Alexandra Felleitner

Der Mensch denkt - Paul lenkt


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verstummt mit einem Mal, die Musik, die Stimmen der anderen Gäste, die gesamte Geräuschkulisse. Es scheint, als würde nichts mehr existieren, nur mehr die Augen dieser geheimnisvollen Frau, und welch schöne Augen das sind! Azurblau, scheinbar endlos tief mit langen schwarzen Wimpern. Immer noch befangen durchfährt ein Blitz seinen Körper, der einen ungewohnten Schmerz und einen tiefen Eindruck hinterlässt. Es scheint unmöglich, sich von diesen Augen zu lösen und für eine Sekunde spürt er, dass auch sie ihren Blick nicht lösen kann. Ganz langsam neigt sich sein Kopf zu ihr während er einen Schritt auf sie zugeht. Sie neigt ihren Kopf zur Seite und etwas nach vorne, die Augen halb geschlossen, die Lippen ganz leicht geöffnet. Nur mehr wenige Zentimeter ist sein Kopf von ihrem entfernt, als ihr plötzlich eine andere junge Frau von hinten an die Schulter tippt.

      Kapitel 6 - Samantha

      Mit einem lauten Knall fällt Pauls Bürotür ins Schloss. Er blickt von seinen Bildschirmen auf und da steht sie. Eine junge Frau, die ihm beinahe den Atem raubt. Es dauert einen Augenblick, bis er wieder Luft holen kann und da bemerkt er ihre tiefblauen Augen und die schönen dunkelbraunen langen Haare. Die langen Wimpern geben ihrem Blick etwas Sinnliches.

      „Ja bitte, Sie wünschen?“

      „Entschuldigung, ich wollte die Tür nicht zuknallen, sie ist mir aus der Hand gerutscht. Tut mir leid. Mein Name ist Samantha, Charles York schickt mich. Du sollst mich hier in der Abteilung einschulen – ich darf doch du sagen? Ich komme vom Willkommenskomitee, aber ich bin versetzt worden.“

      „Willkommenskomitee? Was soll denn das sein?“

      „Na ja, ich sage immer Willkommenskomitee, alles andere ist ja viel zu negativ, aber bitte, dann die offizielle Bezeichnung: Todesenge. Aber das ist finde ich einfach nur schrecklich, denn das hört sich ja so an, als ob ich selbst die Entscheidung über Tod und Leben hätte. Welch fürchterliche Vorstellung! Dabei haben wir nur die einzelnen Aufträge zugeteilt bekommen und dann die Seelen herauf in den Himmel begleitet. Wie dem auch sei, jetzt bin ich hier, Gott sei Dank!

      Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, gerade in diese Abteilung versetzt worden zu sein. Das Seelen-Abholen war mir ja von Anfang an viel zu traurig und deprimierend, das hat mich immer schrecklich traurig gemacht, obwohl ich wirklich versucht habe, das Positive hervor zu kehren. Schließlich sollte man nicht unbedingt deprimiert sein, wenn die Kunden Angst haben. Hm, ich freue mich wirklich, dir helfen zu dürfen!“

      „Da muss ein Missverständnis vorliegen, ich arbeite schon seit Jahren alleine. Vermutlich solltest du zu Andrea gehen, die ist für die Neulinge zuständig, bei ihr wirst du eingeschult.“

      „Nein, ich bin mir ganz sicher, dass ich bei dir richtig bin – von Charles York habe ich einen Zettel mit deinem Namen bekommen. Du bist doch Paul, oder?“

      „Zeig mal her, das kann gar nicht sein, seit Jahren habe ich keinen Anfänger mehr angelernt. Für so etwas habe ich doch gar keine Zeit, schon gar nicht jetzt bei diesem aufwendigen Fall!“

      Paul greift nach dem Zettel, den ihm Samantha hinhält. Tatsächlich, schwarz auf weiß steht da sein Name – und was ihn verwundert – handschriftlich von Charles York. Anordnung vom obersten Boss.

       Was soll ich bloß davon halten? Normalerweise werden die Lehrlinge direkt von der zentralen Personalverwaltung zu Andrea geschickt. Warum war Samantha bei Charles York? Warum soll ausgerechnet ich sie einschulen?

      Anweisung ist Anweisung und Entscheidungen von Charles York anzuzweifeln, steht niemandem zu, auch nicht Paul. Er bemüht sich also um Gelassenheit und bittet Samantha, sich neben ihn zu setzen.

      „Na gut, dann fangen wir mal an. Wie du sicher schon weißt, werden in unserer Abteilung die zwei Seelen, die füreinander bestimmt sind, zusammengeführt.“

      „Oh ja, ich weiß, ich weiß, hier verliebt sich jeder in jeden – wie romantisch! Wann geht’s los?“

      „Langsam, langsam. Hier wird nichts überstürzt, alles muss sorgfältig vorbereitet und geplant werden. Wir dürfen uns keine Fehler erlauben, das könnte fatale Folgen haben. Und so nebenbei gesagt, hier verliebt sich nicht jeder in jeden, sondern nur die zwei, die ein ganzes Leben miteinander verbringen sollen, streng nach Auftrag.“

      „Können wir jetzt bitte bitte anfangen? Ich will alles lernen, a-alles, sofort!“

       Auch das noch, so eine übereifrige, überromantische Anfängerin, die am liebsten alles in zwei Tagen lernen möchte. Das kann ja heiter werden!

      „Also, hier auf den Monitoren siehst du unsere Schützlinge des aktuellen Falles. Das sind Sophie und Max, die gerade, wie du sehen kannst, etwas zeitversetzt, auf dem Weg zum Supermarkt sind.

      Unsere Haupttätigkeit ist das Planen und Organisieren von Begegnungen - an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten. Die erste Begegnung kann zum Beispiel ein Aneinandervorbeilaufen sein, ohne dass sich die beiden überhaupt bemerken. Das Unterbewusstsein aber ist so feinfühlig, dass es im Herzen ein winzig kleines Signal auslöst, ähnlich einer roten Lampe, die zu Blinken beginnt. Das ist für die Menschen nicht beim ersten Mal spürbar, aber das Signal wird bei jeder Begegnung immer stärker und intensiver. In weiterer Folge verursacht es sogar körperliche Empfindungen, wie zum Beispiel ein Kribbeln oder die berühmten Schmetterlinge im Bauch.“

      „Aber was ist, wenn das Lämpchen aus Versehen bei einer anderen Person zu blinken beginnt?“

      „Nein, ausgeschlossen, wenn das Lämpchen zum ersten Mal blinkt, aktiviert es automatisch einen Code, den nur das passende Gegenüber trägt. Diesen Code gibt es auf der ganzen Welt dann nur zwei Mal. Verwechslung ausgeschlossen!“

      „Sieh mal, die beiden sind schon im Supermarkt. Wir müssen etwas unternehmen, schnell, Max ist schon auf dem Weg zur Kasse! Wozu sind denn die vielen Knöpfe, wenn ich einen davon drücke, bleibt er dann stehen? Darf ich?“

      „Nein, du darfst keinen der Knöpfe drücken, bevor du nicht weißt, wie sie verwendet werden. Bleib ruhig und lerne!“

      Paul schreibt in das Eingabefeld seines Computers „Kondomschublade zu Hause leer“ und drückt auf die Entertaste. Sogleich dreht sich Max um und drängt die Menschenschlange, die sich vor der Kassa gebildet hat zurück und geht in Richtung Hygieneartikel-Regal.

      „Sag bloß, du warst das jetzt und er geht wirklich Kondome holen?“

      „Cool, was? Nach einigen Monaten Ausbildung wird dir das auch gelingen, es ist nämlich gar nicht so einfach. Nicht alle Menschen reagieren auf Gedankenblitze.“

      „Sieh doch nur auf den Bildschirm. Die beiden stehen im gleichen Gang, aber sie sehen sich nicht. Wie kann das sein? Du hast doch gesagt, das rote Lämpchen im Herzen blinkt nun bei den beiden. Wieso dreht er sich dann nicht um? Wir müssen uns beeilen, gleich hat er die Kondome gefunden und geht wieder weg. Schnell, darf ich ihm den Gedanken schicken, dass er sich umdrehen soll? Bitte, bitte, bitte, darf ich es diesmal schreiben?“

      „Nein. Regel Nummer eins: nichts anfassen! Die beiden sind ein ziemlich schwieriger Fall, der schwierigste, den ich bis jetzt überhaupt hatte. Sophie wurde in der Vergangenheit von einem anderen Mann sehr verletzt, daher lässt sie keine Gefühle mehr an sich heran und bemerkt auch nicht das Gefühl in ihrem Innersten. Die Gefühlswahrnehmung ist komplett gestört. Daher müssen wir mehr Geduld haben. Nun sieh zu und lerne!“

      Paul benutzt einen Hebel, ähnlich einem Joystick, der sich zwischen den vielen Knöpfen befindet und wandert damit am Bildschirm umher. Erst kann Samantha nicht erkennen, was er macht, dann fällt eine Flasche Haarshampoo aus dem Regal.

      „Wie ist denn das passiert? Keiner der beiden hat das Shampoo berührt! Sag bloß, das warst schon wieder du?“

      „Ja klar, das lernst du auch einmal. Es ist nicht so schwierig, Dinge zu bewegen.“

      Paul ist zufrieden und lehnt sich in seinen großen weißen Ledersessel zurück.

      „Verflixt! Eine