Gerhard Gemke

Cave Cobaltum


Скачать книгу

tauchte das Zimmer in fahles Licht, gerade hell genug um dem Chaos auf dem Boden auszuweichen. Auf Zehenspitzen näherte sie sich dem Fenster und schob den Vorhang zur Seite.

      Der Bürgersteig vor dem Haus war menschenleer. Der Wind, der laut Wetterbericht im Laufe der Nacht Sturmstärke erreichen sollte, zerrte an den Buchenästen. Elas Aufmerksamkeit richtete sich auf die Straße, dann auf den Schatten des Rhododendrons bei der Haustür. Die Tür selbst konnte sie nicht erkennen, dafür aber ein helles Rechteck, das sich unruhig auf und ab bewegte. Das Display eines Smartphones. In seinem Widerschein tauchte ein Wolfsgesicht auf, vorstehende Schnauze und tiefe Augenhöhlen. Eine optische Täuschung natürlich.

      Gleichzeitig hörte sie Telefonklingeln unten im Haus und Sekunden später die Stimme ihres Vaters. Absätze knallten auf den Steinfußboden und die Haustür wurde geöffnet. Mit einem Sprung hatte der Wolf den Schatten verlassen und war im Haus verschwunden. Für einen Moment hatte Ela in das bärtige Gesicht geblickt, in die Augenkrater. Blitzschnell war sie zurückgewichen, so hastig, dass der Vorhang flatterte. Hatte er die Bewegung bemerkt? Unten im Haus hörte sie Stimmen. Unverständliche Worte, eindeutig wütender als beim ersten Besuch des Wolfs vor drei Wochen.

      Ela kannte die Fußbodendielen ihres Zimmer genau genug, um lautlos zur Zimmertür zu gelangen. Ihre Knie knackten, als sie sich hinhockte und das Ohr ans Schlüsselloch presste.

      „… Operation beginnen!“, verstand sie. Ihr Vater antwortete, aber zu leise. Es folgte ärgerliches Gemurmel, bis die Stimme des nächtlichen Besuchers wieder lauter wurde. Eine letzte Frist! Und dann das Wort Bergfrieden, das als Echo in ihrem Kopf widerhallte. Oder war es ihrer überdrehten Fantasie entsprungen, die sich in diesem Moment ausmalte, wie sich das Gesicht des Wolfes dem ihres Vaters näherte. Ela glaubte seinen stinkenden Atem riechen zu können, als er Noch eine Woche knurrte.

      Sie warf einen schnellen Blick zum Bildschirm. Dort hatte ein kaum hörbares Pling das Eintreffen eine neue Nachricht angekündigt. Beryll war jetzt on. Ela wagte nicht aufzustehen, sie hatte Angst, dass das Knacken ihrer Knie sie verraten würde. Erst als die Haustür ins Schloss gefallen war, erhob sie sich. Mit wenigen Schritten stand sie am Fenster. Von dem bärtigen Besucher war schon nichts mehr zu sehen. Verlassen lag der Asphalt im gelben Licht der Straßenbeleuchtung. Eine Katze huschte über die Fahrbahn, auch sie schwarz wie die Augenhöhlen des Wolfs. Für eine Sekunde spiegelte sich das Laternenlicht in ihren phosphoreszierenden Pupillen, dann hatte sie die Nacht verschluckt. Der Wind hatte mittlerweile weiter zugelegt. Vier hohe und zwölf tiefe Glockentöne wehten in Fetzen vom Kirchturm herüber. Mitternacht.

      Als Ela wieder vor dem Bildschirm saß, brauchte sie mehrere Anläufe, bis sie sich auf die Nachrichten konzentrieren konnte. Beryll hatte sich inzwischen entnervt verabschiedet.

      blöd dassdu nicht antwortest! anderweitig beschäftigt odre was?

      Und direkt darunter: hi noch jemand wach?

      Ela hatte den allgemein zugänglichen Teil des WAAMPIRE-Chats geöffnet. Hier war es für jeden möglich sich einzuloggen und zu schreiben. Dem hier war sie noch nie begegnet. kobold nannte er sich. Oder nannte sie sich.

      MissVerständnis schrieb: ?

      kobold: ist doch die site von wampire

      Klar war sie das, stand doch laut und deutlich und mit Doppel-A oben über dem Chatfenster.

      MissVerständnis: steht doch da

      kobold: bist du eine von denen?

      MissVerständnis: jap

      kobold: könn wir pvt?

      MissVerständnis: y?

      kobold: ich will nich das jeder mitlist

      Ela hatte den Mauspfeil auf seinen Chatnamen geschoben. kobold hatte kein Bild oder sonst etwas über seine Person angefügt.

      MissVerständnis: was wichtiges?

      Im selben Moment öffnete sich ein weiteres Fenster, in dem Ela mit dem Unbekannten privat chatten konnte. Falls sie die Einladung annahm. Ela nahm an.

      MissVerständnis: also was gibts

      kobold: was wollte der kerl?

      MissVerständnis: ?

      kobold: du weißt wer

      Ela zögerte. Konnte kobold den Wolfsbesuch meinen? Was sonst, aber wieso wusste der davon? Und was sollte die Fragerei?

      MissVerständnis: keine ahnung

      kobold: schonma was von bergfrieden gehört

      Ela zögerte. Vorsicht!

      MissVerständnis: wer bist du?

      kobold: egal

      Sollte sie das hier abbrechen? Andererseits …

      kobold: du hast also davn gehört – der typ ist gefärlich

      MissVerständnis: wieso

      kobold: es geht um helldor

      MissVerständnis: na und?

      kobold: asse 2 klappt nicht also jetz helldor

      MissVerständnis: quatsch

      kobold: ich meld mich wieder

      MissVerständnis: was willst du?

      Keine Antwort. kobold hatte sich ausgeloggt.

      Draußen schlugen die Zweige der Buche wie Peitschen gegen die Hauswand. Ihr Vater hatte den Baum längst fällen wollen. Ela fuhr den Rechner runter und legte sich aufs Bett. Lange lauschte sie dem heulenden Sturm.

      Drei Tage hörte sie nichts mehr von kobold.

      Am nächsten Morgen verließ ihr Vater schon früh das Haus. Ela frühstückte allein und machte sich kurz vor neun auf den Weg zur Schule. Als sie die Haustür öffnete, knirschte etwas unter ihren Sohlen. Feine weiße Krümel lagen auf der obersten Stufe. Die Schuhe ihres Vaters hatten schon viel verwischt, trotzdem war die Zeichnung noch zu erkennen, die dort hingestreut war. Eine Art … Gesicht aus Salz.

      2

      Sonntag, 10. Juli, 8.57 Uhr. Flugplatz.

      Jade hasste sein Grinsen. Jade hasste die Lässigkeit, mit der Al der Cessna einen Klaps gab und Sekunden später auch ihr. Und sie hasste die Vorstellung, dass Beatrix ebenso bedacht wurde, sobald Jade ihnen den Rücken zudrehte, und dass Beatrix dabei quiekte wie ein … egal. Das Schlimmste war, dass sie selbst so gequiekt hatte. Das war nun vorbei. In sehr naher Zukunft hatte es sich ausgequiekt, für alle drei. Oder genauer für alle vier, falls der vierte Passagier endlich kam.

      Al Mandin, der Pilot. Der Held. Das Schwein. Sie war ihm freiwillig gefolgt und für kurze Zeit hatte sie geglaubt, ihre Flucht hätte ein Ende, Weißenhall wäre vergessen, die Behörde weit weit weg. Und die Hölle, zu der alles von dem Tag an wurde, als sich die Tür öffnete und diese gebückte Gestalt ihr Büro betrat. Genauer das Büro ihres Chefs, der ihr gegenüber hinter dem größeren Schreibtisch saß. Jade erinnerte sich sogar an das Datum. Montag, 4. April.

      „Kronk“, stellte sich die Gestalt vor, „Graf Diopsid Kronk.“

      Jade hatte ihn auf der Stelle erkannt. Er steuerte direkt auf Heribert Meier zu, ohne von ihr Notiz zu nehmen. Modriger Altmännergeruch wehte ihm nach. Es ginge um dieses Projekt, die Operation Bergfrieden, Meier wisse ja Bescheid. Warum es so lange dauere. Ob es Probleme gäbe.

      Der Graf hatte Jade seinen gekrümmten Rücken zugewandt, während er ihren Chef mit rasselndem Wortschwall überschüttete. Jade spürte, wie die Narbe auf ihrer linken Wange mit jedem seiner Worte dunkler glühte. Da stand er zum Greifen nahe. Diopsid Kronk! Jades linke Hand umklammerten den Brieföffner, ein Geschenk ihrer Urgroßmutter. Den jetzt in diesen Rücken rammen! Jade vernahm Kronks schnarrende Stimme wie aus weiter Ferne, als hallte sie in einem unendlichen Raum.

      „… kann die