Gerd Grimm

Die gestiefelte Mütze


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      Tom wäre wohl noch immer am erzählen, wenn die Mütze ihm nicht das Wort abgeschnitten hätte.

      „Deine Geschichte in Ehren“, sprach sie, „aber meinst du nicht dass es Zeit wäre, an den Fluss zu denken?“

      Tom blickte irritiert auf.

      „An den Fluss denken?“

      „An den Fluss“, nickte die Mütze.

      „An den Fluss“, Tom kratzte sich die Nase.

      „An den Fluss, so - ach ja -“, murmelte er vor sich hin, „aber nicht ohne Koalition!“

      „Meinetwegen auch Koalition“, sprach die Mütze, „aber zuvor möchte ich wissen, wie deine Koalition aussieht.“

      „Äh, wie ich vorhin schon sagte, jeder hat eine ganz spezielle…“

      „Konkret“, unterbrach die Mütze ihn unwirsch.

      „Konkret- ähh.“

      Tom stellte sich auf die Hinterpfoten.

      „Also ich dachte daran - äh - dass der Stiefel und du - äh...“

      Die Mütze hatte keine Lust sich Tom’s Gestammel anzuhören.

      „Du willst also, dass wir dir helfen, auf die andere Seite zu kommen.“

      „So gesehen hast du nicht ganz Unrecht“, sprach er leicht verlegen.

      Die Mütze wollte Tom reizen. Sie wollte wissen, was der Bursche vorhatte.

      „Wir sind also nur Mittel zum Zweck. Wo ist dein Beitrag zur Koalition? Oder hat etwa jede Koalition einen Schmarotzer, der sich von den anderen durchziehen lässt?“

      Langsam erwachte Tom’s Politikergeist. Er setzte zum Spre-chen an, doch die Mütze schnitt ihm das Wort ab.

      „Damit DEIN Frack nicht nass wird sollen WIR DICH übers Wasser fahren.“

      Das war zuviel. Tom explodierte:

      „Oh nein, Herr Mütz! Beileibe nicht ,Herr Mütz!

      Diese Vorwürfe muss ich unbesehen zurückgeben. Es liegt weit unter meiner Würde auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, mich solchen Äußerungen gegenüber rechtfertigen zu wollen. Im Gegenteil! Ich frage ganz unverblümt zurück:

      Wo ist Euer Beitrag zur Koalition, Herr Mütz?

      Um deutlicher zu werden, wie kommt Ihr auf die andere Seite?“

      Die Mütze wollte antworten, doch der einmal in Redefluss gekommene Tom winkte nur mit der Pfote.

      „Es sieht doch in der Tat so aus, dass Ihr eigentlich nichts weiter könnt, als euch übers Wasser treiben zu lassen.

      Im Gegensatz zu Euch kann ich jedoch schwimmen und lenken. Es wäre für einen durchtrainierten Mäuserich wie mich ein Leichtes, den Fluss zu überqueren. Nebenbei möchte ich bemerken, dass ich in meiner Jugend allerlei Wassersport betrieben habe. In einem Punkt gebe ich Euch allerdings Recht. Mein Frack, wie Ihr meinen Fellsmoking nennt, ist in der Tat zu kostbar, als dass ich ihn mir durch schmutziges Flusswasser versauen möchte.

      Doch noch einmal zu Euch, Herr Mütz. Seht Euch den Fluss genau an. Am Ufer fließt er langsam und träge, doch in der Mitte wird die Strömung reißend. Seht dort hin, leicht rechts von uns. Dieser Strudel dort würde Sie auf alle Ewigkeit im Kreise herum drehen. Wenn Ihr überhaupt so weit kämet. Ich vermute eher, dass die Strömung Euch einfach mitreißen würde und Ihr irgendwo weit ab wieder an Land gespült würdet. Mit etwas Glück wäre es sogar das richtige Ufer.“

      Tom machte eine kleine Pause.

      „Es wäre aber auch denkbar", sprach er leiser weiter, „dass der Stiefel in der starken Strömung einfach kentert. Und was dann, Herr Mütz? - Was dann?

      Wo liegt also, frage ich nun zum Schluss, Ihre Aufgabe in der Koalition?“

      Die Mütze schwieg. Tom’s Rede hatte sichtlich einigen Eindruck hinterlassen. Obwohl die Mütze alles andere als auf den Bommel gefallen war, konnte sie beim besten Willen Tom’s Fragen nicht vernünftig beantworten. Tom blähte stolz die Brust und sah sich schon als Sieger aus der Koalitionsverhandlung gehen, als plötzlich der Stiefel unwillig brummte.

      Die Mütze wurde wieder lebendig. Ihre eingestrickte Skepsis war noch nicht befriedigt.

      „Und wie stellst DU dir das Übersetzen vor?“, fragte sie keck.

      Tom räusperte sich.

      „Na ja, ohne die Hilfe des Stiefels geht es freilich nicht.“

      Tom versuchte seine Gedanken zu ordnen. Die Mütze nutzte die Gunst der Sekunde und hakte nach.

      „Jetzt mach aber mal Stiefel mit Sohlen. Wie genau sollen deiner Meinung nach die Aufgaben verteilt sein?“

      Tom wurde rot unter seinem Smoking. In der Politik war es nicht üblich geradeheraus Fragen zu stellen, und noch viel weniger, auf gerade gestellte Fragen genauso geradeheraus zu antworten. Ein echter Politiker kreiste lieber wie die Maus um die Falle, um dann den Käse ganz vorsichtig von hinten zu stibitzen.

      „Sei’s drum“, dachte Tom. „Angriff ist die beste Verteidigung.“

      Zur Mütze sprach er: „Eigentlich ist das ganz einfach. Es gibt nur eine Möglichkeit unbeschadet den Fluss zu überqueren. Jeder andere Versuch wäre schwachsinnig und selbstmörderisch. Wir müssen eisern zusammenhalten und das Werk gemeinsam angehen. Nur so gelangen wir ans Ziel.“

      Tom schwieg. Verlegen strich er die abstehenden Smokinghaare glatt. Die Mütze ließ nicht locker.

      „Du redest wie ein liebeskranker Strickstock zum Schaf“, sprach sie, „als wenn das Schaf seine Wolle freiwillig abwerfen würde. Natürlich geht es gemeinsam am besten. Deinen Teil, den sehe ich noch nicht.“

      Die Mütze hoppelte ungeduldig hin und her. Der Stiefel stellte sich und knarrte bedrohlich mit dem Leder. Tom fühlte sich in die Enge getrieben.

      „Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt.“ sagte er, „wir müssen zusammenarbeiten …“, weiter kam er nicht.

      „Wie? Wie müssen wir zusammenarbeiten“, unterbrach ihn die Mütze.

      „Wie?“

      „Ja, wie?“

      „Wie. Ganz einfach. Ich rudere uns auf die andere Seite. Der Stiefel ist unser Boot und du hockst als Steuermütze obendrauf und achtest auf die richtige Richtung und die Strömung.“

      Es war heraus. - Endlich.

      Die Mütze seufzte aus vollstem Bommel und ließ sich erleichtert ins Gras fallen.

      „Abgemacht“, stöhnte sie.

      „Abgemacht“, sagte auch Tom, trat neben sie und schüttelte der Mütze den Faden.

      Die beiden waren zufrieden mit sich. Nach langem, hartem Ringen waren sie zu einem Ergebnis gekommen. Doch irgendwie hatten sie in ihrer Koalition etwas übersehen. Den dritten im Bunde, den Stiefel.

      Tom schüttelte noch immer den Faden, als er plötzlich ein tiefes brummeliges „Nein!“, hörte.

      „Nein?“, fragten die Mütze und Tom gleichzeitig und starrten den Stiefel an.

      „Was soll das heißen: Nein“, fragte Tom und ließ den Mützenfaden los. „Koalition ist Koalition.“

      „Was fällt dir ein“, rief die Mütze empört, als sie ihre nagelneue Koalition auseinander brechen sah.

      „NEIN!“

      Der Stiefel hatte auf stur geschaltet. Es gab keine Begründung. Die Mütze und Tom fingen an um die Wette zu argumentieren. Sie umsäuselten den Stiefel, lobten ihn über den grünen Klee, versprachen ihm, die hübscheste Stiefelette für ihn zu suchen, wenn er nur mitmachte.

      Alles vergebens.