Claus Beese

Geschichten aus dem Leben


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      Papa lächelt versonnen. Das glaub' ich jetzt nicht. Kaum hat er die Mutter des Jungen unter die Erde gebracht, hat er ein neues Eisen im Feuer, nicht zu fassen. Das Kind hat seine Mutter verloren und er redet darüber, als wäre es eine sechs in Mathe. Unglaublich! Ich wende mich angewidert ab. So ein Kotzbrocken!

      Vielleicht war er jedoch von der Mutter des Jungen geschieden und die Frau am iPhone war seine „Neue“. Wahrscheinlich nimmt er den Jungen jetzt ganz zu sich, nicht bloß alle vierzehn Tage am Wochenende. Na, der wird sich wundern. Nicht nur Urlaubsstimmung, Zoobesuche, Kino und Eis essen. Nee, nee, harter Alltag kommt nun auf diesen Wochenendvater zu.

      Wieder klingelt das iPhone. „Hallo, meine Süße!“ Wieder dieses versonnene Lächeln. „Nein, Oskar ist gerade nicht da!“

      Aha, die Luft ist rein, jetzt geht das Gesülze wieder los. Das grenzt schon an Vielweiberei!

      „Also tschüss! Bussi!“

      Was finden die Frauen nur an diesem Vatermonster. Okay, er ist groß, schlank, hat eine sportliche Figur und der Dreitagebart steht ihm verdammt gut. Aber gefühlsmäßig ist dieser Kerl der absolute Supergau. Das Kind ist definitiv länger als zehn Minuten weg und er telefoniert.

      „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich einmische, aber Ihr Sohn ist schon ziemlich lange weg.“

      „Da machen Sie sich mal keine Gedanken, der kennt sich in Zügen aus. Der fährt jeden Tag mit dem Zug zur Schule.“

      Verantwortungslos ist dieser Mensch auch noch, dachte ich's mir doch.

      „Na ja, wenn Sie meinen.“

      Jetzt zieht er sein Jackett aus und krempelt die Ärmel hoch. Er ist wirklich verdammt gut gebaut, hat kräftige, gepflegte Hände und ist an den Unterarmen tätowiert. Aber es ist ja allgemein bekannt, schöne Männer sind eitel und egoistisch.

      „Ganz schön heiß, heute. Und dann diese schwarzen Klamotten.“

      Großer Gott, jetzt wird er auch noch gesprächig, allerdings passe ich bestimmt nicht in sein Beuteschema. Der steht mit Sicherheit auf solche Model-Typen, Claudia-Schiffer-Verschnitt auf High-Heels.

      „Sie waren heute auf einer Beerdigung?“

      „Ja.“

      Rums, die Abteiltür wird aufgestoßen und Oskar stürmt herein.

      „Papa, das glaubst du jetzt nicht! Ich habe gerade mit dem Schaffner geredet und der konnte sich an mich erinnern, der war am Samstagnachmittag dabei. Er hat gesagt, es wäre ganz furchtbar gewesen und ich hätte ziemlich Pech gehabt! Es tat ihm richtig leid!“

      Es muss ein Unfall gewesen sein, das wird mir schlagartig klar. Ich lasse alle schweren Unfälle, die sich in der letzten Woche in der Region ereignet haben, Revue passieren. An einen Unfall mit Todesfolgen, bei dem eine Frau ums Leben kam, kann ich mich nicht erinnern. Möglicherweise war der Unfall nicht in der näheren Umgebung und meine Zeitung hat nicht darüber berichtet. Aber dass der Schaffner dem Jungen im Zug sein Beileid ausspricht, ist so was von pietätlos. Dazu ist nur ein Mann fähig!

      „Papa, was gibt’s heute Abend zu essen?“

      „Oh, das habe ich ganz vergessen! Wir können nicht zum Supermarkt fahren, weil das Auto in der Werkstatt ist und der Kühlschrank ist leer! Tiefkühlpizza ist da.“

      Oskar verzieht das Gesicht: „Nicht schon wieder Pizza, die gab es erst gestern.“

      Mein Gott, dieser herzlose Mensch ist nicht mal in der Lage, seinen Sohn vernünftig zu ernähren.

      „Spielst du heute Abend was mit mir? Ist doch langweilig so alleine.“

      „Das geht heute wirklich nicht. Da ist noch jede Menge Hausarbeit zu erledigen.“

       „Och, Papa!“

      Tja, es ist schon ein Unterschied, wenn plötzlich ein Kind mit im Haushalt lebt. Aber wenigstens kümmert er sich um die Hausarbeit, oder ist seine Putzfrau im Urlaub?

      „Ich kann dich verstehen“, wende ich mich an den Jungen, „ich hatte auch keine Geschwister und das war manchmal ziemlich öde.“ Dieses Kind braucht doch Verständnis für seine neue Lebenssituation.

      „Wieso meinen Sie denn, ich hätte keine Geschwister?“, fragt Oskar erstaunt.

      „Na ja, ich dachte mir, weil du erzählt hast, du wärst allein und du warst vorhin so traurig und dann noch die Beerdigung.“

      „Papa, die Frau meint tatsächlich, ich wäre ein Einzelkind!“ Oskar findet das sehr lustig und will sich ausschütten vor Lachen. Auch der Vater lacht, ein wunderschönes Lachen, und zeigt dabei eine Reihe strahlend weißer Zähne, wahrscheinlich alles Jacketkronen oder Implantate.

      Das iPhone klingelt wieder. Oskars Vater brummelt: „Entschuldigung“, wendet sich ab und führt ein eindringliches Gespräch, wie ich höre, mit der Autowerkstatt und nicht wieder mit einer Frau. Er hebt die Hand und gebietet seinem Sohn zu schweigen. Oskar zappelt herum und will mir unbedingt seine Familienverhältnisse erläutern, muss aber die Klappe halten. Endlich ist das Gespräch beendet.

      „Oskar, gute Nachrichten! Wir können das Auto morgen Mittag abholen und du sollst mitkommen. Der Mechaniker aus der Werkstatt ist ein alter Freund von mir, und du sollst die Lenkstange mitbringen. Der will mal nachschauen, wieso sich da die Mutter gelöst hat und eine Ersatzmutter kannst du bestimmt auch gleich bekommen.“

      „Mensch Papa, du bist Klasse!“

      Ich kann dem Gespräch irgendwie nicht folgen. Wieso kriegt der Junge morgen eine Ersatzmutter? Doch Oskar will mir unbedingt seine Familienverhältnisse erklären.

      „Also, ich bin der Mittlere von fünf! Meine große Schwester ist ein halbes Jahr in Amerika, mein großer Bruder ist auf Klassenfahrt und meine Mama ist mit den beiden Kleinen auf Borkum zur Kur. Und deshalb bin ich alleine, und traurig war ich, weil ich beim Seifenkistenrennen ausgeschieden bin. Ich hatte die Mutter verloren und deshalb hat die Lenkung geeiert und ich bin von der Strecke abgekommen und der Patrick, der Arsch ...“

      „Oskar!“

      „Ja, ist ja gut, also, der Patrick, die Pfeife, hat gewonnen, obwohl ich das ganze Rennen geführt habe.“

      Ich glaube, mein Gesichtsausdruck ist momentan nicht sehr geistreich. Oskar will mir noch mehr erzählen.

      „Und wenn du wissen willst, wie meine Geschwister heißen, dann kannst du das bei meinem Papa nachlesen.“

      Er zerrt die Hemdsärmel seines Vaters weiter nach oben und dort steht in schönen, verschnörkelten Buchstaben auf dem rechten Unterarm geschrieben: Judith, Jasmin und Janina und auf dem linken Unterarm: Oliver und Oskar.

      „Und mein Papa heißt Otto, deshalb fangen die Jungennamen alle mit O an und meine Mama heißt Jenny und deshalb fangen die Mädchennamen alle mit J an. Und vielleicht kriegen wir noch ein Kind, aber Mama sagt, das muss dann ein Junge werden, sonst ist der Mädchenarm überfüllt.“

      Der Vater lächelt etwas verlegen. „Jetzt hör aber auf! Ich glaube nicht, dass das die Dame interessiert. Ach, übrigens Mama und Jasmin haben angerufen und wollten dich sprechen. Sie rufen heute Abend noch mal an, wenn wir zu Hause sind.

      “Und die Beerdigung?“, stammele ich fassungslos.

      „Oh, das war die Beerdigung meiner Uroma“, erläutert Oskar, „die war achtundneunzig, und der Papa hat gesagt, es war gut, dass die Uroma endlich sterben konnte, weil sie schon zwei Jahre schlimm krank war.“

      Am liebsten würde ich vor Scham im Boden versinken. Was habe ich diesem Mann alles unterstellt. Der Zug verlangsamt sein Tempo und fährt in den nächsten Bahnhof ein. Der Vater steht auf.

      „Komm, Oskar, wir müssen aussteigen. Auf Wiedersehen, ich hoffe, dass mein Sohn Ihnen nicht zu sehr auf die Nerven gegangen ist.“

       Da steht er vor mir, Otto, ein Bild von einem Mann, gutes Benehmen, angenehme Stimme. Den Tiefkühlvater nehme ich in Gedanken zurück. Dieser Familienvater ist eher das Modell Kachelofen, beständig, zuverlässig, solide gemauert, an dem sich eine Frau und fünf Kinder