Gerd Grimm

Die gestiefelte Mütze


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willst du nicht mitmachen. Stimmt’s?“

      „Stimmt“, knurrte der Stiefel.

      „Dein Leder ist trocken wie altes Stroh, stimmt’s?"

      „Stimmt.“

      „Du brauchst dringend Schuhwichse, stimmt’s?“

      „Ja stimmt!“

      „Du brauchst sogar sehr dringend Schuhwichse stimmt’s? Schon der nächste heftige Regen könnte dein Leder so spröde machen, dass es bricht, stimmt’s?“

      „Alle Käsefüße der Welt. Ja stimmt.“

      „Na dann frage ich mich, warum du nicht mitmachen willst.“

      „Weil der Fluss aus Wasser ist.“

      „Recht hast du, der Fluss ist aus Wasser. Aber du wirst nicht durch und durch nass, nur deine Sohle ein bisschen. Außerdem, wie willst du hier an Schuhwichse kommen?“

      „Jeder Schuster hat Schuhwichse“, knurrte der Stiefel.

      „Du glaubst also, du kannst einfach zu einem Schuster spazieren und Schuhwichse verlangen?“

      Der Stiefel schwieg.

      „Mach dich nicht lächerlich“, sprach Tom weiter. „Der erstbeste Schuster, dem du unter die Augen kommst, würde dich auf den Leisten spannen, weich klopfen, um dich dann auseinander zu nehmen. Schön bist du nicht mehr, das weißt du selbst. Aber als Flickenleder könnte ein Schuster dich noch gebrauchen.“

      Der Stiefel schwieg.

      „Stimmt’s?“, fragte Tom.

      Zögernd und leise antwortete der Stiefel: „Stimmt.“

      „Dann mach mit. Auf der anderen Seite kenne ich eine Schusterei. Dort kann ich dir Schuhwichse besorgen. Schuhwichse, so viel du willst.“

      Tom’s Argumente waren stichhaltig. Zögernd willigte der Stiefel ein, jedoch ohne Tom das Leder darauf zu geben. Mit einem Politiker eine Koalition einzugehen, ohne sie zu besiegeln, war eine gefährliche Sache. Tom klopfte ihm anerkennend den Schaft und bemerkte:

      „Jeder hat in einer Koalition seine Last zu tragen. Nimm’s nicht so schwer. Wer weiß, was auf uns noch zukommt.“

      Der Stiefel nickte zaghaft mit dem Schaft. Er war politisch unschuldig und nahm Tom’s Worte als ehrliches Mitleid entgegen. Seiner Meinung nach hatte ein einmal gegebenes Versprechen Gültigkeit bis zu dem Tag, an dem es eingelöst wird.

      Die Mütze hatte indessen vom Warten den Bommel voll und rief:

      „Auf geht’s. Was kostet die Welt, setzen wir über!“

      Die drei erhoben sich und traten ans Ufer.

      „Bist du bereit“, fragte Tom sicherheitshalber noch einmal nach und blickte den Stiefel dabei geradewegs an. Immerhin war es möglich, dass er einen Rückzieher machte beim Anblick des vielen Wassers.

      Aber der Stiefel stand zu seinem Wort. Er nickte mit dem Schaft und brummte ein kehliges „Ja.“

      „Nun denn“, rief die Mütze übermütig und sprang auf.

      „Halt, warte“, bremste Tom mit lauter Stimme und fuchtelte dabei mit den Vorderpfoten in der Luft herum.

      „Das wichtigste fehlt noch.“

      „Was denn?“

      „Na das Paddel. Wie soll ich denn ohne Paddel steuern?“

      Geschwind rannte er zurück ins Schilf. Mit seinen messerscharfen Zähnchen nagte er ein kräftiges Schilfrohr durch und maß mit Hilfe seines Schwanzes die eigene Körperlänge dreimal ab. Das abgemessene Stück nagte er wieder durch und schleppte dann das drei Mäuselängen lange Rohr zum Stiefel.

      „Puha“, schnaufte er, „solche Schlepperei bin ich als Politiker nicht mehr gewöhnt. Heb mal die Spitze, Stiefel.“

      Der Stiefel lupfte die Spitze. Tom schob das Schilfrohrstück genau eine Schwanzlänge unter den Stiefel.

      „Jetzt kräftig zutreten!“

      Der Stiefel trat mit aller Kraft zu und das eine Ende des Schilfrohres wurde platt wie ein Pfannkuchen.

      „Die andere Seite.“

      Zwei Minuten später hielt Tom ein maßgefertigtes Mäusepaddel in den Pfoten. Er hievte es auf den Vorderfuß, stieg selbst auf den Sohlenrand und balancierte das Paddel mit einer Pfote, während er sich mit der anderen an einer Naht festklammerte.

      „Auf geht’s!“, brüllte er nach oben.

      Langsam tappte der Stiefel ins Wasser. Tom wollte das Paddel so halten, bis sie richtig schwammen, doch der Stiefel lag tief im Wasser. Tom fluchte und kletterte rasch auf den Vorderfuß, als plötzlich seine Hinterpfoten im Wasser standen. Schon als sie etwa einen Meter vom Ufer entfernt waren schwamm der Stiefel. Tom hockte sich hin und umklammerte fest das Paddel. Nach hinten stützte er sich, des besseren Haltes wegen, mit dem Schwanz ab.

      Vorsichtig paddelte er auf die Flussmitte zu. Er war ein erfahrener Paddler. In seiner Jugend hatte er keinen Wettbewerb ausgelassen und sogar einmal den ersten Preis im Kastanienblattwettrudern gewonnen.

      Oben auf dem Schaft hielt die Mütze Ausschau.

      „Alles klar?“, fragte Tom über die Schulter nach hinten.

      „Alles klar. Kein Hindernis in Sicht.“

      Langsam entschwand das Ufer. Als dünner Streifen schimmerte das Schilf in der tief stehenden Sonne. Die Überfahrt schien ruhig zu verlaufen. Fast hatten sie die Flussmitte erreicht, als plötzlich der gesamte Vorderfuß von drei mächtigen Wellen überspült wurde. Der Stiefel tanzte wie wild auf dem Wasser und Tom paddelte aus Leibeskräften gegen die Strömung an.

      Schweiß troff ihm aus dem Fell. Mühsam trieb er mit kräftigen Paddelschlägen den tanzenden Stiefel aus der reißenden Strömung in ruhigeres Gewässer. Seine Lunge pfiff und rasselte wie ein altersschwacher Traktor, die fein manikürten Krällchen gruben sich tief in das weiche Schilfrohr, welches sich manchmal gefährlich bog.

      Tom arbeitete wie besessen. Schon glaubte er, das Gröbste geschafft zu haben, als der Stiefel plötzlich wie wild den Schaft verdrehte. Er ruckte und zuckte so, als wäre ihm etwas unangenehm. Heftige Strömungswellen schwappten über Tom hinweg.

      „Himmelkreuzkäse“, brüllte er keuchend nach hinten. Der Stiefel wurde schräg von einer Welle getroffen und etliche Meter zurückgeworfen.

      „Willst du uns alle ersäufen? Halt still oder wir kentern!“, brüllte Tom. Er biss die Zähne zusammen, stützte sich kräftig mit dem Schwanz ab und versuchte, den Stiefel wieder in die richtige Richtung zu bringen.

      Der Stiefel rührte sich nicht mehr, aber er zitterte am ganzen Leder. Der Mütze kam sein Verhalten seltsam vor. Sie kannte seine Eigenarten und so reagierte er nur, wenn er sich in heller Panik befand. Sie befürchtete, dass er sich gehen lassen könnte und wild im Wasser um sich tobte. Besorgt, ihrem inneren Mütz folgend, kehrte sie sich nach innen in den Schaft, um den Stiefel Mut zuzusprechen.

      Ihr blieben die Worte in der Wolle stecken. Drei, viermal musste sie schlucken, bis sie ihre Stimme wieder fand.

      „Halt!“, rief sie. „Sofort halt und umkehren!“

      Doch da sie immer noch mit dem Bommel im Schaft steckte verstand Tom sie nicht und kämpfte weiterhin verbissen gegen die Strömung an.

      Die Mütze kam hoch.

      „Hörst du nicht? Sofort halt und umkehren!“, brüllte sie ihn an.

      „Im Stiefel steht mindestens zehn Faden hoch das Wasser. Wir saufen ab!“

      Tom drehte sich um und blickte die Mütze mit weit aufgerissenen Augen an.

      „Kehr um und glotz nicht so“, brüllte sie fassungslos.

      Tom lehnte