Claus Beese

Geschichten aus dem Leben


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Manfred etwas auf.

      „Wir gehen und gehen, aber der Leuchtturm ist immer noch ganz weit weg. Wie lange brauchen wir denn noch?“

      Mein Vater blickte sich jetzt um und wurde verdammt nervös.

      „In einer Stunde ist wieder Hochwasser, also kehren wir um“, beschloss er.

      „Aber Dangast ist auch so weit weg”, stellte Manfred fest. Bevor ich losheulen konnte, bekam ich noch ein Brötchen. Das stoppte den Tränenfluss im Ansatz. Allen war klar, dass wir bei der Suche nach Schätzen im Watt die Zeit und die Tide ganz vergessen hatten. Beim Durchqueren der Priele fiel uns auf, dass diese inzwischen einen höheren Wasserstand bekamen. Der nächste Priel, den wir erreichten, war schon randvoll und fing an, das Watt mit Wasser zu bedecken.

      „Müssen wir jetzt ertrinken?“, fragte ich.

      „Wenn wir ein wenig schneller gehen, dann ist alles gut“, beruhigte uns Vater.

      „Das kommt bestimmt nur, weil ich die Lutscher genommen habe.“

      „Das war wirklich nicht in Ordnung, aber das verursacht keine vollen Priele.” Wir gingen nun erheblich schneller, denn das Wasser lief inzwischen mit bedenklichem Tempo auf.

      „So, da ist nun der große Priel, da noch rüber und dann haben wir es geschafft.“ An der Flutrinne waren in bestimmten Abständen umgedrehte Reisigbesen ins Watt gesteckt.

      „Die waren doch vorhin nicht da“, stellte Mutter fest.

      „Wir müssen da aber rüber“, drängte Vater. Er ging zu einem der Reisigbesen, der eine Fahrrinnenmarkierung darstellte, und tastete sich ins Wasser hinein, um die Tiefe abzuschätzen. Nach drei Schritten steckte er bis zu den Knien im Schlick fest. Wir bemühten uns, ihn zu dritt wieder rauszuziehen, was erst nach mehreren Bemühungen gelang.

      „Kinder, wir müssen jetzt alle ganz laut um Hilfe rufen. Wir haben uns wirklich total mit der Zeit verschätzt. Inzwischen ist schon überall Wasser zu sehen, sodass ich gar nicht erkennen kann, wo die Priele laufen. Wir können dort nicht einfach durchgehen, weil ihr nicht schwimmen könnt.“

      So hallten unsere „Hiiilllffeee“ und „Haaalloooo“-Rufe immer und immer wieder über die Weite des volllaufenden Wattenmeeres.

      Im Dangaster Hafen schaute der Kutterkapitän der GRETEL kopfschüttelnd durch sein Fernglas.

      „Mann, seht euch nur diese Familie dort hinten im Wattenmeer an. Bei auflaufendem Wasser mit zwei kleinen Kindern. Oh, diese leichtsinnigen Touristen. Haben keine Ahnung, dass Hochwasser der höchste Stand ist, aber das Wasser natürlich schon vorher aufläuft. Und wenn die Priele bedeckt sind, wird die Nordsee zur Mordsee.“

      Heinz, der mit seiner selbstgebauten Angel mit dem Mädchen im Hafen nach Aalen fischte, wurde hellhörig.

      „Moin, darf ich mal durch Ihr Fernglas gucken?“, fragte er den Fischer.

      „Jo, komm mal an Bord. Was willst du denn sehen?“

      „Meine Eltern und Brüder wollten zum Leuchtturm gehen. Ja, das sind sie!“ Der Kapitän überlegte nicht lange. Er ließ den Diesel an und warf die Leinen los.

      „Tschüss, Lisa!“, rief Heinz noch dem erstaunten Mädchen zu. „Ich komm gleich wieder, wir müssen mal eben meine Familie retten!“

      „Na, der Jung ist richtig!“, brummte der Kapitän und fädelte sein Schiff in die enge Fahrrinne zwischen den Pricken, wie man die Besen im Watt nennt, ein.

      „Seid mal still! Da ist was!“

      „Putt, putt, putt!“, klang es gleichmäßig und lauter werdend.

      „Das sind die Wattleichen, und die werden uns jetzt holen“, meinte Manfred. Er klang nicht sehr zuversichtlich.

      „Quatsch! Die haben keinen Motor. Ruft weiter, es ist ein Boot.“

      „Hiiilllffeee!“

      „Da ist ein Kutter!“, schrie Manfred und seine Stimme klang bedeutend fröhlicher.

      „Hoffentlich sieht uns der Kapitän“, meinte Mutter. „Oh, nein! Der dreht ab. Fährt jetzt genau in die falsche Richtung.“

      „Rufen, Kinder, so laut ihr könnt.“

      Die GRETEL änderte erneut den Kurs und fuhr direkt auf uns zu. Der Kapitän hatte uns gesehen. Er ließ eine Leiter von der Bordwand ins Wattenmeer gleiten und einer nach dem anderen gingen wir an Bord der GRETEL.

      „Wo wolltet ihr denn hin?“, fragte der Krabbenfischer. „Also, wenn ihr die Balge durchquert hättet, wäret ihr auf dem direkten Weg nach Wilhelmshaven gewesen. Schwimmend hättet ihr den Hafen von Wilhelmshaven so in zwei Stunden erreichen können. Man kann das zwar versuchen, aber das Balgenufer hochzukommen ist fast unmöglich. Der Schlick ist zu zäh. Wenn dann noch Nichtschwimmer dabei sind, mein lieber Mann.“

      Er wendete den Kutter und fuhr in den Hafen zurück.

      „Haben Sie uns nicht gesehen? Sie sind plötzlich in eine andere Richtung gefahren“, fragte ich.

      „Doch, aber ich muss doch dem Verlauf der Fahrrinne folgen, sonst steckt mein Kutter im Watt fest. Bedankt euch man bei Heinz, der vom Hafen immer mal übers Watt nach euch Ausschau gehalten hat.“

      Ich drehte mich zu meinem Bruder um.

      „Du, Heinz, du darfst von heute an meine Lutscher haben“, sagte ich und empfand tiefe Dankbarkeit.

      Am alten Kurhaus an der Promenade gab es ein kleines Schwimmbecken. Das war mit trübem Nordseewasser gefüllt, sodass man den Grund nicht sehen konnte. Vater redete eine ganze Weile mit dem Bademeister und zeigte ein paar Mal zu uns rüber. Dann kamen beide zu uns.

      „Kinder, wir sehen uns jetzt jeden Tag um zehn Uhr morgens zum Schwimmunterricht und das solange, bis ihr es könnt“, sagte Herr Behrens, der Bademeister. Er war streng, aber erfolgreich. Nach einer Woche hatten wir drei unser Freischwimmen bestanden. Mutter nähte die Abzeichen mit der einen Welle an unsere Badehosen. Oh, waren wir stolz. Auch wenn es kühler wurde, wollten wir nur noch mit der Badehose bekleidet nach draußen.

      Es war der allererste Urlaub, der für immer unvergessen blieb. Der Kontakt nach Dangast blieb. Unsere Eltern kauften später einen „richtigen“ Wohnwagen mit einem großen Vorzelt, der dann zwischen Ostern und Oktober in Dangast aufgestellt wurde. Die Luftmatratze wich einem Schlauchboot mit einem kleinen Außenbordmotor. Bis England habe ich es auch damit nicht geschafft, aber der Traum, mal Krabbenfischer zu werden, der blieb.

      Das Monster

      Von Stefan Ilius

      Was hatte ich da nur für eine Kreatur erschaffen? Hatte nicht schon Mary Shelleys Roman „Dr. Frankenstein“ gezeigt, dass man nicht mit der Schöpfung spielen sollte? Wenn ich geahnt hätte, was ich da entstehen ließ, hätte ich sicher länger darüber nachgedacht, solche Experimente durchzuführen und etwas zu erschaffen, wofür die Welt wahrscheinlich noch nicht reif war. Würde man mich dafür eines Tages wohl verdammen? Dieser dämonische Blick des Monsters, in dessen Tiefen die Feuer der Hölle zu leuchten schienen. Mich schauderte es, weil ich wusste, dass ich diesem Blick gleich wieder ausgesetzt sein würde. Es war Fütterungszeit und da war diese Kreatur besonders gefährlich. Es besaß messerscharfe Krallen in leuchtendem Rot und Fänge, die spitz und weiß aus seiner Mundöffnung strahlten, bereit jeden, dessen es habhaft werden konnte, in kleine Stücke zu zerfetzen. Mit keinem von beiden wollte ich nähere Bekanntschaft machen. Letztes Mal war es knapp gewesen, da hätte es mich mit einem Prankenschlag fast erwischt, wenn es mir nicht gelungen wäre, die dunkle Höhle, in der es nun lebte, rechtzeitig zu verlassen. Bei jeder Interaktion mit diesem Monster bestand Lebensgefahr!

      Wie nur konnte ich mir einbilden, es beherrschen zu können? Es zum Wohle der Menschheit zu dressieren? Nein, es hatte seinen eigenen Willen entwickelt und war nicht mehr bereit, seinem Schöpfer zu gehorchen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte diese Kreatur bis zum Ende aller Tage, in Ketten gelegt, in seiner Höhle verbringen können. Auch meine Frau hatte panische Angst vor