Michael Hamberger

Der geheime Pfad von Cholula


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unbändige Lust, sich einfach in diesen Blick fallen zu lassen, ihrer Großmutter alle ihre Zweifel und Ängste mitzuteilen, im Vertrauen darauf, dass sie auch dafür eine Lösung parat hatte.

      „Na, jetzt bist Du erst mal hier“

      Die Großmutter machte sich sanft von der Umarmung los und führte sie ins Haus. Dort erwartete sie die nächste große Überraschung. Alle ihre Familienmitglieder, also ihre Onkel und Tanten, Vetter und Cousinen, Neffen und Nichten, wirklich alle waren da. Es schien fast, wie eine große Geburtstagsüberraschungsparty. Layla freute sich so sehr, die ihr noch verbliebene Familie zu sehen, dass alle ihre Bedenken bezüglich ihres Vorhabens, wie weggeblasen waren. Sie versuchte, alle auf einmal zu umarmen. Ein tiefes Vertrauen durchströmte, Laylas Körper. Alles würde gut werden.

      8

      Diese Überraschungsparty mit ihrer Familie gab Layla dann auch die Kraft wieder, sich weiter mit Sergio Alcazar und Aguas Verdes zu beschäftigen. Für die Mexikaner hatte die Familie einen ganz anderen Stellenwert, als in zum Beispiel Deutschland. In Mexiko steht die Mutter der Familie, in ihrem Fall die Großmutter im Zentrum der Familie. Die anderen Mitglieder himmeln sie an und tun eigentlich fast immer, was die Mutter (Großmutter) sagt. Und dies galt auch für eingestandene Mexikanische Machos, die, wenn es um die Mutter ging, plötzlich butterweich wurden. Layla tat das Bad in der uneingeschränkten Liebe ihrer Familien wirklich gut. Es war wie Balsam auf ihre überstrapazierten Nerven. Speziell ihre Großmutter und Lupi taten ihr gut. Die beiden umarmten und küssten sie sehr oft. Es war einfach schön, diese wunderbaren Menschen an der Seite zu spüren.

      Es wurde viel gelacht auf dieser Überraschungsparty und es wurde am Ende sehr spät. Trotz des Jetlags und der späten Stunde konnte Layla wieder nicht einschlafen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie immer Sergio Alcazar und Antonio Gonzales López, die anscheinend nur darauf warten, bis sie sich in die Höhle des Löwen, oder sollte sie hier sagen, die Hölle des Wolfes wagte. Layla hatte dabei das Gefühl, dass die beiden versuchten, ihr Herz und ihre Seele so lange zu quetschen, bis kein Leben mehr darin war. Fast körperlich spürte sie die Enge. Auch hing immer noch der Alptraum, den sie im Flugzeug gehabt hatte nach. Sie hatte Angst wieder in solch einen grausamen Traum hineinzugeraten. Letztendlich hielt sie es nicht mehr aus und stand auf. Sie brauchte jetzt einen Kaffee, aber einen richtig starken, einen der sie auch innerlich wieder weckte.

      Orientierungssicher ging Layla durch das dunkle Haus in Richtung Küche. Sie tat Kaffeepulver und Wasser in die altmodische Kaffeemaschine und drückte auf den Knopf, der den Brühvorgang startete. Als sie sich umdrehte, sah sie ihre Großmutter am Küchentisch sitzen. Fast ließ sie vor Schreck ihre Tasse fallen. Überrascht setzte sie sich zu ihrer Großmutter, die sofort ihre Hände nahm und zärtlich massierte. Sie fragte:

      „Wann brichst Du auf?“

      „Morgen in aller Frühe, Abuelita“

      „Du solltest Dich erst wirklich erst ausruhen. Du bist müde und erschöpft und die große Eile führt nur zu Fehlern, die Du später bereuen könntest!“

      „Ich kann nicht, es bleibt keine Zeit. Ich muss es jetzt tun, sonst tue ich es gar nicht mehr!“

      „Dann lasse mich Dir etwas erzählen, dass ich noch nie jemandem erzählt habe! Du erinnerst Dich doch, wie sehr in die Virgen de Guadalupe verehre?“

      Natürlich erinnerte sich Layla. Ihre Großmutter verehrte die Virgen de Guadalupe, also die Jungfrau von Guadalupe sehr. Es war fast schon ein Lebensinhalt für sie. Die Großmutter betete täglich zur Virgen und ihr Zimmer war voll mit Heiligenbildern und Statuen. Eine der frühesten Erinnerungen, die Layla von ihrer Großmutter hatte, war, als diese ihr die Geschichte der Virgen de Guadalupe erzählte.

      Zwischen dem 9. Dezember und dem 12.Dezember des Jahres 1531 erschien Juan Diego Cuauhtlatoatzin, einem Indio, die Mutter Gottes insgesamt viermal in Tepeyac einem Hügel im äußersten Norden von Mexiko City. Bei der vierten Erscheinung befahl die Jungfrau Maria Diego, dass er den Bischof von Mexiko, Juan de Zumárraga aufsuchen solle, um diesem mitzuteilen, dass er hier auf diesem Hügel, eine Kirche für sie bauen solle. Der Bischof glaubte dies Juan Diego nicht, sandte Diego zurück und verlangte nach einem Wunder als Zeichen, sozusagen als Beweis für ihre Forderung. Die Jungfrau wies Juan Diego daraufhin an, Blumen vom Gipfel des Hügels zu pflügen, obwohl es Winter war, und gar keine Blumen blühten. Auf dem Hügel fand Juan Diego kastilianische Rosen, Blumen aus der Heimat des Bischofs, die es aber in Tepeyac in Natura gar nicht gab. Die Jungfrau half daraufhin, die Rosen im Mantel von Juan Diego zu arrangieren. Als dieser seinen Mantel mit den Rosen dem Bischof präsentierte, war auf dem Mantel das Abbild der Jungfrau Maria zu sehen, aber mit dunkler Hautfarbe und mit indigenen Gesichtszügen. Dieses Abbild ist heute noch auf dem Mantel zu sehen. An der Stelle der Erscheinung wurde daraufhin die Basílica de Nuestra Señora de Guadalupe errichtet, wo der Mantel heute noch ausgestellt wurde.

      Als sie noch in Mexiko City wohnte, ging ihre Großmutter fast täglich zur Basilika. Dabei nahm sie jedes Mal einen Fußweg von circa fünf km pro Weg auf sich und dabei war es ihr egal, ob es regnete, kalt war, oder ob sie vor drückender Hitze kaum schnaufen konnte. Ganz besonders wichtig war ihrer Großmutter dabei der 12. Dezember, der Jahrestag der Erscheinung, wo bei der Basilika immer ein großes Fest gefeiert wurde. Ihre Großmutter ging dann teilweise schon um kurz nach Mitternacht aus dem Haus, dass sie ja einen guten Platz bei der feierlichen Messe hatte. Auffordernd sah sie ihre Großmutter an. Sie war jetzt sehr neugierig, was ihre Großmutter zu erzählen hatte. Diese war ganz in sich gekehrt. Ein seliges Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie fortfuhr:

      „Du kennst doch diesen wunderschönen Garten bei der Basilika, den ich so sehr liebe? Dort sind an der genauen Stelle der Erscheinung, Statuen aufgestellt, die die Szene nachstellen?“

      Layla nickte bejahend den Kopf. Sie war selbst schon einige Male an dieser Stelle gewesen. Auch sie hatte dieser Ort bis in den Kern ihrer Seele berührt. Es war fast schon ein magisches Ambiente an diesem heiligen Ort zu spüren. Man konnte stundenlang dort verweilen, ohne dass man bemerkte, wie die Zeit verging. Layla hatte dabei fast immer das untrügliche Gefühl, dass der Geist der Virgen diesem Ort immer noch sehr nahe war. Layla konnte ihn dort fast fühlen. Auch jetzt ging ihr in Erinnerung daran wieder ein angenehmer Schauer über den Rücken und sie schwor sich, dass sie, falls sie heil aus diesem Abenteuer herauskäme, der Basilika und der Virgen einen längeren Besuch abstatten würde. Dabei wollte sie dann auch ihre Großmutter mitnehmen.

      „Als junges Mädchen war ich einmal ganz früh am Morgen an diesem heiligen Ort. Ich wollte einige Zeit in stiller Andacht ganz alleine mit der Virgen verbringen. Ich hatte das wertvolle Amulett mitgenommen, das ich von meiner Mutter bekommen hatte, als ich noch ein kleines Mädchen war. Als ich in stillem Gebet vor der Virgen stand, begann das Amulett plötzlich, sich zu erwärmen. Es wurde so heiß, dass ich mir fast die Haut verbrannte. Ich nahm das Amulett heraus und bemerkte, dass es in einem wunderschönen Blauton leuchtete. Als ich das Amulett berührte, da schoss ein wunderbarer Energiestrom durch mich, fast so, als ob mich der direkte Segen der Virgen berührt hätte. Ich sank auf die Knie und betete demütig zur Ihr. Irgendwie wusste ich, dass das Amulett für mich bestimmt war. Meine Mutter hatte es von ihrer Mutter bekommen, aber irgendwie hatte es bei ihr keine besondere Wirkung, bei mir dagegen schon. Es schien, als würde es meine Seele öffnen. Es schien, als würde es zu mir sprechen!“

      Mit vor Staunen offenem Mund sah Layla ihre Großmutter an. Natürlich kannte sie dieses Amulett. Es war eine wunderschöne Arbeit, mehr noch, viel mehr. Es war ein Meisterwerk. Das Amulett war ein ovaler Anhänger, circa 7 cm lang und 4 cm breit, der an einer filigranen, feingliedrigen Silberkette befestigt war. Auf diesem ovalen Anhänger war ein unglaublich kunstvolles Abbild der Virgen de Guadalupe, eben genauso, wie sie auf Juan Diegos Mantel dargestellt war. Dabei war es unglaublich detailliert und bis in die kleinsten Konturen hinein perfekt verarbeitet. Es wirkte beinahe lebendig, fast so, als ob der Geist der Virgen selbst dort innewohnte. Layla hatte schon viele Abbilder der Virgen de Guadalupe gesehen. Sie war die Schutzheilige der Mexikaner und wurde enthusiastisch geliebt und verehrt. An der Basilika waren neben den Heerscharen von Touristen auch immer tausende Mexikaner. Dies zog natürlich auch diejenigen Leute an, die mit