Gerd Grimm

Die gestiefelte Mütze


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Zum Nachdenken blieb mir allerdings keine Zeit. Plötzlich tappte mir eine Pfote von hinten auf die Schulter und eine ziemlich unfreundliche Mäusestimme fragte:

      „Was zum Katzenauge machst du denn hier?“

      Stocksteif saß ich auf meinem Ästchen und hielt die Luft an.

      „Woher kommt die Maus?“, fragte ich mich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es außer mir noch andere Mäuse im Parlament gab.

      „Weit gefehlt“, sage ich euch. Selten einmal habe ich mich so getäuscht wie damals. Es gab tausende von mehr oder minder politischen Mäusen. Aber längst nicht alle waren daran interessiert, die hohe Kunst der Politik zu lernen. In der großen Mäusekolonie des Parlaments waren alle politischen Schattierungen vertreten. Es gab linke Mäuse, rechte Mäuse, reinrassige Politikermäuse, teilweise schon in der zehnten Generation, politische Clans, Cliquen und Sekten und sogar ein voll funktionierendes Mäuseparlament, mit frei gewählten Abgeordneten, das alle Instanzen von Recht und Gesetz in der Mäusepolitik vertrat.

      Daneben gab es haufenweise Schmarotzer, die die hohen Politiker umschwärmten wie die Fliegen den Kuhfladen. Sie lebten von den Brocken, die die hochpolitischen fallen ließen. Es gab ein ganzes Heer von Wachpersonal, das darüber wachte, dass das Parlament, das Mäuseparlament, bei seiner Arbeit nicht gestört wurde. Besonders beliebt war der Beruf des Textschreibers für die hochpolitischen. Die alten erhabenen Politikermäuse waren oft derart in ihre Arbeit vertieft, dass sie einfach keine Zeit für ihre Reden hatten. Sie verpflichteten dann eine treu ergebene Maus dazu, ihnen die Reden nach den Barthaaren zu schreiben, und zwar so, dass sie ohne vorherige Kontrolle im Parlament vom Blatt gelesen werden konnte.

      Als politisch ungebildeter Jungmäuserich kam ich also in diese hohe Welt der Politik. Der Posten, der mich in der Hecke aufgestöbert hatte, brachte mich ohne Umschweife zur Arbeitseinteilungskommission. Die A.K., so wurde sie kurz genannt, teilt alle rangniederen Arbeiten ein und überwacht die zuverlässige Ausführung der zugeteilten Arbeit.

      Der zuständige Beamte musterte mich mit geschultem Blick, stellte fest, dass ich jung, kräftig und durchtrainiert war und steckte mich als Tragemaus in die Nahrungsmittel-beschaffungskolonne.

      Wie ich schon erwähnte, ist die Welt innerhalb des Parlamentsgeländes vollständig nach außen hin abgeschirmt. Auf dem Gelände selbst findet man so gut wie keine Lebensmittel, es sei denn, man geht direkt in die Höhle des Löwen, in das Parlamentsgebäude. Um den reibungslosen Tagesablauf und das Überleben von tausenden von Mäusen zu sichern, hatte man ein selbstständig arbeitendes Nahrungsmittelbeschaffungskommando gebildet. Drei Wochen blieb ich in der Kolonne, verrichtete von morgens sieben Uhr bis nachmittags um fünf meinen Dienst und sah mich dann, nach Dienstschluss auf dem Gelände um. Mein Ziel war, so schnell und so gefahrlos wie möglich in das Zentrum der Politik, nämlich ins Parlamentsgebäude, zu kommen.

      Freilich hatte ich zuerst ins Auge gefasst, mich von unseren eigenen hochkarätigen Politikern unterrichten zu lassen, aber für die innermäusliche Ausbildung gab es lange Wartelisten, und auch dann war es noch höchst ungewiss, ob man so eine Ausbildung absolvieren konnte, denn die Prüfung, die man ablegen musste war hart. Der diensthabende Ausbildungsleiter erklärte mir, dass ich mindestens drei Jahre warten müsste, wenn ich mich sofort mit Dringlichkeitsstufe eins anmeldete. Und das wäre dann nur die Vorschule zur Grundausbildung gewesen. Dazu kam noch, dass ich keinerlei Referenzen besaß, ich hätte mich also gar nicht mit Dringlichkeitsstufe eins anmelden können.

      Also entschloss ich mich, es auf direktem Wege zu versuchen. Nach drei Wochen also, und etlichen intimen Gesprächen mit einer ziemlich pikierlichen Hundedame hatte ich zumindest den Weg ins Parlamentsgebäude gefunden. Meine angeborene diplomatische Ader und meine Redegewandtheit halfen mir, den Weg zu finden. Schon immer hatte ich mich mit Hunden ausgesprochen gut verstanden. Nicht zuletzt deshalb, weil sie mir mehr als einmal aus peinlichen Situationen mit Katzen herausgeholfen hatten.

      Mein Leitspruch war schon von Kindesbeinen an:

      „Bist du klein und intelligent und stehst einem gefräßigen Kater gegenüber, dann helfen dir nur Diplomatie oder ein neurotischer Hund.“

      Während meiner Suche nach einem geeigneten Weg ins Parlamentshaus geriet ich auch auf den großen Politikerparkplatz. Suchend lief ich zwischen den glänzenden, schwarzen Karossen umher, als plötzlich hinter einer Panzerglasscheibe die Nase einer gelangweilten Hundedame auftauchte. Ich grüßte sie, wie es meine Art ist, mit einem kurzen Hallo, und sie bellte freudig zurück.

      Ganz bestimmt hätte sie eine Unterhaltung mit mir naserümpfend abgelehnt, hätte sie sich unter ihresgleichen befunden, aber wenn man ganz allein in einer gepanzerten Staatskarosse sitzt, nimmt man jede Gelegenheit, sich die Zeit zu vertreiben, wahr.

      Als sie auf die Rücksitzlehne sprang und mich in ein oberflächliches Gespräch über das Wetter verstrickte, sah ich, dass ihr Fell ordentlich frisiert war. Sie konnte also kein verwahrloster Straßenköter sein, der durch irgendeinen dummen Zufall in diese Karosse gelangt war. Ihre Ohren waren dauergewellt und im säuberlich ondulierten Schweif trug sie ein rosa Schleifchen. Durch lange, umständliche Gespräche über Gott und die Welt erfuhr ich, dass sie täglich von morgens bis mittags im Wagen saß und auf ihr Herrchen wartete. Zum Mittagsmahl wurde sie in die Kantine gebracht. Nach dem Essen brachte sie ein Bediensteter wieder zurück zum Wagen, wo sie erneut bis zum Abend wartete. Ein recht eintöniges Leben, wenn ihr mich fragt, aber was tut man nicht alles, um nur irgendwie mit dabei zu sein.

      Wie ich diese Hundedame, die, wie gesagt, recht pikierlich war, dazu brachte, das zu tun, was sie getan hat, weiß ich bis heute noch nicht. Jedenfalls hat sie es getan.

      Eines Abends verabredete ich mich mit ihr zur Mittagszeit. Beim Führer der Nahrungsmittelbeschaffungskolonne meldete ich mich krank, damit mein Fehlen nicht auffiel und ich wegen Arbeitsunlust des Parlaments verwiesen wurde. Immerhin konnte ja etwas schief gehen, und ich musste mich nach einer anderen Möglichkeit ins Gebäude zu kommen umsehen. Ich kam also zu unserer Verabredung, zeigte mich der Hundedame kurz, um ihr zu zeigen, dass ich da war, und verbarg mich dann hinter einem Autoreifen.

      Pünktlich auf die Minute kam ein schlecht genährter, aber gut gekleideter Mensch auf die Limousine zu. Er öffnete den Schlag, das heißt die hintere Tür, und meine Hundedame sprang ins Freie. „Komm mein Mausi, gleich gibt es was zu fressen“, säuselte er mit süßer Stimme. Die Hundedame sprang an ihm hoch, wedelte wie verrückt mit ihrem rosa Seidenschleifenschwänzchen und bellte, dass mir fast das Trommelfell platzte. Als die Begrüßungszeremonie vorüber war, blieb sie verabredungsgemäß eine Sekunde länger als üblich stehen und zwinkerte mir zu.

      Das war mein Zeichen. Blitzschnell schlüpfte ich hinter dem Reifen hervor und krabbelte zwischen ihre Hinterbeine. Ich krallte mich in ihren zottigen Beinhaaren fest und sie senkte ihr Schwänzchen, damit ich nicht von hinten gesehen werden konnte. Dann trabte sie los, immer neben ihrem Herrchen her. Tja, meine Freunde, auf diese Weise schmuggelte sie mich ins Parlament, was ich, ehrlich gesagt, ziemlich anrüchig fand. Lange Zeit liefen wir durch endlose Gänge, bogen in Quergänge ein, benutzten zwei Aufzüge, durchquerten eine riesige Halle. Die Pfoten wurden mir lahm und noch immer trottete die Hundedame fleißig neben ihrem Herrchen her.

      „Wie zum Katzendreck soll ich jemals wieder zurückfinden?“, fragte ich mich schon, als plötzlich ein herrlicher Duft in meine Nase stieg.

      Plötzlich blieb die Hundedame stehen, knurrte und hob ihr Schwänzchen. Das war wieder mein Signal. Schnell wie ich aufgesprungen war, sprang ich ab, rannte über den Gang und krabbelte in einen hölzernen Kleiderständer.

      Die Frau denkt mit, dachte ich noch, als ihr Herrchen auch schon so erbarmungslos an der Leine zog, dass sie quietschend weiterging. Ich wartete eine Weile bis die Luft rein war, dann streckte ich vorsichtig die Nasenspitze auf den Gang.

      Schnuppernd versuchte ich herauszufinden, aus welcher Richtung dieser herrliche Duft kam und zog mich dann rasch wieder in mein Versteck zurück.

      „Zu gefährlich“, dachte ich.

      Plötzlich pochte mir das Herz bis zum Hals. Die Beine knickten mir weg und ich musste mich setzen. Erst jetzt wurde mir bewusst, was