Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


Скачать книгу

werden würden. Doch diese Möglichkeit bestand nun nicht mehr nach der Flucht des Grafen Adolf von Dassel.

      Von Reinold angetrieben hatte Prabislav, nachdem er die deutsche Sprache beherrschte, zuerst zögerlich aber dann intensiv Lesen und Schreiben gelernt. Schnell hatte Reinold das schlummernde Talent des Slawen ausgemacht. Er förderte die bald perfekte Schreibkunst des jungen Mannes und verschaffte ihm Arbeit beim Lokator. Für die bildliche Ausschmückung der Buchstaben entwickelte Prabislav ein solches Geschick, wie es ansonsten nur die für diese Kunst berühmten Mönche in den Klöstern hatten, dass Konrad Wackerbart gar vor Staunen die Augenbraue hochzog. Ihn verwunderte stets, in welch kurzer Zeit von nur drei Jahren Prabislav seine Schreibkunst erlernte hatte.

      „Lass dich davon nicht unterkriegen. Wenn Gottfried sieht, was du für ein fleißiger Mann bist, wird er dir seine Tochter schon geben und mit dem Preis herunter gehen. Nicht aufgeben.“

      „Das ist leicht gesagt. Wie ich Gottfried einschätze, wird er keinen Witten weniger an Morgengabe verlangen.“

      „Dann musst du eben mehr Wachstafeln und Pergamente beschreiben, um das Geld zusammenzubekommen. Oder willst du ewig ohne Weib in dem Haus wohnen? Bald wirst du ganz alleine in deinem Haus sein.“

      Johannes war sein bester Freund, und das nicht zu Unrecht. Er lag nicht daneben mit der Behauptung, dass Prabislav bald alleine sein würde. Unwillkürlich wurde er an den schmerzvollen Augenblick erinnert, als er von der Todesnachricht erfahren hatte. Sein Vater war plötzlich erstickt. Einfach so. Dieser herzensgute Mensch hatte keine Luft mehr bekommen. Es war nicht das erste Mal, das ging schon einige Monde so. Aber es war niemals so heftig gewesen. Vereinzelt klagte Mistiwoi über Luftknappheit, hechelte nach ihr und fasste sich dabei an die Kehle. Der Bader, den er aufgesucht hatte, verfügte auch nur über beschränkte Kenntnisse. So einen Fall hatte er noch nie behandelt.

      Aber wer hätte geahnt, dass er davon so schnell sterben würde. Der überraschende Tod war jetzt ein Jahr her gewesen. Seitdem hatte sich Taomir langsam, aber erkennbar von ihm gelöst. Taomir war ein junger Mann geworden, der seinen eigenen Weg gehen wollte. Den großen Bruder brauchte er nicht mehr dafür. Nur noch zum Schlafen kam Taomir in das Haus, wenn überhaupt. Taomir befand sich in der Lehre bei einem Kaufmann. Es war Taomirs Traum, ein angesehener Kaufmann der Hanse zu werden. Es war daher nur noch eine Frage der Zeit, bis die Entfremdung zu seinem Bruder so weit fortgeschritten war, dass er auch nicht mehr zum Schlafen kam und in die Hansestädte wechselte. Johannes hatte Recht. Bald würde er ganz alleine sein. Es war an der Zeit eine Familie zu gründen. Als gestandener Mann mit ausreichendem Lohn war Helene die richtige Frau für ihn. Er würde um sie kämpfen und diesem Bäcker zeigen, dass er seine Tochter verdient hatte.

      „Ich werde Helene bekommen.“

      Johannes hielt kurz an, hielt seinen Freund am Arm fest und drehte Prabislav zu sich, sodass sie sich trotz der geringen Beleuchtung in der Seestraße genau in die Augen sehen konnten.

      „Ich liebe sie über alles,“ setze Prabislav voller Überzeugung noch hinzu.

      „Dann beeil dich, bevor dir jemand zuvorkommt. Du bist nicht der einzige Mann in Mulne, der ein Auge auf Helene geworfen hat. Ein gutgemeinter Rat von mir.“

      Prabislav stockte. Ein Gefühl der Angst auf einen bevorstehenden Verlust ergriff ihn. Er verstand den wohlgemeinten Rat und nickte.

      Ach, wie einfach war früher das Leben als Kind gewesen. Aber heute? Probleme, Arbeiten und Pflichten. Der Kampf um das tägliche Brot. Gab es denn in der Welt der Erwachsenen nichts anderes? Seine Gedanken schweiften ab.

      Die Erinnerungen schweiften in die Zeit seiner Kindheit zurück, als er noch in dem pola­bischen Dorf wohnte. Es war für ihn eine schöne Zeit gewesen. Doch dieses Dorf gab es nicht mehr. Vor wenigen Wochen hatte es ihn noch einmal dorthin gezogen, doch er hätte es lieber lassen sollen. Außer verfallenen Hütten fand er nichts mehr vor. Alle Polaben waren in die Stadt gezogen, oder einige wenige auch weiter nach Osten.

      Als er weiter in seinen Erinnerungen schwelgte, dachte er auch wieder an Zwentepolch. Kein Ritter Detlev, kein anderer Mann des Rechtes hatte es verstanden, Zwentepolch und seiner Räuberbande inzwischen habhaft zu werden. Er hatte noch von einigen Raubüberfällen entlang der Via Regia gehört, doch dann verebbten die Nachrichten über die Vogelfreien. Er wusste nicht, was aus ihnen geworden war.

      Doch jetzt war er hier mit seinem Freund. Durch einen leichten Schubser holte Johannes ihn aus seiner Traumwelt zurück.

      „Was ist, Prabislaw? Warst du wieder in Gedanken versunken?“

      „Nein, nein. Nichts ist.“

      Bald betraten sie den Krug in der Pinnowerstrate. Da es nur zwei Krüge in dem noch recht jungen Ort Mulne gab, war dieser zu der abendlichen Zeit gut besucht. Andere Ablenkungen und Zerstreuungen als in Gemeinschaft einen Humpen Bier hinunterzustürzen gab es nicht. Hier trafen sich mehr oder weniger aus Langeweile und aus Neugier die Bürger des Ortes. Wenn es eine Neuigkeit gab – und mochte sie noch so banal sein – so wurde sie hier verkündet und verbreitete sich rasch.

      Johannes und sein Freund setzen sich an einen Tisch in der hinteren Ecke des Saales, wo sie noch Platz fanden. Das Gegröle der Männer waren sie gewohnt. Der Wirt brachte ihnen zwei Humpen, deren Inhalt sie sogleich in ihre durstigen Kehlen schütteten.

      „Ob Thiedardus bald kommt?“ Prabislav setzte eine sorgenvolle Miene auf.

      „Wenn er überhaupt kommt. In diesen unruhigen Zeiten, in denen der Krieg auch in die Gassen Mulnes getragen werden kann, ist alles möglich. Vielleicht ist er mit seiner Abordnung zwischen die Fronten der Lubecker und der Dänen geraten.“

      „Sieh es mal nicht so pessimistisch. Soviel ich weiß, wollen die Lubecker ihre Stadt den Dänen freiwillig übergeben. Ich glaube nicht, dass es zur Schlacht kommt.“

      „Wenn du meinst? Freiwillig übergeben die Lubecker ihre Stadt bestimmt nicht. Sie haben nur Angst, dass ihre Schiffe nicht mehr aus der Trave herauskommen, oder von den Dänen auf See aufgebracht werden. Schließlich würde ihnen unter anderem der lukrative Heringsmarkt in Schonen wegbrechen. Das Geschäft um das lukrative Salz, welches die Schonen benötigen, würde an ihnen vorbeiziehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Ratsherren aus Lubecke ihre Treue ausschließlich nach dem Wind des lukrativsten Geschäftes richteten.“

      „Du hast Recht, doch geht es bei unserer Abordnung Werdagos nicht um die Lubecker. Wir haben unsere eigenen Interessen. Meinst du, sie hatten beim dänischen Herzog Erfolg?“

      „Ich weiß es nicht, doch werden wir alles von Thiedardus erfahren. Er war schließlich beim Treffen dabei und ist gerade durch die Tür eingetreten.“

      Voller Erwartung sahen beide zum Eingang, wo sich in diesem Moment die Tür schloss, nachdem ein junger Mann hereingetreten war.

      Thiedardus war wenige Jahre älter als Johannes und Prabislav. Diese drei waren die besten Freunde und verbrachten ihre freie Zeit meist miteinander. Thiedardus erblickte sogleich seine Freunde. Als er den Tisch erreicht hatte, streifte er seine Gugel, eine Kapuze mit angesetztem Kragen, vom Kopf ab. Es erschienen seine langen blonden Haare, die hinten auf dem Kragen auflagen. Seine Augen blickten müde die Freunde an. Doch war in den erschöpften Augen nicht zu erkennen, ob die Mission der Männer von Mulne erfolgreich gewesen war.

      „Was kannst du uns verkünden, Freund?“

      „Dum spiro spero.

      Prabislav verstand sofort. Thiedardus hatte nämlich die manchmal für Johannes störende Angewohnheit, seine Kommentare in lateinische Wörter zu verkleiden. Prabislav hatte in seiner umfassenden Ausbildung Latein in Wort und Schrift erlernt und beherrschte diese Sprache. Johannes dagegen verstand sie nicht und sah unwissend sein Gegenüber an.

      „Was hat er gemeint?“

      „Solange ich atme, hoffe ich.“ Prabislav klärte seinen Freund auf und wies Thiedardus an, am Tisch Platz zu nehmen. Darauf winkte er dem Wirt zu, dem Neuankömmling einen Humpen Bier zu bringen.

      „Es war also nicht