Gerhard Gemke

Cave Cobaltum


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stammelte irgendwas von einem Planfeststellungsverfahren, das noch nicht abgeschlossen sei. Jade starrte ihn fassungslos an. Was hatte sie in den letzten zwei Monaten verpasst?

      „Ich gehe davon aus, dass Sie recht bald die Eignung der Helldor-Stollen bestätigen werden.“ Kronk klang sehr sicher. „Sie tun damit nicht nur sich selbst einen großen Gefallen, sondern auch dem Herrn Forestier, wenn Sie verstehen.“

      Jade sah Meier so eifrig nicken, dass ihm die Lesebrille von der kurzen Nase rutschte, während Kronks Rücken vor Zufriedenheit bebte. Meier schob seine Sehhilfe wieder zurück und warf einen warnenden Blick auf Jades Hand, die sich immer fester um den Brieföffner krallte. Der Graf hatte den Blick bemerkt und drehte sich langsam um. Jade zwang sich ruhiger zu atmen und ihm gerade in die Augen zu schauen.

      Falls er sich mit Meier allein geglaubt und jetzt beim Anblick ihres narbigen Gesichts erschrocken hatte, war Kronk das nicht anzumerken. Nur seine Augen rollten, als müssten sie in Sekundenschnelle Jade und die gesamte Umgebung scannen. Seine Lippen bewegten sich unablässig und lautlos und mit ihnen die zerklüftete Nase und der spärliche Bart, der wie Moos an einem modrigen Baumstumpf bis zu seinen erstaunlich spitzen Ohren kroch. Wie bei einem alten Karpfen, der Wasser durch seine Kiemen pumpte.

      Schweratmend stützte er sich auf seinen Stock und hob ohne Vorwarnung den linken Arm. Ein gichtgekrümmter Zeigefinger richtete sich auf Jades Hals. Trotz der Entfernung glaubte Jade zu spüren, wie sich der gelbe spitze Nagel in ihre Kehle bohrte.

      „Was haben Sie da!“

      Die Knöchel von Jades linker Hand traten weiß hervor und der Brieföffner bog sich. Aber sie hielt seinem Blick stand. Ohne zu antworten.

      „Die Kugel da.“

      Jade war längst klar, dass sich der Finger nicht auf ihr Gesicht, sondern auf ihren Hals richtete, auf die Glaskugel, deren Gewicht sie deutlich auf ihrem Brustbein spürte.

      „Wagen Sie es nicht!“

      Ein Speichelfaden floss aus Kronks rechtem Mundwinkel.

      „Woher haben Sie die?“

      Jade schob ihren Stuhl rückwärts bis zur Wand. Sie würde diesem Gnom nicht antworten, und schon gar nicht auf diese Frage.

      „Woher?“

      Hinter Kronk hatte sich Meier erhoben und kam mit unsicheren Schritten näher.

      „Aber Frau von Bronsky, sie können doch dem Herrn Grafen …“

      „Fassen Sie mich nicht an!“ Es war genauso scharf herausgekommen, wie Jade es beabsichtigt hatte, und bewirkte, dass Kronk seinen Arm sinken ließ. In seinen Augen stand deutlich Wir sehen uns noch! Jade schüttelte langsam den Kopf. Kronk stieß seinen Stock in den Boden und hinkte zur Tür.

      „Narbengesicht.“

      Vielleicht hatte Jade sich das Wort nur eingebildet wie vorher den Satz in Kronks Augen. Aber sie zweifelte nicht an ihrem Verstand. Noch nicht.

      Sie sah ihn im gelben Licht der Straßenlaterne vor ihrem Haus. Sie hatte die Abendrunde mit Ronja beendet. Ronja knurrte und ihr Nackenfell sträubte sich. Jade hielt die Hündin zurück, beruhigte sie aber nicht.

      „Was wollen Sie?“, fragte sie, als sie sich auf Hörweite genähert hatte.

      Kronk schien zu lächeln, so weit das mit seinem Gesicht möglich war.

      „Eine schöne Kugel haben Sie da.“

      Jade sah ihn regungslos an. Man hatte ihm damals nicht nachweisen können, dass er den Unfall verursacht hatte, von dem sie die Narbe als Erinnerung behalten hatte. Daran ist der Graf schuld!, hatte Katarina gesagt. Katarina, ihre Urgroßmutter.

      „Ich biete Ihnen eine hübsche Summe, wenn Sie mir …“

      „Verschwinden Sie!“, fauchte Jade und in Ronjas Kehle rollte ein drohendes Knurren.

      „Halten Sie den Hund fest.“

      „Nur so lange ich kann.“ Jade tat, als müsse sie Ronja mit aller Kraft zurückreißen. Sie wartete, bis die gebeugte Gestalt hinter der nächsten Straßenecke verschwand. Dann betrat sie das Haus der Bronskys. Aus dem Zimmer ihres Bruders dröhnte Death Metal, ihr Vater hatte sich wie üblich in seinem Arbeitszimmer verschanzt. Jade füllte Ronjas Futternapf und ging hinauf ins Bad. Vor dem Spiegel nahm sie langsam die Halskette ab, an der die Glaskugel in einem Geflecht aus Silberdraht hing. Diese Kugel hatte sie an einem ganz besonderen Ort gefunden, einem Ort, den Katarina für sie ausgesucht hatte. Und jetzt tauchte der Graf auf und bot ihr Geld dafür. Eine hübsche Summe. Und machte einen Deal mit Meier. Was war geschehen in den zwei Monaten, die sie außer Gefecht war.

      Jade beschloss, die Kugel zurück in Katarinas Versteck zu legen. In den Bauch des Bären Bramabas.

      Für den nächsten Morgen hatte sie sich vorgenommen, Meier zur Rede zu stellen. Gestern, nach Kronks Auftritt im Büro, hatte es ihr Chef sehr eilig gehabt, aber heute würde er ihr antworten müssen. Doch Meier kam ihr zuvor. Er habe sie schon lange informieren wollen, eröffnete er ihr, als sie gegen neun das Büro betrat, aber aus Rücksicht auf ihre Krankheit … Meier lächelte nachsichtig. Die Operation Bergfrieden sei ein Teilbereich eines umfassenden Projekts namens Helldor 21, dessen Leitung und Organisation man „von höchster Stelle“ in seine Hände gelegt habe. Hierbei streckte Meier seine Hände vor, als ob Jade seinen Ausführungen sonst nicht folgen könne. Es ginge um die Einlagerung spezieller Abfälle in dem seit langem stillgelegten Salzstock.

      „Sie kennen den Stollen.“

      Sicher kannte Jade den Helldor-Stollen.

      „Was hat Kronk damit zu tun?“

      Nichts, erklärte Meier. Der Graf habe Helldor lediglich als idealen Ort für die Einlagerung vorgeschlagen. Dankenswerterweise. Und einen Firmen-Verbund gegründet, der alle wichtigen Aufgaben und Arbeiten im Zusammenhang mit Helldor 21 übernehmen könne. Ideal sozusagen. Sicher müsse man ein Projekt dieser Größenordnung europaweit ausschreiben, aber Kronks Konsortium habe beste Aussichten, den Zuschlag zu bekommen. Und jetzt, schloss Meier mit einem wichtigen Blick auf seine Armbanduhr, habe er einen Termin beim Bürgermeister.

      Jade blieb hinter ihrem Schreibtisch sitzen. Über ihrem Kopf hing eine vergrößerte Fotografie des schiefen Turms von Pisa, die Meier noch nie hatte leiden können. Eben deshalb mochte Jade sie nicht abnehmen. Lange starrte sie auf die geschlossene Bürotür.

      kobold: hi ich bins

      Ela hatte fast schon den merkwürdigen Chat vom Sonntag vergessen. Wie beim ersten Mal war es kurz vor Mitternacht, als sich kobold einloggte.

      kobold: habt ir schon was unternomen?

      Was wollte der Typ?

      MissVerständnis: worum gez

      kobold: operazion bergfrieden

      MissVerständnis: ?

      kobold: helldor wird das neue asse

      Ela zögerte. Entweder war das ein Spinner, oder …

      MissVerständnis: wer sagt das

      kobold: ich

      Ein Spinner, eigentlich mehr als klar.

      MissVerständnis: wer ist ich

      Das Fenster wurde geschlossen, kobold hatte sich verpixelt. Aber es gab ein paar Experten bei den WAAMPIREn, die seine IP-Adresse rauskriegen konnten. Falls Ela sich entschließen sollte, kobold so ernst zu nehmen, dass sie die Experten informierte. Danach sah es nicht aus.

      Nebenan wurde eine Zimmertür geschlossen, ihr Vater ging zu Bett. Elas Mutter war fort. Sehr weit fort, hatte Papa gesagt, sie wird nicht zurückkommen. Die Erinnerung an Charlotte war beinahe verblasst. Ela machte in einem Jahr Abitur. Solange würde sie in Weißenhall bleiben, bei ihrem Vater. Außerdem hatte Ela hier ihre Leute.

      Ela