I. Tame

Zerrissen


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fragte Darleen unsicher nach, um ihre Nervosität zu überspielen.

      „Also, ich würde sagen, wir machen genau das, wozu du Lust hast“, antwortete er galant.

      Deflorier mich, erwiderte Darleen in Gedanken und einen kurzen Moment rutschte ihr das Herz in die Hose, weil sie nicht sicher war, ob sie gerade laut gesprochen hatte.

      „Wir könnten rüber ins „Milky Way“ geh’n, einen Erdbeer-Flip trinken und uns in einer lauschigen Ecke unterhalten“, schlug Keno vor.

      Darleen war begeistert. Da würden sie sicher von einigen Leuten geseh’n, auch aus ihrer Jahrgangsstufe. Samstags war im „Milky“ die Hölle los. Sie nickte begeistert.

      „Ja! Super Idee!“, stimmte sie zu.

      Sie ergatterten doch tatsächlich einen netten Platz in einer Ecke mit Blick auf das restliche Lokal, welches im Stil der 50er Jahre eingerichtet war. Viel Chrom – an allen Ecken und Enden. Keno ging zur Theke, damit es nicht so lange dauerte, bis sie ihre Bestellung erhielten. Darleen’s Blick klebte an ihm, an seinem Körper, seinem Gang, seinem … Alles. Er hatte sich wirklich verändert in den letzten zwei Jahren. Das Tae-Kwon-Do-Training mit John hatte ihm Kraft und Muskeln beschert und auch seinem Selbstbewusstsein nicht geschadet. Darleen erinnerte sich daran, wie unscheinbar Keno früher war – wie ängstlich. Heute schritt er durch die Menschenmenge und die Leute machten ihm unwillkürlich Platz. Und er war unglaublich sexy! Es gab wenig Jungs an ihrer Schule, die sich die Haare länger wachsen ließen, aber zu ihm passte es total, fand Darleen – und nicht nur sie allein war dieser Meinung.

      Und ich würde auch suuper zu ihm passen, seufzte sie innerlich. Doch irgendwie wagte sie nicht, sich große Hoffnungen zu machen. Selbst nach ihrer Knutscheinlage eben im Kino. Bei jedem anderen Jungen hätte sie gesagt, sie wäre nun mit ihm „zusammen“. Doch bei Keno kam ihr der Gedanke nicht. Er verhielt sich – trotz allem – zu zurückhaltend. Und eigenartigerweise fand Darleen, dass irgendetwas fehlte, wenn John nicht neben ihm stand. Das lag sicher daran, dass die beiden so unzertrennlich waren. Manche Leute zerrissen sich schon ihre Mäuler darüber. Natürlich wagte niemand, ein Wort an John zu richten. Und Keno hatte sowieso keine anderen Freunde. Doch Darleen schnappte ab und zu schon mal eine gehässige Bemerkung auf.

      John sollte wirklich mal ein wenig mehr ausgehen. Alle Mädchen auf der Schule würden einen kleinen Finger hergeben, um mit John Garland einen schönen Abend verbringen zu dürfen. Schließlich war doch nichts dran an den Gerüchten. Nach der Knutscherei eben wusste Darleen das nun ganz genau!!

      Bestimmt zwei Stunden saßen sie im „Milky Way“, tranken etliche Shakes und unterhielten sich über „Gott und die Welt“. Ab und zu fanden ihre Hände auf dem Tisch zueinander und verknoteten sich, während ihre Blicke ineinander versanken. Und auch der eine oder andere Kuss landete auf Darleens Lippen. Etliche Schulkameradinnen nahmen sie ins Visier und schon seit langem hatte sie sich nicht mehr so auf den Montag gefreut.

      „Sag mal“, fragte Darleen ihn irgendwann, „warum gehen du und John nicht häufiger mit Mädchen aus? Ihr beide könnt euch doch wirklich vor Angeboten nicht retten.“

      Keno atmete überrascht ein und zog ein wenig die Augenbrauen hoch. Mit solch einer direkten Frage hatte er nicht gerechnet.

      „Tja, ich weiß auch nicht. Wir sind wohl einfach nicht so die Party-Typen, denk‘ ich.“

      Darleen lachte. „Versteh mich nicht falsch. Ich find’s super, dass du mich gefragt hast und nicht irgendeine andere. Es ist nur … die Leute hier … die finden das manchmal … eigenartig.“ Sie druckste herum. „Das ist für die … nicht normal.“

      „Normal“ wiederholte Keno trocken. Doch er wusste natürlich worauf Darleen hinaus wollte.

      „Du weißt schon! Sie denken, ihr wärt … schwul!“ Darleen verzog den Mund entschuldigend.

      Keno blickte ihr ernst in die Augen. „Und wenn das so wäre …?“

      Darleen klappte der Unterkiefer runter. „Wie …“

      „Na ja, wenn das so wäre. Würdest du uns dann trotzdem noch … wie soll ich sagen? Mögen?“

      Darleen sah ihn entgeistert an. „Natürlich! Was für eine Frage. John ist doch mein Bruder.“

      „Und ich?“

      „Du? Aber … du bist doch nicht schwul! Oder hab ich eben was falsch verstanden?“ Sie lachte verunsichert.

      „Und wenn ich nun auf Mädchen und Jungs steh‘? Was dann?“

      Keno wusste selbst nicht genau, warum er plötzlich diese Diskussion begann. Er versaute sich seinen ganzen Abend. Bisher lief alles so super. Und es hatte ihm tatsächlich viel Spaß gemacht. Darleen war einfach süß und hatte ihn im Kino total angetörnt. Er winkte ab.

      „Vergiss es, Darleen! Ich rede zu viel! – Möchtest du noch was trinken?“

      Doch Darleen wurde auf einmal einiges klar. Ich bin nur ein Alibi! Er mag mich eigentlich gar nicht! Mein Bruder ist schwul! Ach du Scheiße!!! Er und Keno! Das darf niemals rauskommen! Wenn Dad das erfährt ist die Hölle los. Wo er doch immer so stolz auf seinen Sohn ist. Aber Keno … er hat mich angelogen, hat mir was vorgemacht.

      Darleen traten Tränen in die Augen. Und Keno wusste, dass er zu viel gesagt hatte. Er hatte alles falsch gemacht.

      „Darleen“, setzte er sanft an und griff nach ihrer Hand, „ich wollte wirklich gerne mit dir ausgeh’n. Und im Kino … das war nicht gespielt. Ich mag dich wirklich…“

      „Ja?“, presste sie bemüht hervor, „Wie weit würdest du denn heute Abend mit mir gehen, Keno Catler?“, provozierte sie ihn leise. Dabei stand sie langsam auf. „So weit wie ich gerne gehen würde? Ich glaube kaum. Denn John wartet zu Hause … total verzweifelt, weil er einen Samstagabend mal ohne dich verbringen muss. Du solltest jetzt besser zu ihm gehen. Denn da willst du ja eigentlich sein … wenn du ehrlich bist!“

      Sie kam sich vor wie eine hysterische Schauspielerin. Doch ganz ohne Vorwurf sollte Keno ihr nicht davon kommen. Wäre sie nur nicht so verknallt in ihn! Dann würde sie ihm eine Szene hinlegen, die sich gewaschen hatte. Aber so tat ihr sein verzweifelter Gesichtsausdruck doch tatsächlich auch noch Leid.

      „Darleen, bitte!“ Keno sah sie zerknirscht an.

      Darleen schmiss ihre langen Haare mit einer schnellen Geste auf den Rücken. „Ich geh jetzt nach Hause, Keno. Lass mich bitte! Ich möchte ein paar Schritte alleine geh’n!“

      Und sie drängelte sich durch den vollen Laden, trat durch die Türe und war weg.

      Keno zog seine Jacke über und eilte ihr hinterher. Vor dem Eingang kramte er sein Handy hervor und wählte John’s Nummer. Während er das Handy gegen sein Ohr drückte, folgte er Darleen mit ausreichendem Sicherheitsabstand.

      Es klingelte.

      „Ja“, meldete sich John etwas atemlos.

      „Ich bin’s!“

      „Ich weiß … bin doch nicht blind. Hab‘ deine Nummer erkannt! Was ist?“

      „Bist du alleine?“

      „Ja, verdammt! Mach hin! Ich hol mir grad‘ einen runter und entweder hast du ein paar versaute Kommentare für mich auf Lager oder du legst wieder auf.“ Er stöhnte langgezogen und sein Atem ging schwer.

      „Darleen weiß es!“, stieß Keno knapp hervor.

      John stöhnte wieder leise und japste dann: „Was … was weiß sie? – Ohh, Cat … sag was, sag mir was Versautes, komm!“, bettelte John eindringlich.

      Keno atmete tief ein. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Genieß es, bevor ich dich auf den Boden der Tatsachen zurückhole, dachte er genervt. Also gut.

      „John“, flüsterte er und legte seine Hand dabei um Mund und Handy, „ich lieg‘ nackt vor dir auf dem Bauch