Alexandra Felleitner

Der Mensch denkt - Paul lenkt


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Gedanken später steigt sie aus der Dusche heraus, als es unerwartet an der Haustür klingelt.

      „Auch das noch!“

      Gestern waren die Zeugen Jerosas da, da hat sie die Tür aber nicht aufgemacht. Heute passt es Sophie genauso wenig wie gestern, um mit denen zu sprechen, das Problem ist nur, die kommen so oft, bis sie jemanden antreffen, um ihre Botschaft zu verkünden. Schnell wickelt sie sich ein Handtuch um und geht widerwillig zur Tür. Beim Öffnen holt sie tief Luft, um ihrer Stimme genug Lautstärke zu verleihen. Sie hat absolut kein Bedürfnis, ihren Glauben zu wechseln. Statt den Zeugen Jerosas steht Alfred vor ihrer Tür.

      Bevor sie etwas sagen kann, fängt Alfred zu erzählen an.

      „Du kannst dir nicht vorstellen, was heute in der Werbeagentur noch los war, nachdem du gegangen bist!“

      Ohne ihn hereinzubitten, geht Alfred einfach in Sophies Wohnung, so als wäre es seine eigene und obwohl er noch nie bei Sophie zu Hause war.

      „Woher weißt du, wo ich wohne?“

      Alfred ist wirklich der letzte, mit dem sie gerechnet hätte. Nachdem er sich in ihrem großen, breiten, weich gepolsterten Ohrensessel zurückgelehnt und die Füße hochgelegt hat, antwortet er ganz gelassen.

      „Deine Adresse hab ich natürlich vom Chef. Er hat den Würstchen-Auftrag – du weißt schon, den Millionen-Deal mit Willis-Würstchen an Land gezogen, wenn wir bis Montagabend erste Entwürfe liefern können. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen. Stell dir nur mal vor, wie hoch da unsere Prämie wäre! Also worauf warten wir? Fangen wir an zu arbeiten!“

      Sophie muss nun kurz ihre Gedanken sortieren. Alfred platzt in ihre Wohnung, die ihr heilig ist und platziert sich ganz cool auf ihrem Lieblingsplatz, auf dem sonst nur sie sitzen darf. Dann ist auch noch ihre Ruhe weg, arbeiten soll sie und ausgehen mit Lena und Peter steht auch noch auf dem Programm. Dann erst bemerkt sie, dass sie immer noch im Handtuch da steht und Alfreds Blick lässt erkennen, dass er es auch gerade erst bemerkt hat und er kann sich ein unverschämtes Grinsen nicht verkneifen. Ohne ein Wort, nur mit wütendem Schnauben macht Sophie auf dem Absatz kehrt und lässt Alfred kurzerhand sitzen. Im Badezimmer setzt sich auf die Badewannenkante, um zu überlegen, wie der heutige Abend weitergehen soll. Arbeiten möchte sie heute eigentlich nicht mehr, die Prämie könnte sie aber gut gebrauchen und was würde ihr Chef sagen, wenn sie am Montag nichts vorzuweisen hätten? Andererseits möchte sie mit Lena und Peter in Jimmys Bar gehen, die für ihre Longdrinks so bekannt sein soll.

      Während sie sich abtrocknet und die Haare fönt, beschließt sie, Alfred mit in die Bar zu nehmen, dort eine Stunde mit ihm die Würstchen-Kampagne zu besprechen und dann ohne ihn den Abend noch mit Lena und Peter zu genießen.

      Auf dem Weg vom Bad ins Schlafzimmer - immer noch mit dem Handtuch bekleidet - unterbreitet sie Alfred ihren Vorschlag, der immer noch in ihrem Lieblingssessel sitzt.

      „Aber ich dachte, wir würden hier bei dir in aller Ruhe arbeiten“, sagt er, in der Hoffnung einen Abend mit ihr in Zweisamkeit verbringen zu können. Im Schlafzimmer vor dem Kleiderschrank angelangt, antwortet sie zurück zu ihm ins Wohnzimmer:

      „Nein, Alfred, tut mir leid, die Verabredung mit meinen Freunden für heute Abend steht schon seit einer Woche, ich werde nicht absagen! In einer halben Stunde treffen wir uns in Jimmys Bar. Entweder du kommst mit und wir arbeiten intensiv eine Stunde lang an der Würstchen-Kampagne oder du vergisst den Auftrag samt Prämie!“

      Alfred ist unglücklich. Aufs Arbeiten wäre er ja auch nicht so versessen gewesen, aber mit Sophie Zeit alleine zu verbringen – welch unerfüllbarer Traum!

      „Na klar, in der Bar können wir genauso gut arbeiten, vielleicht unterstützen uns deine Freunde mit ein paar guten Ideen.“

      Sophie steht in ihrem begehbaren Kleiderschrank, welcher ein Schuhregal integriert, das bis zur Decke reicht. Sie zieht den Vintage-Jeansrock heraus, der bis knapp oberhalb der Knie reicht, hält ihn zu ihren schwarzen Stiefeln und stellt sich die neue schwarze Lederjacke im Bikerstil dazu vor mit einem engen weißen Top.

       Perfektes Outfit!

      Sie sieht sich im Spiegel an und dreht sich um ihre eigene Achse und nochmal um ihre andere Seite.

      „Irgendwas passt nicht!“

      Sie dreht sich ein drittes Mal und ist sich nicht mehr sicher.

      „Irgendwie würde es seltsam wirken, wenn ich heute mit dem Jeansrock und den Stiefeln ausgehen würde. Nicht dass Alfred das Gefühl bekommt, ich würde mich für ihn extra schick machen. Nein, das passt heute wirklich nicht!“

      Sie zieht den Rock und die Stiefel wieder aus, behält aber das weiße Top und die schwarze neue Lederjacke an und zieht sich eine Jeanshose und ihre schwarzen Stiefeletten an. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel und Sophie ist fertig.

      „Los geht’s, wir müssen uns etwas beeilen, damit wir nicht zu spät kommen“, ruft sie ins Wohnzimmer zu Alfred, währenddessen sie vom Schlafzimmer Richtung Flur geht und nach ihrer Handtasche und dem Haustürschlüssel greift. Alfred springt schnell auf, als er realisiert, dass Sophie schon draußen vor der Wohnungstüre steht.

      Während Sophie im Kleiderschrank war, blätterte er in der Frauenzeitschrift, die neben dem gemütlichen Sessel gelegen hatte. Ganz erstaunt war er über den Artikel „Wie Männer wirklich ticken“. Auf dem Weg in die Bar denkt Alfred immer noch über den Artikel nach.

       Männer ab 30 verändern sich total, Männer ab 30 seien im Verhalten wie ihre eigenen Väter, Männer ab 30 seien in ihrer Denkweise umständlich und wenn sie dann schon Kinder hätten, würden sie auf absurde Verhaltensregeln bestehen, die sie selbst als Kind und in der Jugend abgelehnt haben - zum Beispiel dürfe zwischen dem Mittag- und Abendessen nichts mehr gegessen werden – nicht einmal Obst - oder wenn die Spielsachen nicht in fünf Minuten vom Fußboden weggeräumt wären, würden sie im Ofen landen.

      „Wer denkt sich denn so was aus? Das ist ja total absurd!“

      Am liebsten würde er Sophie fragen, was sie davon hält, aber irgendwas hält ihn davon ab. Möglicherweise ist doch etwas Wahres dran? Vielleicht stimmt sie dem Artikel zu oder sie lacht mich aus?

      In der Bar angelangt, kann Sophie Lena und Peter nicht entdecken, was ihre Laune etwas drückt, nachdem Alfred schon den ganzen Weg zur Bar kein Wort gesprochen hat und sie jetzt mit ihm und seinem nichtssagenden Gesichtsausdruck alleine hier sitzen muss.

      „Wo sitzen deine Freunde?“

      „Ich habe sie noch nicht entdeckt. Sieht so aus, als wären wir zuerst angekommen. Wie wäre es, wenn wir uns einen Tisch aussuchen und gleich mal was zu trinken bestellen?“

       Alkohol. Ich brauche Alkohol!

      Sophie ist nie die erste, wenn es um Alkohol geht, aber in dieser unglücklichen Situation würde sie ein kleines Gläschen etwas entspannen.

      Eigentlich mag sie Alfred ganz gerne – er ist der ideale Arbeitskollege – er ist immer freundlich, hat immer gute Laune, er ist pünktlich, er ist durch und durch ein Durchschnittstyp, auch was das Aussehen betrifft. Und er weiß den Chef auf höfliche Weise mit Humor zu nehmen – was nicht sehr einfach ist, aber Herrn Schmitt doch in vielen Situationen entspannter wirken lässt.

      In letzter Zeit aber hält sich bei Sophie der hartnäckige Verdacht, dass sich Alfred in sie verliebt habe. Ihr ist schon aufgefallen, dass er sie manchmal länger als sonst ansieht, wenn sie miteinander sprechen bzw. wenn sie nicht miteinander sprechen, hat sie ihn schon dabei ertappt, wie er sie mustert und dabei lächelt, als wäre er in höheren Sphären gefangen. Als ihr das zum ersten Mal aufgefallen ist, dachte sie noch, er würde einfach ihre Stimmung abchecken, damit er weiß, wie sie so tickt. Alfred arbeitet ja erst seit wenigen Wochen mit Sophie zusammen, da ist es nicht ungewöhnlich, dass man sein Gegenüber analysiert, um zu wissen, mit wem man da überhaupt zusammen in einem Büro sitzt. Aber als sie diesen Blick in Kombination mit diesem Lächeln in letzter Zeit sehr gehäuft bei ihm gesehen hatte, wurde der