Claus Beese

Geschichten aus dem Leben


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zwei Tagen waren wir in Dangast auf dem Campingplatz Rennweide angekommen. Kurzfristig hatten sich unsere Eltern entschlossen, dass wir uns in den Schulferien zwei Wochen an der See erholen sollten. Meine Eltern von der Arbeit, meine Brüder von der Schule und ich vom Kindergarten. Sie hatten die wunderbare Idee, die Zeit mit uns während eines Campingurlaubes in einem Wohnwagen zu verbringen. Wir fünf, das waren Mutti, Vati, ich, der Jürgen, und meine Brüder Heinz und Manfred. Als wir ankamen und durch den Deichschart fuhren, sahen wir schon die vielen schönen Wohnwagen, die in mehreren Reihen standen. Sie ließen bei uns Kindern Abenteuerlust aufkommen. Die Eltern meldeten uns bei der Rezeption an und fragten nach unserem angemieteten Wohnwagen. „Wohnwagen?“, fragte der Platzverwalter und lachte. „Na, ich glaub, ich begleite euch mal dahin.“

      Im Gänsemarsch folgten wir ihm, vorbei an den schönsten Wohnwagen. Wir freuten uns schon, denn wir dachten, er ginge mit uns bis an die erste Reihe der Wagen, direkt an den Strand. Unser Platzwart indes steuerte auf einen kleinen Borgward-Bus zu und blieb davor stehen.

      „Ist das unser Wohnwagen?“ wollte mein Vater wissen und schaute ungläubig auf das Vehikel. Der Platzwart nickte.

      „Der ist aber sehr klein für fünf Personen. Der ist doch nicht größer als ein VW-Bus.“

      „Ja, stimmt!“, antwortete der Friese nur knapp. „Ich baue euch noch ein Vorzelt davor, dann wird es schon gehen.”

      Tatsächlich stand bald ein geräumiges Vorzelt neben dem Bus, in das drei Luftmatratzen für uns Kinder gelegt wurden. Es waren schöne Luftmatratzen. Sie hatten eine Stoffschicht mit einer blauen und einer roten Seite. Unsere Sachen wurden aus Onkel Erichs Kombi geladen, der uns hergefahren hatte. Meine Eltern hatten, wie fast alle in der Straße, in der wir wohnten, kein eigenes Auto. Onkel Erich musste gleich wieder zurück, weil er in seiner Bäckerei noch die Brote fertigmachen musste.

      Mutti kochte uns Nudeln mit Jägersoße. Sie wollte nicht das Geschrei von hungrigen Jungen hören, wenn wir den Ort erkundeten. Für unterwegs sollte jeder von uns noch einen Dauerlutscher bekommen, doch so sehr sie auch suchte, sie fand sie nicht.

      „Hat jemand die kleine Tüte mit kirschroten Dauerlutschern gesehen?“

      „Nö, ich nicht.“

      Meine Antwort war, so glaube ich heute, zu schnell. Alle guckten mich an.

      „Jürgen, du hast die Tüte nicht gesehen?“, fragte Vater noch einmal, diesmal etwas eindringlicher.

      „Nö!“

      „Warum sind denn deine Lippen und die Zunge so rot?“

      „Äh, im Kofferraum vom Onkel lagen doch ein paar rote, süße Kügelchen an weißen Stielen, die habe ich natürlich genommen. Oder waren das etwa die Dauerlutscher?“

      „Jürgen!“, fauchte Mutter mich an. Sie schien ziemlich sauer zu sein. Gott sei Dank waren beide in Urlaubslaune und so blieb mir eine Strafe erspart. Alles war mit einem missbilligenden Kopfschütteln erledigt. Na, prima.

      Strandgang war angesagt, um die Füße mal ins Nordseewasser zu stellen. Zu unserem Erstaunen mussten wir feststellen, dass kein Wasser da war.

      „Wer hat denn den Stöpsel rausgezogen?“, wollte ich wissen. „Das Wasser kann doch nicht einfach so verschwinden, oder?“

      „Das war der Mond“, antwortete mein Vater und es hörte sich so an, als meine er das ernst.

      „Der Mond hat ja gar keine Hände um den Stöpsel zu ziehen“, zweifelte ich an seiner Aussage. Vati grinste.

      „Nein, das nicht. Aber der Mond hat eine Anziehungskraft. Wenn er um die Erde wandert, zieht er das Wasser aus der Nordsee, und dort, wo es flach ist, verschwindet das Wasser dann vollkommen.“

      Verstanden hatte ich es nicht, aber mir einen weiteren Vortrag anhören, nee, das wollte ich auch nicht. Ich hoffte nur, dass das Wasser irgendwann wiederkommen würde.

      „Ja, so etwa alle sechs Stunden kommt das Wasser zurück, um zu schauen, ob der Jürgen noch da ist“, lachte Vati. Ich hätte zu gerne gewusst, was er damit hatte andeuten wollen, doch vorsichtshalber fragte ich gar nicht erst.

      Der Hafen mit seinen vier Krabbenkuttern, die in unterschiedlichen Farben angestrichen waren, wirkte irgendwie fröhlich und friesisch anders. Die Kutter waren richtig schön anzusehen. Ein Fischer war noch dabei sein Schiff aufzuklaren. Er lud einige Plastikkörbe mit kleinen krebsartigen Tierchen mit langen Fühlern auf den Kai.

      „Können sie uns davon einige verkaufen? Die Jungs sollen die mal probieren“, fragte Vater und der Fischer nickte.

      „Klor, wie viele möchtest denn? ‘Ne Büchse voll kost ‘ne Mark.“ Der Fischer nahm eine leere Konservenbüchse als Maßstab und füllte sie mit den Krabben. „So, da ist euer Granat, wie wir hier in Friesland sagen.“ Dann wandte er sich an mich, denn ich stand mit großen Augen und bestaunte den schönen Kutter. „Un wat kiekst du, mien Jung?“

      „Wenn ich groß bin, werde ich auch Fischer“, stellte ich fest. So ein Schiff wollte ich auch haben.

      Nachdem wir das Städtchen erkundet hatten, ging es zurück zum Campingplatz.

      „Wir gehen noch mal kurz ins Watt. Wollen doch mal sehen, wie es sich anfühlt.“

      Das Watt war schlammig. Am Anfang, gleich hinter dem Sandstrand, war noch alles in Ordnung. Die Füße versanken nur bis zu den Knöcheln im Matsch. Je weiter wir gingen, desto tiefer sackten wir ein.

      „Kinder, ihr müsst vorsichtig gehen, im Boden stecken scharfkantige Muscheln,“ warnte unser Vater, um im selben Moment laut aufzuschreien. Er hatte gerade eines dieser Schalentierchen mit dem Fuß gefunden.

       „Welches Ferkel hat diese vielen kleinen Häufchen ins Watt gemacht?“, wollte ich wissen, und Vati humpelte zu mir herüber.

      „Die sind von den Wattwürmern“, meinte er.

      „Die machen überall hin? Igitt!“

      „Schafskopp! Nein, die wühlen sich durchs Watt bis zum Sand und suchen dabei nach Nahrung. So ähnlich wie ein Staubsauger. Vorne der Sand rein und hinten Sand wieder raus. Das sind dann diese ringelförmigen Häufchen. Morgen machen wir eine größere Wattwanderung“, drohte er uns an.

      Wir aßen zu Abend und bekamen dabei eine Anleitung zum Krabben pulen. Sie schmeckten erheblich besser als sie aussahen. Aber Seeluft und die Pulerei machen müde, und wir freuten uns auf unsere Schlaflager. Mit der Flut kam in der Nacht auch Wind auf. Es war herrlich. Das Rauschen der Wellen war zu hören, und der Wind zottelte am Vorzelt herum. Wir drei Jungs verkrochen uns tief in unsere Schlafsäcke.

      Am Morgen schlichen wir noch vor dem Frühstück aus dem Zelt. Wir wollten den Strand nach Strandgut oder nach Flaschenpost, möglichst mit einer Schatzkarte darin, absuchen. Aber außer ein paar Taschenkrebsen, leeren Miesmuscheln und Seetang war nichts zu finden. Nur Heinz fand etwas, der fand eine Klassenkameradin, die ebenfalls hier Ferien machte. Es war ein niedliches Mädchen, und er wollte lieber mit ihr Aale angeln als mit uns durchs Watt laufen. Der Wind war inzwischen vollkommen abgeflaut, und die Sonne versuchte sich durch die diesige Luft zu kämpfen. Es gelang ihr zunächst nur spärlich.

      Nach dem Frühstück zogen wir die Badehosen an. Heinz natürlich nicht. Er zog seine besten Klamotten für sein Treffen mit dem Mädchen an. Wir vier gingen ins Watt hinaus. Zunächst marschierten wir in Richtung des Leuchtturmes Arngast.

      „Das wird bestimmt spannend. Dort wo der Leuchtturm steht, war vor ein paar hundert Jahren ein Dorf mit ziemlich reichen Bewohnern. Das Dorf hieß ebenfalls Arngast“, erklärte uns Vater. „Es wurde damals durch eine sehr schwere Sturmflut vernichtet. Na, vielleicht finden wir ja noch etwas Interessantes. Erst vor kurzem wurden noch Scherben von sehr alten Tonkrügen gefunden.“

      Ich hingegen fand die kleinen Flüsschen sehr praktisch, man konnte seine Füße immer mal wieder vom Schlamm befreien.

      „Das sind sogenannte Priele, die kleinen laufen in größere und die größeren in noch größere. Die werden dann Balgen genannt und sind auch bei Ebbe noch mit Booten, die nicht so einen großen Tiefgang haben, befahrbar“,