Michael Hamberger

Der geheime Pfad von Cholula


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Liebe ausgestattet, die in tausenden Ständen und kleinen Geschäften feilgeboten wurden. Aber niemals hatte Layla ein ähnlich perfektes Meisterwerk, wie das ihrer Großmutter gesehen. Sah man es an, dann hatte man wirklich das Gefühl, man sah die Jungfrau Maria selbst an. Man meinte dieselbe Magie zu spüren, die man ebenfalls an der Stelle der Erscheinung der Jungfrau spürte. Seit ihre Großmutter nicht mehr täglich an der Basilika beten konnte, betete sie immer direkt vor diesem Amulett. Layla begann nun immer mehr zu verstehen, warum ihre Großmutter dieses Amulett so liebte.

      „Es soll nun Deines sein, mein Kind!“

      Layla reagierte erst gar nicht, bis die Tragweite dieses Satzes mit voller Wucht bei ihr ankommt. Hätte ihre Großmutter gesagt, so wolle sich einen Daumen abschneiden, um ihn für sie zu opfern, hätte sie das noch eher geglaubt. Layla war geschockt. Ihre Großmutter wollte ihr ihr absolutes Heiligtum schenken, ihr Leben, ihre Seele.

      „Nein, Abuelita, das kann ich unmöglich annehmen!“

      „Doch, Du musst. Bei dem, was Du vorhast, wirst Du es mehr brauchen, als ich! Es wird Dich schützen. Trage es bei Tag und bei Nacht. Lege es niemals ab! Ich bin alt. Ich habe mein Leben gelebt. In naher Zukunft, wenn ich nicht mehr bin, wird es so oder so Deines sein!“

      „Abuelita, Du wirst hoffentlich noch lange leben. Ich nehme es an, aber nur geliehen. Ich werde es Dir so schnell als möglich zurückgeben!“

      Ohne weiteres Wort, aber mit strahlenden Augen nahm die Großmutter das Amulett ab und legte es Layla um den Hals. Layla schossen heiße Tränen in die Augen. Mit dem Daumen wischte die Großmutter diese Tränen weg. Man sah ihr an, wie stolz sie auf Layla war. Layla war bis in die Seele gerührt und eine tiefe Liebe zu dieser wunderbaren Frau erfüllte sie. Sie umarmte die Großmutter stürmisch und weinte, lachte, jauchzte im selben Moment.

      Plötzlich leuchtete das Amulett blau auf und Layla spürte ein Pulsieren, dass sich vom Amulett ausgehend in ihre Brust übertrug. Die ganze Atmosphäre im Raum änderte sich just in diesem Augenblick. Es war, als ob sich das ganze Zimmer mit einer unglaublich starken, magischen Energie aufgeladen hätte. Fast konnte Layla die elektrostatischen Aufladungen spüren und sie war sicher, dass sie einen Schlag bekommen würde, wenn sie ihre Großmutter jetzt berühren würde. Das blaue Leuchten nahm noch weiter zu und begann plötzlich direkt vor ihr und ihrer Großmutter Wirbel zu erzeugen, fast wie einem beginnenden Tornado. Die Luft vibrierte. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Layla die Szene. Etwas schien sich in diesem Wirbel aus blauem Licht zu manifestieren. Laylas Herz ließ ein oder zwei Schläge aus. Sie sank auf die Knie. Die Lichtwirbel wurden immer heftiger und schneller und kreisten Layla und ihre Großmutter ein. Auf einmal waren die beiden mittendrin. Pure Energie ging auf Layla über. Sie hatte das Gefühl, als würde sie vom Boden abheben und in dieser wunderbaren Lichtenergie schweben. Sie streckte die Hand aus, um ihre Großmutter zu berühren, die ebenfalls auf dem Boden kniete. Lichtblitze schossen ihr aus den ausgestreckten Fingern. Ebenso bei ihrer Großmutter. Die Hände fanden sich. Das schien die Energie in diesem Lichttornado nochmals zu verstärken. Die Wirbel erfassten mittlerweile das ganze Zimmer. Da spürte Layla plötzlich ganz deutlich eine zarte, aber doch kraftvolle Hand auf ihrer Schulter. Layla öffnete den Mund zu einem stillen Schrei. Sie war so glücklich, wie nie zuvor in ihrem Leben und wünschte sich, dass dieser wundervolle Moment niemals vergehen möge. Sie sah ihrer Großmutter in die Augen. Diese erwiderte den Blick mit einem wissenden Lächeln. Plötzlich wusste Layla, dass das Amulett genau jetzt, in eben diesem Moment in ihren Besitz übergegangen war. Sie schloss die Augen und sah vor ihrem inneren Auge, wie sich eine Gestalt, die genau zwischen ihr und ihrer Großmutter stand, sich umdrehte und ganz langsam und würdevoll entfernte. Sie konnte die Gestalt dabei nicht erkennen, aber sie war sich sicher, dass sie wusste, wer dies war. Die Gestalt drehte sich nochmals um und winkte den beiden zu. Dann war sie verschwunden. Augenblicklich wurde auch das Lichtwirbeln schwächer, bis es nach einigen Sekunden ganz verschwand. Sie umarmte wieder ihre Großmutter und fragte:

      „War das real, oder war es nur ein wunderschöner Traum?“

      „Beides“

      Layla öffnete den Mund. Sie wollte so viel sagen, so viel fragen, sie wollte ihr Glück herausschreien, doch ihre Großmutter legte ihr die Finger den Mund, wie um zu sagen, dass Layla diesen wunderschönen, magischen Moment nicht zerreden sollte. Also legte Layla einfach den Kopf auf die Schulter ihrer heiß geliebten Abuelita. Eng umschlungen blieben die beiden knien, bis Layla wieder eine Hand auf der Schulter spürte. Sie drehte sich um und sah Lupi vor ihr stehen. Auch Lupi lächelte. Es schien fast so, als ob sie die ganze Szene gesehen hätte. Die Großmutter und Layla erhoben sich, immer noch an den Händen haltend. Lupi sagte:

      „Ich koche uns Kaffee. Die Sonne müsste gleich aufgehen, dann stehen auch die Anderen auf!“

      Layla und ihre Großmutter setzten sich an den Küchentisch. Layla verstaute das wertvolle Amulett in ihrer Bluse. Es war immer noch warm. Es war direkt über ihrem Herzen. Layla hatte immer noch das wunderbare Gefühl, als ob von diesem Amulett Energie direkt auf sie überging.

      9

      An dem Frühstück nahm wieder die ganze Familie teil. Alle hatten im Haus der Großmutter übernachtet und es war Layla wieder einmal ein Rätsel, wie diese Menge an Personen einen Platz zum Schlafen finden konnte. Es war ein herzliches Miteinander und sie lachten wiederum viel. Auch Layla wurde immer wieder umarmt oder auf die Wange geküsst, oder beides. Sie genoss dies sichtlich, aber trotzdem war sie sehr nachdenklich und auffallend ruhig. Es war klar, dass sie das Geschehene sehr beschäftigte. Layla glaubte zwar nicht an übernatürliche Phänomene, was war aber dann dies, was eben hier in dieser Küche mit ihrer Großmutter und dem unbezahlbar wertvollen Silberamulett, das jetzt anscheinend ihres war, geschehen war? War dies alles nur ein wunderbarer Traum gewesen, war es eine Illusion, oder war es wirklich eine Erscheinung? Wer oder was war diese geisterhafte Gestalt, die erschienen war und ihrer Großmutter und ihr die Hand auf die Schulter gelegt hatte? Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es die Virgen de Guadalupe selbst gewesen sein sollte. Was war es aber dann? Ihre Großmutter wusste es, da war sie sich sicher. Mit vor Glück leuchtenden Augen saß diese in ihrer angestammten Ecke und schlürfte an ihrem Kaffee. Immer wieder sah sie liebevoll zu Layla und lächelte.

      „Layla, ich habe Dir den Leihwagen besorgt, so wie Du es gewünscht hast. Er steht vor dem Haus!“

      Layla schreckte zusammen. Sie war noch ganz in ihrem wunderbaren Traum gefangen gewesen und der Übergang zur Wirklichkeit fiel ihr etwas schwer. Doch Daniel hatte Recht. So sehr sie es auch bedauerte, sie hatte einfach keine Zeit, den ganzen Tag einfach nur vor sich hinzuträumen. Dafür hatte sie zu viel vor. Sie wollte gleich aufbrechen und sich in Cholula umsehen. Vielleicht konnte sie dort ein paar Leute zum geheimen Pfad interviewen und sie hoffte, dass sie die alte Frau fand, die sie in ihrer Internet Recherche gefunden hatte, die, die behauptet hatte, dass sie eine der verschwundenen Frauen direkt auf dem geheimen Pfad schreien gehört hatte. Zum Glück hatte sie alles auf ihrem Laptop gespeichert. Mann, war ihre Internetrecherche wirklich erst zwei Tage her? Es schien ihr fast so, als ob in der Zwischenzeit ein ganzes neues Leben an ihr vorbeigezogen wäre. Es hatte sich in der Zwischenzeit soviel für Layla geändert, und sie war sich auch sicher, dass sie selbst auch nie wieder die Selbe sein würde.

      Da fiel ihr Blick auf ein Bild in der Zeitung, die Daniel gerade aufschlug. Das war doch, nein, das konnte unmöglich sein. Sie riss dem verdutzten Daniel die Zeitung regelrecht aus der Hand und wurde leichenblass. Unter einem Photo einer jungen, blonden Frau stand:

       „wer kenn diese Frau? Sie wurde gestern Abend tot auf dem Parkplatz des Plaza Cristal aufgefunden. Für sachdienliche Hinweise…“

      Weiter konnte Layla dann nicht mehr lesen. Sie war zu geschockt. Sie kannte diese Frau. Gut, „gekannt“ war wahrscheinlich zu viel des Guten. Sie wusste, wer das war. Die tote junge Frau auf dem Bild war die Blondine, mit der Antonio Gonzales López gestern im Flugzeug angebandelt hatte und mit der er sie dann in Puebla am Busbahnhof gesehen hatte. Sie zeigte das Bild Lupi, die hinter sie getreten war.

      „Erkennst Du diese Frau?“

      „Ja,