Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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Honig gesüßt. Selbstgebackenes Brot, Wurst und Schinken lagen auf dem Tisch bereit. Mutter und Tochter setzten sich artig an den Tisch und warteten, bis der Bäcker von seiner Verhandlung zurückkäme. Er würde verkünden, wann die Toslach und die Vermählung zwischen Hanno und Helene stattfinden werde. HelenHelene statt

      Die Hitze in diesem Sommer war schier unerträglich. Dennoch ging jeder seiner Arbeit nach. Prabislaw war froh, dass er seine Arbeit im kühlen Haus in der Scrivekamere, der Schreibstube des Lokators, verrichten konnte. Konrad Wackerbart war nicht anwesend. Er ging seinen Geschäften nach. Deshalb befand er sich oft außerhalb von Mulne. Als Lokator des Dorfes Mulne waren seine Aufgaben vielfältig. Die Vermessung der Ländereien oblag seiner Pflicht, und deren Ausführung hatte er zu überwachen. So wurde er auch der erste Schulze von Mulne. Der Schultheiß, vom Althochdeutschen sculdheizo abgeleitet, war derjenige, welcher im Auftrag seines Landesherrn die Schuld heischt, also einfordert oder verlangt. Für den kleinen Ort war er Richter der niederen Gerichtsbarkeit und sorgte gleichzeitig für die Vollstreckung der Urteile; als Dorfhoberhaupt war er mit richterlichen Befugnissen vom Grafen in Racisburg eingesetzt. So war Konrad ein Vollstreckungsbeamter des Grafen. Seine Stelle war mit der eines Vogtes gleichzusetzen. Als geldliche Entschädigung für seine Mühen erhielt Konrad den dritten Pfennig aller Strafen. So wurde er in kurzer Zeit zu einem der reichsten Männer in Mulne.

      Als Lokator, dem Verpachter, war seine Verantwortung demnach sehr groß. Aber am Anfang der Besiedelung in Mulne war seine Entlohnung noch nicht sehr üppig. Zuerst war er verpflichtet worden, den Siedlern während der Rodungszeit den Lebensunterhalt zu gewährleisten und hatte anfänglich viel Geld beigebracht. Diese Verantwortung war ein nicht unbeträchtliches Risiko gewesen. Konrad gehörte dem niederen Adel an. In den Jahren seit der Gründung Mulnes hatte sich der Ort unter seiner Führung kräftig entwickelt. Dies lag nicht nur daran, dass die mit dem teuren Salz beladenen Fuhrwerke aus Lüneburg kommend Station in Mulne machten, um nach einer Pause nach Lubecke weiterzureisen. Sie ließen viel Geld zurück. Aber nicht nur sie. Über den Frachtweg, die Via Regia, kamen immer mehr Menschen nach Mulne. Der Ort sprach sich schnell als Marktort herum, wo sich Dinge des alltäglichen und beruflichen Lebens erwerben ließen.

      Beim Lokator Konrad Wackerbart waren demnach viele Schriftstücke und Urkunden zu erstellen. Eine hilfreiche Hand hatte er dabei in Prabislaw gefunden, dessen Talent, welches ihm nicht unwillkommen war, er schnell entdeckt hatte.

      Prabislaw war an diesem heißen Tag damit beschäftigt, einen Vertrag aufzusetzen. Es ging darum, dass der Bauer Sigmund von Konrad ein im Süden gelegenes Landstück von zwei Hufen pachten wollte. Dafür verpflichtet sich der Bauer auf fünf Jahre, dem Lokator den dritten Teil als Pacht zu entrichten.

      Der Schreiber Prabislaw tauchte seinen Schreibgriffel in das rechts von ihm stehende Tintenfass. Mit gekonnten Zügen beschrieb er das teure Pergament. Den Text las er von der Wachstafel ab, auf die er vorher eilig den Text gekritzelt hatte, den Konrad ihm diktierte. Nun war er dabei, sorgfältig die Urkunde zu erstellen. Über sein aufgeklapptes Pult gebeugt, bekam er anfangs nicht mit, dass er Besuch in seiner Scrivekamere erhalten hatte.

      Er hob seinen Kopf, als er ein hüstelndes Geräusch vernommen hatte, und Freude ergriff ihn, als er in das schweißgebadete Gesicht seines Gegenübers blickte. Der alte Mann stützte sich in seiner unnachahmlichen Art mit den geballten Fäusten auf dem Pult ab und sah den Schreiber wohlwollend an.

      Freudig ergriffen bot Prabislaw dem alten Reinold eine am Fenster stehende Holzbank als Sitzgelegenheit an. Ihm fiel sogleich auf, dass Reinold, von der Hitze mitgenommen, stark schwitzte. Schweißperlen tropften leicht von der Stirn.

      „Wie geht es dir?“

      „Gut, gut. Ich kann nicht klagen.“ Ein Husten begleitete dabei Reinolds Worte.

      Prabislavs blieb jedoch trotz dieser Antwort der wahre Zustands Reinolds nicht verborgen.

      Seine Augen tasteten den alten Mann ab. Unübersehbar waren die Anzeichen. Das Alter hatte Reinold gezeichnet. In den vergangenen zwei Jahren war der Alterungsprozess so weit fortgeschritten, dass die kleinsten Anstrengungen Reinold schon zu Schweißausbrüchen ver­an­lassten. Schüttern hingen die wenigen Haare wirr herum. Als Prabislav in sein fahles Gesicht blickte, meinte er sogar einen Hauch des Todes zu spüren.

      Rochen alte Menschen nicht kurz vor ihrem Tode auch nach demselben? Erschauernd rümpfte er die Nase. Jedenfalls rechnete Prabislaw damit, dass sein Freund und Gönner bald in das Himmelreich aufsteigen würde, an das er als getaufter Christ inzwischen glaubte.

      Reinold hatte viel für ihn getan. Dessen war er sich bewusst. Deshalb war er voll des Dankes für den alten Mann. Seit dem Tode Mistiwois war Reinold zu einer Art Ersatzvater für ihn geworden. Wehmütig erinnerte er sich an die vergangenen Jahre.

      „Was hast du? Sind das Tränen?“

      „Nichts, Reinold. Es ist nichts. Was kann ich für dich tun?“

      „Du kannst nichts für mich tun. Eher kannst du etwas für dich selber tun.“

      Prabislaw ahnte, warum der alte Mann wiedergekommen war. Schon oft hatten sie darüber gesprochen, doch jedes Mal hatte er die angebotene Hilfe abgelehnt.

      „Wenn du wieder wegen des Geldes gekommen bist, alter Mann, dann war dein Weg wie immer umsonst. Dann hast du erneut umsonst geschwitzt. Sogleich kannst du wieder gehen. Solltest du aber wegen etwas anderem gekommen sein, so seist du willkommen.“

      „Du brauchst nicht so versauert zu sein. Überlege es dir noch einmal. Tu mir, aber vor allen Dingen dir selbst den Gefallen. Nimm das Geld an. Betrachte es nicht als Almosen, sondern als Darlehen. Noch ist es nicht zu spät. Aber in drei Wochen ist die Toslach, und nach der Verlobung ist Helene dann endgültig für dich verloren. Noch kannst du mit dem Geld den Bäcker Gottfried davon überzeugen, dass du der Richtige bist. Gottfried geht es nur ums Geld. Hanno kann mit unserem gemeinsamen Geld bestimmt nicht mithalten.“

      „Und was ist mit dem Vertrag zwischen den beiden?“ Prabislaw unterbrach seinen älteren Freund mit einer Spur Aufgeregtheit. Diese Angelegenheit hatte ihn doch sehr mitgenommen.

      „Pergament ist geduldig, mein Junge. Das wirst du schon noch feststellen. Es wäre nicht der erste Vertrag, der gebrochen würde. Und ich gehe auch davon aus, dass es nicht der erste wäre, den Gottfried bräche, wenn es ihm zum Vorteil gereichte. Also, nimmst du nun mein Angebot an?“

      Prabislaw schüttelte entschieden verneinend den Kopf.

      „Nein, alter Freund. Beim besten Willen kann ich die Silberlinge nicht annehmen. Vertrag ist Vertrag, und das müssen wir akzeptieren. Wohin kommen wir, wenn alle eigentlich ehrenhaften Männer Verträge brechen würden. Ich wollte es alleine schaffen, was mir nicht gelang. So muss ich jetzt damit leben, dass meine Geliebte das Weib eines anderen wird.“

      Der Schreiber Prabislaw gab sich die erdenklich allergrößte Mühe, abgeklärt und erhaben zu wirken. Aber in seinem Innerstem sah es anders aus. Sein Herz pochte vor Verlangen und Sehnsucht nach Helene. So war es nun einmal, und damit musste er leben.

      Auf keinen Fall wollte er sich damit erniedrigen, dass er fremdes Geld annahm, nur um sie für sich zu erkaufen. Er hatte es nicht alleine geschafft, und sie somit nicht verdient.

      Reinold kannte Prabislavs Beweggründe. Zum Teil verstand er sie sogar. Dennoch konnte er nicht mitansehen, wie sich sein Günstling selbst zerstörte. Es tat ihm in der Seele weh, und sein Herz schmerzte bei dem Gedanken, wie Prabislaw sich selbst Schmerz zufügte.

      „Jetzt nimm endlich das Geld von mir. Da wo ich bald sein werde, brauche ich kein Geld mehr. Es ist also sinnvoller, wenn ich es dir gebe. Willst du nur wegen deiner verdammten Eitelkeit auf die Frau verzichten, der dein Herz gehört? Sei nicht so stur. Meinst du ich will mitansehen, wie du wegen deines verdammten Stolzes dich selbst zugrunde richtest? “

      Reinold hatte sich in Rage geredet, und dieser Gefühlsausbruch hatte schon dazu gereicht, dass der eben zu trocknen begonnene Schweiß schon wieder feucht wurde.

      „Der Herrgott verbietet das Fluchen, und