Horst Neisser

Centratur - zwei Bände in einer Edition


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du Feigling nicht mitmachen willst, dann befreie ich sie eben allein“.

      „Das lasse ich nicht auf mir sitzen. Wer hier tatsächlich feig ist, wird sich noch herausstellen“.

      Sie hatten über ihrem Disput die Gefahr ganz vergessen und sich zuletzt gegenseitig angeschrien. Plötzlich waren sie von Eritsoldaten umringt, die mit gezogenen kurzen Schwertern auf sie losgingen.

      „Wen haben wir denn da?" fragte ihr Anführer triumphierend. „Heute ist unser Glückstag! Das sind doch die Leute, nach denen im ganzen Heimland gesucht wird. Das wird eine saftige Belohnung geben“.

      Von der Straße her rief in diesem Moment eine heisere Stimme: „Wo bleibt ihr? Beeilt euch, ihr kleinen Gauner, wir müssen weiter. Ihr seid ein faules Volk und sucht ständig nach Gelegenheiten, den Marsch zu unterbrechen. Kommt jetzt, sonst holen wir euch“.

      „Verdammt noch mal“, flüsterte einer der Erits. „Die Südländer werden uns sicher die Gefangenen abnehmen, die Belohnung kassieren, und wir gehen wieder leer aus“.

      „Wir dürfen ihnen diese drei Banditen eben nicht zeigen“, sagte der Anführer nachdenklich. Dann erteilte er rasch Befehle.

      „Dollmann, Weißhand, Windhaar! Ihr bleibt hier und bewacht die Gefangenen. Wir gehen weiter und kommen so schnell es geht zurück. Dann liefern wir diese Verbrecher in Steinbruch beim General ab. Schließlich hat er im ganzen Heimland zur Fahndung aufgerufen“.

      Er wandte sich an Horsa und die beiden Menschen: „Streckt eure Arme vor, damit wir euch fesseln können. Aber macht keine Tricks, wenn euch euer Leben lieb ist. Wir fackeln nicht lange, und tot seid ihr genauso wertvoll wie lebend. Es hieß nämlich, die Belohnung werde auch für eure Leichen gezahlt“.

      Die Horsa und Werhan hoben ihre Hände. Es sah aus, als hätten sie sich in ihr Schicksal ergeben. Beruhigt ließen die Soldaten ihre Waffen sinken und gingen auf sie zu. Im diesem Augenblick aber fassten beide über ihre Schultern und zogen ihre Schwerter. Sie hatten, ohne sich zu verständigen, den gleichen Gedanken gehabt und auch sofort in die Tat umgesetzt. Ohne Vorwarnung griffen sie an, und bevor die Soldaten die Gefahr richtig wahrgenommen hatten, waren sie niedergestreckt. Erst als sie um sich herum die blutenden Leichen sahen, kamen Horsa und Werhan wieder zu sich. Marga stand schreckensbleich daneben und brachte kein Wort heraus. Sie hatte zwar ihren Dolch gezogen, aber nicht in den Kampf eingegriffen. Nun hörten sie wieder die böse Stimme des Südländers.

      „Wenn ihr faules Pack nicht endlich kommt, dann könnt ihr etwas erleben. Ich verspreche euch, dass ihr solange gepeitscht werdet, bis ihr nicht mehr aufsteht“.

      „Wir kommen schon“, rief Horsa und ahmte dabei die Stimme des Erit-Offiziers nach. „Du gehst rechts und ich links herum“, zischte er Werhan zu und lief los, ohne weiter darauf zu achten, ob sein Befehl auch befolgt wurde. Vorsichtig zwängte er sich durch die Hecke. Auf der Straße sah er die beiden großen Gestalten am ersten Wagen stehen und aufmerksam ins Gebüsch starren.

      „Was diese Erit-Kerle wohl wieder treiben?" fragte der eine. „Wir sind viel zu gutmütig mit dieser Brut“.

      In diesem Augenblick sprang Werhan mit gezogenem Schwert vor und griff ohne Zögern an. Erstaunt wandten sich die Fremden ihm zu. Doch bevor sie sich zur Wehr setzen konnten, hatte der junge Mann bereits mit seinem Schwert zugeschlagen und hinterließ eine klaffende Wunde im Arm des Kleineren. Vor Wut und Schmerz heulte dieser auf. Alle hatten nun ihre Waffen gezogen. Horsa hatte sich in der Zwischenzeit langsam von hinten herangeschlichen und stach nun sein Schwert mit großer Kraft in den Rücken eines der Südländer. Der Stich war überlegt und ruhig ausgeführt worden und sofort tödlich. Dem Opfer quoll ein Schwall Blut aus dem Mund und dann brach es lautlos zusammen.

      Der andere der großen Männer fuhr herum und hieb auf Horsa ein. Dieser parierte und wich aus, während nun Werhan wieder angriff. Zu zweit nahmen sie den überlebenden Feind in die Zange. Dieser war aber kein unerfahrener Erit-Soldat, sondern ein gewiefter Kämpfer und seinen Gegnern an Kraft, Erfahrung und Heimtücke weit überlegen. Er achtete sorgfältig darauf, dass ihm keiner der beiden in den Rücken fallen konnte und trieb sie vor sich her die Straße hinunter. Es war nur noch eine Frage von Augenblicken, bis er Werhan oder den Grafen niedergestreckt hatte. Doch dazu kam es nicht. Der Südländer stöhnte plötzlich auf und sackte in sich zusammen. In seinem Rücken steckte ein langer Dolch, den Marga mit zwei Händen wieder herauszuziehen versuchte. Sie hatte den Fuß auf den Rücken des Toten gestemmt, aber ihre Kraft reichte nicht aus. Ihr Bruder musste ihr zur Hilfe kommen. Dann wandten sie sich den Wagen zu. Die gefangenen Erits hatten mit fassungslosem Entsetzen den Kampf verfolgt und jubelten, als man sie von ihren Fesseln befreite.

      „Mit euch hätte ich nicht gerechnet“, sagte Mog zufrieden und rieb sich die Handgelenke. „Aber ihr seid nicht zu früh gekommen. Wir sollten zum General nach Steinbruch gebracht und dort verhört werden. Man hat in Heckendorf willkürlich Leute verhaftet, von denen man annahm, dass sie mit euch zu tun hätten“.

      „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der General hinter allem steckt“, sagte Horsa zu Werhan. „Warum hätte er uns freilassen sollen, wenn er doch Jagd auf uns machen wollte“.

      „Die Freilassung sollte sein Gewissen beruhigen. Er war sich so sicher, dass er uns bald wieder eingefangen haben würde und hätte dann vor sich und aller Welt sagen können, er habe uns eine Chance gegeben. Das sei er dem Sohn seines ehemaligen Herrn schuldig gewesen“.

      „Was hat der General mit diesen Menschen zu tun?"

      „Du wirst der Wahrheit ins Auge sehen müssen: er hat sich mit dem Feind verbündet. Dabei ist es egal, welche Gründe er hat. Vielleicht will er seine Garnison retten? Vielleicht ist er bestochen worden oder auch nur ein jämmerlicher Angsthase, der durch Verrat seine Haut zu retten versucht? Tatsache ist, dass er uns jagen lässt, und einen Preis auf unseren Kopf ausgesetzt hat“.

      Mog hatte dem Disput aufmerksam zugehört. Als die beiden schwiegen, sagte er ruhig: „General hin, General her! Wo gehen wir jetzt alle hin? "

      „Wir hatten eigentlich vor, uns zu euch nach Heckendorf durchzuschlagen und dort unterzutauchen. Aber daraus wird wohl nichts. Gutruh ist nicht mehr sicher“.

      „In unserem schönen Gutruh haben sich schreckliche Menschen einquartiert. Sie werden es so besudeln, dass wir wochenlang schrubben müssen, um es wieder sauber zu bekommen“. Ev hatte sich eingemischt. „Aber ich mache euch einen anderen Vorschlag. Westlich von hier, in Nordhausen, wohnt Til, unser Sohn. Bei ihm können wir um Aufnahme bitten. Dort wird man uns nicht suchen“.

      „Dieses Ziel leuchtet mir ein“, sagte Horsa nachdenklich. „Aber wir gehen nicht über die Nordhausenstraße, das ist zu gefährlich. Wir pirschen uns über Feldwege nach Süden bis zur Querfeldstraße. Von dort nach Westen und dann über die Bergstraße bis zum Schiefertonwald. Das ist zwar ein weiter Umweg, aber so könnten wir vielleicht durchkommen, obwohl das ganze Heimland nach uns Ausschau hält“.

      „Was ihr vorhabt, ist mir gleichgültig. Wir bleiben auf jeden Fall nicht länger hier und warten“. Ein dicker Erit mit einer großen, roten Nase war mühsam vom Leiterwagen heruntergeklettert und hatte sich vor ihnen aufgebaut. „Man hat mir mein Vieh und meinen Wagen genommen, man hat mich geschlagen und gefesselt. Nun bin ich zum Glück wieder frei und kann zurück auf meinen Hof. Dort werde ich nämlich gebraucht. Mein Vieh kann nicht warten, bis alle Verrückten aus dem Heimland abgezogen sind. Ich habe auch nicht vor, Versteck zu spielen. Meine Verhaftung war ein Irrtum, denn ich habe mir in meinem ganzen Leben noch nichts zu Schulden kommen lassen. So etwas wird sich deshalb auch nicht wiederholen. Ich bin sicher, man wird mich und die Meinen in Ruhe lassen. Dies aber nur, wenn wir rasch verschwinden und wieder unserem Alltag nachgehen“.

      „Bauer Michel", sagte Mog, „ich kann dich gut verstehen. Auch ich wäre jetzt lieber in meinem Haus Gutruh. Aber Gutruh gehört uns nicht mehr, und wenn wir dorthin zurückkehren, so werden wir nicht mehr lange leben. Im Heimland hat sich alles verändert, und auf deinem Hof bist du nicht mehr sicher. Du wirst wohl oder übel mit uns kommen müssen. Dein Leben ist wichtiger als dein Vieh. Also, mach' keinen Unsinn und schließe dich uns an!"

      Doch