Gerd Grimm

Die gestiefelte Mütze


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halbe Stunde ertragen musste.

      „Wir wollen auch nach Süden“, sprach die Mütze zu Esmaraldus, „wenn du willst, kannst du mit uns kommen.“

      Tom glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Er schüttelte den Kopf, dass die Ohren an seine Pausbacken klatschten und widersprach ohne zu überlegen:

      „Kommt überhaupt nicht in den Käse. Ich will keine Spinne in unserer Koalition haben, die vor meiner Nase Fliegen frisst. Ich bin Vegetarier!

      Außerdem, wenn ich das ganz am Rande bemerken darf, haben wir noch ein kleines Problem. Der Stiefel trägt ja nicht einmal uns über den Fluss, wie soll er dann noch eine Person zusätzlich befördern?“

      „Mit dem Stiefel hast du wohl recht“, konterte die Mütze keck, die Esmaraldus sympathisch fand und sich nicht von einem dahergelaufenen Politiker vorschreiben lassen wollte, wer mit ihr ging und wer nicht, „aber wie du weißt, sind Probleme da, um gelöst zu werden. Nebenbei möchte ich dich daran erinnern, dass Wanderer auf weiter Flur sich gegenseitig helfen sollten, so gut es eben geht. Am besten lassen wir Esmaraldus selbst entscheiden, ob er mit uns kommen will.“

      Tom blieb hart.

      „Mir egal. Ich will nicht, dass vor meinen Augen eine Fliege gefressen wird.“

      „Und ich sage, wenn Esmaraldus mit uns kommen will, soll er mitkommen. Zu dem Fliegenproblem soll er sich selbst äußern, aber ich bin sicher, dass er so viel Anstand besitzt, nicht genau vor deiner Nase eine Fliege zu verspeisen.“

      Esmaraldus fühlte sich geehrt, dass die Mütze sich so für ihn einsetzte.

      „Danke“, sagte er nur, legte sich erschöpft auf ein Stückchen Holz und ließ die schmerzenden Beine baumeln.

      „Sehen sie Herr Mütz“, rief Tom empört, „Herr Esmaraldus schweigt. Er muss schweigen, denn jede Verteidigung seiner-seits würden meine Argumente zu Boden schmettern.

      Fliegenfresser bleibt Fliegenfresser.“

      Tom war zwar ein schnell aufbrausender Mäuserich, aber nun wurde er unfair. Er hockte sich demonstrativ mit dem Rücken zur Mütze und verschränkte die Vorderbeine vor der Brust. Er war fest entschlossen seine Koalition spinnenrein zu halten.

      „Jetzt bleib aber auf dem Boden. Jeder soll Gelegenheit haben sich zu verteidigen, schließlich bist du Politiker.“

      Esmaraldus stöhnte:

      „Na ja, was soll ich schon sagen. Wir Spinnen sind nicht sonderlich beliebt, sei es bei Mensch oder Tier. Man ekelt sich vor uns, aber das kommt natürlich nicht daher, dass wir uns von Fliegen und ähnlichem Getier ernähren. Im Übrigen, Herr Tom, wir fressen die Fliegen nicht, wir betäuben sie ganz sanft, sie fallen sozusagen in einen tiefen Schlaf, und verarbeiten sie, wenn wir hungrig sind. Es ist nun mal von der Natur so vorgesehen.“

      „Natur?“, fiepte Tom hysterisch, „ihr spinnt ein hinterhältiges Netz. Feige überrumpeln nenne ich das. Mord!“

      Esmaraldus gehörte zu jener Sorte Spinnen, die sich nicht so schnell das Netz durcheinander bringen ließen, aber dass Tom ihn zum zweiten Mal einen Mörder nannte, ging ihm doch entschieden über den Faden. Er stellte sich auf seine acht Füße und konterte:

      „Was ist in deinen Augen Mord? Was ist in deinen Augen Moral? Was ist mit der Katze, die euch Mäuse erst stundenlang quält und euch dann endlich von euern Leiden erlöst und umbringt?“

      „Das ist ein fairer Kampf, aus dem nicht selten eine Maus als Sieger hervorgeht“, warf Tom voller Stolz ein.

      „Ja, weil ihr Mäuse ebenso feige seid wie jedes andere Geschöpf, wenn es ums nackte Überleben geht. In panischer Angst verbergt ihr euch unter einem Hundeschwanz in der Hoffnung, dass er Katzen nicht leiden kann. Und was ist mit dem Speck, wenn ich fragen darf, ist das etwa kein Teil von einem Tier? Von einem Lebewesen?“

      „Ich habe vorhin betont, dass ich Vegetarier bin“, fuhr Tom dazwischen.

      „Egal. Dann frage ich dich, wie entsteht denn der Käse, den du Tag für Tag in dich hineinstopfst? Arme unschuldige Kühe werden ihr Leben lang in Pferche gesperrt und gezwungen, ihre Milch herzugeben, damit man Käse daraus machen kann. Und wenn sie sich dann irgendwann weigern, sich weiterhin täglich auspumpen zu lassen, verfrachtet man sie kurzerhand zum Schlachter. Meist wird dann billiges Hundefutter aus ihnen. Ist das moralisch?“

      Tom trat den strategischen Rückzug an. Esmaraldus war zwar eine Spinne, argumentieren konnte er aber wie die beste Politikermaus. Ohne einen letzten Satz konnte Tom das Schlachtfeld allerdings nicht räumen.

      „Die Kühe leben aber, die Fliegen sind tot.“

      Jetzt stellte Esmaraldus sich auf die Hinterbeine und fuchtelte mit den anderen vier durch die Luft, trotz Rheuma.

      „Was wäre denn, wenn wir keine einzige Fliege mehr fangen würden? Ich will es dir sagen. Binnen weniger Wochen würde der Fliegendreck so hoch den Boden bedecken, dass du mit deinen Stummelbeinchen darin ersticktest.“

      Esmaraldus hatte Tom an einem seiner wundesten Punkte getroffen, seinen kurzen Beinchen. Erzürnt sprang er auf, holte Luft und wollte Esmaraldus eine gepfefferte Antwort an den Kopf werfen, als die Mütze dazwischen ging. Ihre Befürchtung, dass der kleine Disput zu einer echten Handgreiflichkeit ausarten könnte, war gar nicht so weit hergeholt. Sie hüpfte zwischen die beiden Streithähne und rief:

      „Lasst jetzt das lächerliche Gepöbel. Wir haben Wichtigeres zu erledigen, als sich über die Essgewohnheiten des anderen aufzuregen. Meine Devise lautet in diesem Fall, jedem das, was ihm am besten bekommt“

      Zu Tom gewandt sagte sie:

      „Etwas anderes wäre es, wenn Esmaraldus eine fette Katze wäre.“

      Sie wandte sich Esmaraldus zu und sprach:

      „Außerdem bin ich sicher, dass Esmaraldus in deiner Gegenwart keine Fliege verspeisen wird.“

      Esmaraldus stellte sich wieder auf alle acht Beine und meinte:

      „Wenn es sich vermeiden lässt, selbstverständlich nicht. Ich esse gerne in Ruhe und hasse es, wenn andere mir neugierig dabei zusehen.“

      „Dass du in meiner Gegenwart keine Fliege frisst ist ja wohl das Mindeste, was ich von dir erwarten kann“, brummte Tom, allerdings mehr zu sich als zu Esmaraldus, denn er wollte den Disput nicht noch einmal entfachen. Er verschränkte wieder die Vorderpfoten vor der Brust und hockte sich ins Gras. Er war sauer, weil es ihm nicht gelungen war, sich ins rechte Licht zu setzen. Ganz nach Politikermanier saß er seinen Ärger aus.

      „Lasst uns friedlich sein und überlegen, wie wir auf die andere Seite kommen. Vielleicht weiß Esmaraldus ja einen Weg.“

      Die Mütze hatte in ruhigem, beschwichtigenden Ton gesprochen, doch ein saurer Politiker ist eben ein saurer Politiker. Sofort plapperte er dazwischen.

      „Was versteht eine Spinne schon vom Boot fahren!“

      Die Mütze wurde ärgerlich:

      „Schluss jetzt. Kein Wort mehr!“

      Tom knirschte vor Ärger mit den Zähnen. Er fühlte sich eindeutig verkannt. Die Mütze beachtete ihn nicht.

      „Du willst also auch nach Süden“, sprach sie zu Esmaraldus, „wie wärst du über den Fluss gekommen, oder hattest du noch keinen Plan?“

      Esmaraldus blickte über den Fluss, der ihm aus seiner Sicht unermesslich breit schien. Er konnte das andere Ufer nicht erkennen. Schließlich kratzte er sich ausgiebig mit dem zweiten linken Vorderbein den Rücken und murmelte leise:

      „Na ja - einen Plan.“

      Noch einmal kratzte er sich ausgiebig.

      „Einen Plan direkt nicht. Ich hätte es auf die spinnenübliche Art versucht.“

      „Was ist die spinnenübliche Art?“

      „Ich hätte versucht, mich an meinem Faden