Wilhelm Thöring

Die Bärin Roman


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Antwort sehr gerne losgeworden wäre. Trotz ihrer anfänglichen Abneigung, der Gedanke an einen Hund hat sich bei der Großmutter festgesetzt; so ein Tier würde rechtzeitig warnen und ungebetene Besucher in die Flucht schlagen. Und später brachte sie wie unabsichtlich das Gespräch darauf, indem sie von einer Frau erzählte, die in ihrer Behausung schon mehrmals überfallen wurde und jetzt einen Hund bei sich habe, kein großes Tier, sondern einen kleinen, der sofort anschlage und Höllenlärm mache und ganz bestimmt schon den einen oder anderen Ganoven davongejagt habe. „Die Frau sagte zu mir: Ach, wissen Sie, Frau Straeten, es schläft sich viel ruhiger. Mein Hund, der ist aber auch wachsam! Und sauber und gehorsam ist er auch. Und der Bruno, Vater, der sagt, dass er nicht nur anschlage, wenn sich jemand ans Haus schleiche, sondern dass er auch seine Familie verteidige!“

      So erzählt sie beim Bügeln, und ohne hinzuhören sitzt der Großvater am Ofen und näht eine neue Zunge an Achims Schuh. Erst als sie diese Sache schon wieder vergessen hat, meint der Großvater: „So unrecht hat der Bruno gar nicht... Bei unseren Hühnern und Kaninchen wäre ein Hund nicht übel, was denkst du, Mutter? Der Grabenthin hielt seine Karnickel in der Badewanne, die nicht mehr zu gebrauchen war. Stell dir das vor: Dem haben sie die Viecher aus der Wohnung geholt! Die Banditen sind durchs Fenster gestiegen, ohne die Scheibe zu zerschlagen!“

      „Aus der Wohnung?“, ruft sie und stellt das Bügeleisen ab, und patscht vor Schreck auf die Tischplatte über so viel Dreistigkeit. „Da kommt das Pack bis in die Wohnung! Was sind das nur für Zeiten, wenn man schon im eigenen Haus nicht mehr sicher ist! Würde ich hier in der Wohnung auf einen Strolch treffen – Vater, das wäre mein Tod! Ich würde einen Herzschlag kriegen... Aber ein Hund hier in der Stube... Du weißt, dass ich dafür nicht viel übrig habe! Ein Hund gehört in den Hof, an die Kette. Womit soll der gefüttert werden? Wir haben doch selbst nicht genug...“

      „So schlimm ist unser Mangel nicht, Mutter, wir haben Reste für die Kaninchen und für die Hühner, und für den Hund wird sich ebenfalls etwas finden.“

      Sie bricht in lautes Lachen aus und prüft mit befeuchtetem Finger die Hitze des Bügeleisens. „Grünzeug und Kartoffel-oder Möhrenschalen für einen Hund! Willst du ihn damit füttern?“

      Schweigend, mit einem schrägen Blick zu ihr hin, näht der Großvater an Achims Schuh. Damit scheint dieses Thema beendet zu sein.

      Unausgesprochen ist man sich einig geworden – ja, wenn es Sicherheit für alle in der Wohnung und für die Tiere auf dem Balkon geben soll, dann könnte sie nur ein scharfer und Furcht einflößender Hund geben, trotz aller Vorbehalte und Bedenken, ihn in der Wohnung um sich zu haben.

      Doch noch bevor ein Hund ins Haus kommt, werden die Hühner und Kaninchen vom Balkon gestohlen. Als die Großmutter eines Morgens die Tiere füttern will, tritt sie auf die abgeschnittenen Hühnerköpfe. Die Kaninchen haben sie wohl lebendig mitgenommen. Sie ist darüber so erschrocken, dass sie laut aufkreischt, ihre Schuhe auf den Hühnerköpfen stehen lässt und barfuß in die Wohnung rennt.

      „Allen Hühnern haben die Drecksäcke den Kopf abgeschnitten, Vater, und alle Kaninchen geklaut! Alle!“, weint sie in ihre Schürze. „Dafür haben wir die Tiere nicht gefüttert, dass sich solche Halunken daran satt fressen!“ Und als der Bruno, der inzwischen tagelang bei seinem Mädchen bleibt, wieder einmal nach Hause kommt, wird ihm gesagt, er möge sofort einen scharfen Hund besorgen.

      „Wenn ich mir vorstelle, dass die bis auf unseren Balkon geklettert sind... Und ich liege im Bett und schlafe!“, jammert die Großmutter und schüttelt sich immer noch vor Angst und Grauen.

      Es dauert nicht lange, und der Bruno bringt den Hund, einen mittelgroßen, wild aussehenden, grauen Mischling mit schrägen Wolfsaugen, der sich auf den Boden presst, eng an Brunos Schuhe und jedem, der ihn anspricht oder sich zu ihm beugt, die Zähne zeigt, so dass die Großmutter meint, er solle nicht ihnen, sondern dem Gesindel Angst einjagen. Das Tier stecke noch voller Unsicherheit, sagt der Bruno, denn es sei gerade ein Jahr alt, aber damit aus seinem Flegelalter heraus. Vor seinen Zähnen brauche sich keiner von ihnen zu fürchten, die fletsche der Hund nur deshalb, weil er nicht wisse, was man von ihm wolle. „Das gibt sich“, beruhigt der Bruno die Großmutter.

      „Ein guter Hund zeigt sich seiner Familie nicht böse. Was soll das werden, wenn er niemanden in seine Nähe lässt! Hätte der wirklich Manschetten vor uns, wie du sagst, dann würde er uns sofort die Stube einseichen. Das machen sie alle, habe ich gehört. Na, Bruno, mit dem da hast du uns einen schönen Wachhund ins Haus gebracht!“

      „Wart’s ab Mutter. Gib ihm ein wenig Zeit!“, entgegnet der Bruno. „Was du willst, ist ein Hund, der in deine Vorstellung passt, aber der ist nicht so ohne weiteres zu bekommen! Früher gab es einmal weißen Zucker – heute ist nur brauner, klebriger zu kriegen. Da ist der Hund – nun macht mal etwas daraus!“

      „Wie heißt er?“, fragt Ursula, die beide Arme hinter ihrem Rücken versteckt, als hätte sie Angst, gebissen zu werden.

      „Der hört auf jeden Namen“, sagt der Bruno. „Probiert es aus, worauf er am ehesten reagiert!“

      „Keinen Namen hat er, keinen Anstand, keine Rasse, ein Hund wie geschaffen für diese Zeit“, amüsiert sich Ursula. „Na, dann lasst euch mal einen treffenden Namen einfallen! Die Kinder müsst ihr fragen, die haben Fantasie, denen wird ein passender Name für den schon einfallen.“

      Weder Nieselregen noch Kälte können die unentwegt fleißigen Frauen davon abhalten, Schutt wegzuräumen, Steine zu putzen und aufzuschichten; und wenn sie etwas Brauchbares dazwischen finden, legen sie es beiseite oder verstecken es unter ihrer Kleidung. Gegen die Kälte hat die eine oder andere sich Handsäcke genäht, das sind abgeschnittene alte Strümpfe oder Beine von Unterhosen, die sie mehrfach übereinander über die Hände streifen. Käthe Gresshage, die Kriegswitwe mit den fünf Kindern, ist auch dabei. Ursula, die mit zwei anderen eine randvolle Lore zum Abladeplatz schiebt, sah sie zuvor die Straße heraufkommen und rief sie zu sich. Jetzt arbeiten beide Frauen Seite an Seite, um sich unterhalten zu können. Käthe Gresshage erzählt, dass sie es in ihrer zugigen Wohnung kaum aushalte, dass die kleinen Kinder seit dem Spätsommer erkältet seien und dass vor allem die kleine Edith, ihre Jüngste, des Nachts so stark huste, dass sie kein Auge zumachen könne. Heute sei sie für ein paar Stunden aus dem Haus gegangen, um einmal anderes zu hören als Kindergeplärre, als Husten, Schniefen und Japsen. Friedhelm, der Älteste, sei verständig genug, um auf die jüngeren Geschwister ein Auge zu haben. Im nächsten Jahr, erzählt sie, wenn das Wetter besser sei, werde sie mit allen Kindern in den Osten fahren und nach dem Grab ihres Mannes forschen. Von einer entfernten Verwandten habe sie erfahren, dass in den Soldatensärgen wohl nicht immer der läge, der darin liegen sollte, sondern dass man auch schon einmal ein Stück Baumstamm oder Steine hineingepackt hätte.

      „Ja, werden die denn im Sarg beerdigt?“ fragt Ursula.

      „Nicht alle. Aber einige, ja...“ Sie brauche Gewissheit, sagt Käthe Gresshage. Ursula, die sich fragt, warum man für ein Stück Baumstamm einen Sarg verschwendet, schweigt dazu. Aber sie fragt sich insgeheim, wie das gehen soll! Etwas sonderbar ist ihr diese Frau gleich vorgekommen, dass sie aber auf solche wunderlichen Ideen verfallen kann! Wahrscheinlich hat das Leid ihr auch schon zugesetzt...

      Ein Jeep fährt suchend durch die Straße, und Frau Gresshage schiebt ihr Kopftuch zurück und reckt sich in die Höhe, und als der Soldat sie erkennt, winkt er heftig und ruft ihren Namen. Verschämt, beinahe widerstrebend, winkt Frau Gresshage zurück, dann stemmt sie sich mit aller Kraft gegen die Lore, um sie wegzufahren. Merkwürdig, wundern sich Ursula und auch die anderen Frauen, wie rot die Frau Gresshage geworden ist.

      Am Nachmittag, als sie ihre Arbeit beendet haben, sagt Frau Gresshage: „Kommen Sie mich doch einmal besuchen. Ich habe ja niemanden, der zu mir kommt.“ Sie beugt sich dicht an Ursulas Ohr: „Bei mir bekommen Sie auch eine Tasse echten Bohnenkaffee. Kommen Sie!“

      Bohnenkaffee? Wie kann diese Frau denn heutzutage Bohnenkaffee, einen solchen Luxus, anbieten? Ja, Ursula verspricht, am nächsten Tag einen Besuch bei ihr zu machen.

      Frau Gresshage wohnt mit ihren Kindern in einem Loch, findet Ursula. Schlimmer war es auch nicht bei mir im Keller zwischen