das Rauschen des Windes zu hören waren, beugte er sich vor und fing an, zu erzählen ...

      Der Kaktus

      Von Stefan Ilius

      Ich lief schon den ganzen Tag in meinem kleinen Gewächshaus auf und ab. Ich konnte einfach keine Ruhe finden, obwohl schon seit Tagen alles für die heutige Nacht vorbereitet schien. Alle meine Kakteen standen super gepflegt in Reih´ und Glied, ähnlich einem Spalier zu Ehren dessen, was heute Nacht geschehen sollte. Gute zwanzig Jahre hatte ich darauf gewartet, dass mein seltenstes Stück, ein mexikanischer `Taurigonadus doliaris´, blühen würde. Und an diesem Tag sollte es endlich soweit sein!

      In der verschworenen Kakteenzüchter-Szene war ich damit für meinen Erfolg schon im Vorfeld gefeiert worden. Schließlich gab es in ganz Deutschland außer meinem Exemplar nur noch zwei weitere. Einen im Botanischen Garten in Berlin und einen in Unterpfaffenhofen, bei einem privaten Kaktusfreund namens Wegspitz, oder so.

      Der in Berlin hatte das letzte Mal vor über dreißig Jahren geblüht und es existieren nur ein paar Schwarz-Weiß-Aufnahmen von der fantastischen Blüte, die ebenso schön wie auch vergänglich ist. Lediglich wenige Minuten würde das Spektakel dauern, danach würde die Blüte zerfallen und der Kaktus für mindestens zwanzig Jahre nicht noch einmal blühen.

      Als sich vor etwa einer Woche die ersten Anzeichen einer Knospenbildung erkennen ließen, hatte ich es natürlich sofort meinen Kollegen aus der CACTUS-GAZETTE, dem wichtigsten Mitteilungsblatt für Sukkulenten-News, mitgeteilt. Ei, wie war die Aufregung groß! Die Zahl derer, die dabei sein wollten, war annähernd zweistellig und ich war mir nicht sicher, ob ich für alle eine Sitzgelegenheit in meinem kleinen Gewächshaus bereitstellen konnte. Das Durchschnittsalter meiner Fachkollegen war immerhin schon jenseits der Siebzig.

      Ich rechnete damit, dass sich die Blüte schon bald nach Sonnenuntergang öffnen würde und jetzt war es bereits eine Stunde, bevor sich die Sonne hinter dem Horizont verstecken würde. Ich kontrollierte nochmals alle Videokameras. Jawohl, beide waren fest auf das Zielobjekt gerichtet und bereit, alles zu dokumentieren, was heute geschehen würde. Es klingelte, ich lief zur Tür.

      „Bienvenue, Mesdames et Messieurs, bitte hereinzukommen.“

      Nach umständlichen Begrüßungsritualen und dem Austausch von Höflichkeitsfloskeln hatten endlich alle sechs Besucher, die den Weg tatsächlich zu mir gefunden hatten, Platz genommen. Es war an der Zeit, die großen Lampen auszuschalten und nur die Lichterkette, die eine stimmungsvolle Beleuchtung des Hauptakteurs gewährleisten sollte, brennen zu lassen. Es sah wirklich sehr feierlich aus. Ich wünschte nur, ich hätte das ganze Szenario doch einmal komplett durchgespielt!

      21:30 Uhr, es ist düster draußen, zwei meiner Besucher, Gundl und Achim, sind eigentlich unmittelbar nach dem Hinsetzen eingenickt, aber ihr Schnarchen hielt dafür die anderen wach.

      Jetzt war es soweit, man konnte deutlich sehen, wie die Blütenblätter an der phallusförmigen Knospe begannen, sich zu bewegen. Ich sah auf den Kaktus, meinen ganzen Stolz, dann auf meine Besucher, die, soweit sie noch wach waren, ebenfalls gespannt dem Schauspiel zusahen.

      Verdammt! Mir fiel ein, dass ich die Videokameras nicht gestartet hatte! Unversehens sprang ich von meinem rostigen Gartenklappstuhl auf, die Kamera Nummer eins fest im Blick fixiert. Ich streckte meine Arme über die schlafende Gundl, die durch ihre körperlichen Ausmaße fast die Hälfte des im Gewächshaus verbliebenen Platzes einnahm, drückte auf die Record-Taste und ... nichts geschah! Das durfte doch nicht wahr sein - es war keine VHS-Kassette im Gerät. Jetzt bloß keine Panik, die zweite Kamera stand auf der anderen Seite des Tisches. Schnell drehte ich mich herum, um wenigstens diese Kamera noch zu starten. Der erste Schritt in Richtung Kamera Nummer zwei fiel unerwartet länger aus als erhofft, da ich mit dem linken Fuß im Kabelsalat der Lichterkette hängenblieb und dadurch fast einen Cirque du Soleil-reifen Spagat machen musste, um mich nicht zu überschlagen. Ich hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten, riss den zurückgebliebenen Fuß nach vorn und zog damit den Rest der sich noch auf dem Eternit-Tisch befindlichen Lichterkette hinab, die daraufhin erlosch. Im Bruchteil einer Sekunde gelang es mir, in der spontan entstandenen völligen Dunkelheit meine Pocketkamera zu zücken, die ich in der Gesäßtasche meiner Cordhose hatte. Vier kurze Blitze des sich darauf befindlichen Blitzwürfels später, hatte ich den Stecker der Lichterkette wiedergefunden und seiner stromversorgenden Bestimmung zugeführt. Das Aufnahmegerät! Abermals drehte ich mich in Richtung der zweiten Kamera, und um diese noch rechtzeitig vor dem Ende des eigentlichen Schauspiels zu starten, hechtete ich wieder los. Um den Aufnahmeknopf zu drücken, musste ich mich nochmals mehr strecken als mir lieb war. Ich versuchte, mich mit der rechen Hand am Standwasserhahn abzustützen, erwischte jedoch nur die sich daran befindliche Kunststoffschlauchkupplung eines namhaften Gartengeräteherstellers, die sich natürlich augenblicklich durch den Zug nach unten löste.

      Ich sah sofort ein, dass es keinen Sinn machte, sich gegen den unausweichlich bevorstehenden Sturz zu wehren und landete unsanft auf meinem recht knochigem Hintern. In der allgemeinen Panik, die durch die spontanen Wasserspiele in meinem kleinen Gewächshaus entstand, versuchten meine Gäste durch schnelle Flucht zu entkommen. Die mit einem spitzen Schrei erwachte Gundl sprang von ihrem Stuhl und galoppierte in Richtung Tür, wobei sie alle