Gerhard Gemke

Cave Cobaltum


Скачать книгу

Am Nachmittag hatte er ein längeres Gespräch mit Heribert Meier geführt, dem Projektleiter von Helldor 21. Alles lief reibungslos, niemand hatte Einwände angemeldet. Herzliche Grüße von Forestier. Jasper Reineke war erleichtert. Da konnte der Kerl ruhig wiederkommen. Der mit dem Wolfsgesicht.

      Für Jade war es kein Problem, die entsprechenden Unterlagen einzusehen. Als Meiers Sekretärin hatte sie freien Zugang zu den meisten internen Akten, oder sie wusste, wo sie suchen musste. Bis zum nächsten Montag hatte sie herausgefunden, um welche Art „spezieller Abfälle“ es bei Helldor 21 tatsächlich ging. Um schwach und mittelstark strahlenden Atommüll, der in dem 1911 stillgelegten Salzstock Helldor verschwinden sollte. Meier war mit der Koordination und Ausführung beauftragt worden. Jade fand ein Schreiben des Bundesumweltministeriums, in dem man großes Interesse an dem Projekt bekundete. Unterzeichnet war es mit dem charakteristisch unleserlichen Schriftzug von Edouard Forestier, dem seit der letzten Wahl zuständigen Minister. Angeblich war Helldor schon früher im Gespräch gewesen, doch man hatte 1967 den Salzstock Asse bei Braunschweig vorgezogen, den die GSF – Gesellschaft für Strahlenforschung – offiziell als Forschungsbergwerk betrieb, aber jahrzehntelang zur Lagerung von Atommüll missbrauchte. Dumm gelaufen, denn der als so sicher gepriesene Salzstock war undicht. Jetzt stand die Bundesregierung vor dem Problem, die maroden Fässer aus der Asse wieder rauszubekommen und woanders verschwinden zu lassen. Selbstverständlich auf Kosten der Steuerzahler. Doch welch Überraschung, niemand wollte das Zeug vor seiner Haustür haben, erst recht nicht nach dem Schock, den die Reaktorkatastrophe von Fukushima ausgelöst hatte, heute vor genau einem Monat. Damit nicht genug standen in einigen Bundesländern Landtagswahlen an. Schöne Scheiße.

      Jade lehnte den Kopf gegen den schiefen Turm von Pisa. Sämtliche Vorbereitungen für Helldor 21 waren in den letzten zwei Monaten durchgezogen worden, die sie in einer Ostseeklinik im letzten Winkel von MeckPomm verbracht hatte. Sogar die öffentliche Auslegung der Pläne, ohne eine einzige Reaktion innerhalb der Widerspruchsfrist. Zumindest bei so etwas konnte man sich auf die Weißenhaller verlassen – in manchen Augen regelrecht ein Standortvorteil.

      Jade stöhnte. Wäre sie nur hier geblieben. Und jetzt kam Meier auch noch mit Er habe sie schon lange informieren wollen, aber aus Rücksicht auf ihre Krankheit … Lächerlich! Eine glatte Lüge. Meier konnte nach Kronks Auftritt bloß nicht mehr zurück. Überhaupt Kronk. Als Unternehmer war er nach Jades Kenntnis noch nie in Erscheinung getreten, und plötzlich hieß es, sein Firmen-Konsortium habe die besten Aussichten, sich an dem Projekt eine goldene Nase zu verdienen.

      Aber so schnell ging das nicht. Nicht bei dem Giftzeug, an dem man noch in ein paar tausend Jahren Spaß haben würde.

      Um so überraschter war Jade, als Meier sie schon tags darauf anwies, einen Vertrag mit AniBehConsort vorzubereiten, über die Durchführung aller Arbeiten im Zusammenhang mit Helldor 21. Betreiber des ABC-Konsortiums war Graf Diopsid Kronk. Jade war fassungslos. Sie wartete den Büroschluss ab, um Heribert Meier darauf anzusprechen.

      „Die Sache mit Helldor …“, begann sie.

      „Hören Sie, Frau von Bronsky.“ Meier benutzte als Einziger konsequent das von, wenn er Jade ansprach und es klang jedesmal wie eine Narbe auf ihrem Namen. Jade war überzeugt, dass Meier diesen Effekt beabsichtigte.

      „Diese Sache, wie Sie es nennen, Frau von Bronsky, hat allerhöchste Priorität. Heute morgen hat sich Bürgermeister Reineke persönlich an mich gewandt und eine schnelle Erledigung des Genehmigungsverfahrens angemahnt.“

      „Aber …“, versuchte Jade zu widersprechen. Es müssen doch neue Untersuchungen des Helldor-Stollens vorgenommen werden, wollte sie hinzufügen, aber Meier ließ sie nicht zu Wort kommen.

      „Wir können uns auf Gutachten berufen, die Helldor mindestens ebenso gute, wenn nicht in einigen Punkten wesentlich bessere Eigenschaften attestieren als vergleichbaren Standorten. Im übrigen haben wir die volle Unterstützung des Umweltministers der Bundesrepublik Deutschland.“

      Heribert Meier atmete schwer, als hätte ihn diese aufgeblasene Feststellung überanstrengt. Jade nutzte die Pause.

      „Die Gutachten, von denen Sie sprechen, sind mehr als vierzig Jahre alt. Damals waren die Richtlinien längst nicht so streng wie …“

      „Frau von Bronsky.“ Wenn Meier schon die Arme hinter dem Rücken verschränkte und seinen Bauch vorstreckte. „Über diese Gutachten befinden Spezialisten, die in den letzten Wochen großartige Arbeit geleistet haben, und nicht Sie. Das übersteigt, wie Sie sicherlich einsehen werden, ihre Befähigung bei weitem. Und glauben Sie nicht, es sei uns entgangen, dass Sie in den letzten Tagen in den Helldor-Akten herumgeschnüffelt haben. Ich will Ihnen trotzdem entgegenkommen. Helldor 21 bedeutet für Weißenhall einen erheblichen Aufschwung. Das Projekt zieht bedeutende Investitionen in die Infrastruktur unserer Region nach sich, zum Beispiel eine bessere Anbindung an das Schienennetz der Bahn. Ich sage nur: Arbeitsplätze. Zudem handeln wir im ureigenen Interesse der gesamten Republik, wenn Sie mir folgen können.“

      Arrogantes Arschloch! Jade hielt Meiers Blick stand, den der wohl für durchdringend hielt. Der Spitzbauch des Amtsleiters hatte sich ihr bis auf wenige Zentimeter genähert. Und was für rosige Aussichten zauberten plötzlich ein solch dämlich-glückliches Lächeln auf sein Gesicht?

      „Herr Meier, ich kann nicht akzeptieren …“

      „Sie haben mir nicht richtig zugehört, Frau von Bronsky.“ Meier lächelte noch immer. „Es ist nicht Ihre Aufgabe, die Entscheidungen dieser Behörde zu akzeptieren.“

      „Aber …“

      „Liebe Frau von Bronsky, jetzt beruhigen Sie sich erst mal.“

      Jade wusste, dass ihre Narbe glühte und ihr ein furchterregendes Aussehen verlieh. Was bildete sich dieser Kerl ein, sie Liebe Frau von Bronsky zu nennen? Meiers Lächeln wurde mit jedem weiteren Wort unerträglicher.

      „Sie sehen einfach zu schnell rot, wie damals bei meiner Afrikareise. Ich sprach noch heute Morgen mit Frau Behrli darüber.“

      Was hatte denn die Behrli damit zu tun, diese Schnepfe aus der Rechnungsprüfung? Meier blickte übertrieben deutlich auf seine Rolex.

      „Es ist wirklich schon spät. Und Sie wollen uns doch nicht schon wieder Ärger machen? Ich habe hier ein Couvert für Sie mit einem Autoschlüssel und einer Anweisung an die Kollegen in Fleschbeck. Da fahren Sie morgen hin und holen ein paar Unterlagen ab. Der kleine Ausflug wird Ihnen gut tun. Und“, er beugte sich gönnerhaft vor, „nehmen Sie sich den restlichen Tag frei, wir brauchen den Wagen erst am Donnerstag zurück. Einen schönen Abend noch.“ Er war schon halb aus der Tür raus, da drehte er sich noch mal um. „Und belasten Sie ihr zartes Köpfchen nicht mit Dingen, von denen Sie nichts verstehen.“

      Jade kochte, als sie dem wippenden Gang ihres Vorgesetzten nachblickte. Wütend stopfte sie den Umschlag in ihre Handtasche. Was Meier soeben vor ihr ausgewalzt hatte, konnte er sich in die Haare schmieren. Sie sehen einfach zu schnell rot, wie damals bei meiner Afrikareise. Ja, da hatte sie sich eingemischt, und wie. Jade grinste schwach. Aber die Atembeschwerden hatten erst begonnen, nachdem sie die Tabletten genommen hatte, die der Amtsarzt ihr verschrieben hatte, ganz sicher. Und dann ging alles sehr schnell. Am nächsten Tag lag das Gutachten vom psychologischen Dienst auf ihrem Schreibtisch mitsamt der Überweisung in die Ostseelinik. Schon war man sie los. Für zwei Monate. Ein abgekartetes Spiel, man wollte sie aus dem Weg haben. Leider konnte sie das nicht beweisen, und dann blies ihr noch dieser kleine dreckige Zweifel in den Nacken und kicherte: Sie haben recht, du bist nicht ganz dicht.

      Aber Anita Behrli aus der Rechnungsprüfung konnte sich auf was gefasst machen!

      kobold: Neuigkeiten?

      Ela schaltete den Computer aus und legte sich aufs Bett. Sie hatte mittlerweile das Gefühl, kobold lauerte jeden Abend darauf, dass MissVerständnis im Chat auftauchte, um sie unverzüglich anzutexten. Es nervte.

      Aus der Ortsmitte von Weißenhall hallten die mitternächtlichen Glockenschläge von Sankt Orbit