Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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werden soll. Doch zunächst trage du deines vor.“

      Die Gestalt Knud VI. war imposant und herrisch. Er war der perfekte König, so wie sich jeder kleine Junge einen stolzen König vorstellte.

      „Euer Hoheit. Ich spreche im Namen aller Bürger von Mulne. Wir erkennen Euch als König an. Wir werden stets eure getreuen Untertanen sein. Deshalb erlaubt unsere Bitte, dass ihr Mulne das lübische Stadtrecht verleiht. Es ist euren königlichen Augen sicherlich nicht entgangen, dass Mulne ein aufstrebender Ort ist. Von überall her reisen die Menschen und Händler durch unseren Ort. Er ist ein fester Bestandteil auf der Route der Karren, die das Salz nach Lubecke bringen. Mulne wird noch weiter wachsen. Und damit wird es unabdingbar werden, dass wir ein Stadtrecht wie Lubecke besitzen, nachdem sich alle zu richten haben.“

      Knud runzelte die Stirn. Sein Blick wanderte zu den Häusern im Hintergrund, und dann ging er langsamen Schrittes umher. Er war keineswegs überrascht von Werdagos Anliegen, denn er hatte sogar darauf gewartet. Darauf basierend war er in der vergangenen Nacht nicht untätig gewesen. Was er da getan hatte, sollten Werdago und alle Mulner Bürger bald schmerzlichst erfahren.

      „Höre mir genau zu, Werdago. Als ich gestern in diesen Ort ritt, sah ich die Furcht in den Gesichtern der Menschen. Sie fürchten sich vor uns Dänen. Kein Jubel schallte uns entgegen, als wir über die Brücke zogen. Kein Glück war in den Augen der Leute zu lesen.

      Ich werde dir erzählen, wie wir vor wenigen Wochen in Lubecke empfangen wurden. Wir waren noch nicht einmal durch das Stadttor hindurchgeritten, so schallte uns schon großer Jubel entgegen. Die Priester und die gesamte Geistlichkeit stand dort, ebenso wie der Stadtrat. Die Hübschlerin jubelte neben dem geringsten Knecht. Ihre Augen strahlten. Das nenne ich Hingabe. Es war ein glorioser Empfang.

      Gleich danach wurde mir sogar die Feste Travemünde übergeben. Die drittletzte Burg also derjenigen, welche bis dato Widerstand geleistet hatten. Sogar die Landbewohner eilten herbei, und leisteten mir zusammen mit den Stadtbürgern das obseqium regis. Sie wollten ihrem neuen König dienen. Sie verpflichteten sich weiter zu Kriegsdienst und Burgwerk. Das nenne ich Hingabe für den König. Aber das was ich hier sah, kam dem nicht im Geringsten nahe. Ich bin anderes gewöhnt. Es war nur jämmerlich.

      Sicherlich ist Mulne ein aufstrebender Ort mit Zukunft. Er wird wachsen, und seine strategische Wichtigkeit ist unübersehbar. Ich würde eurem Wunsche entsprechen und euch das lübische Stadtrecht verleihen. Aber ich traue euch nicht. Als König habe ich gelernt, dass Verrat und Untreue auch unter Gesindel zu finden ist, welches Loyalität im Moment heuchelt.

      Deshalb höre mir zu. Ich werde Waldemar anweisen, euch das lübische Stadtrecht später zu verleihen. Leider wurde ich wegen dringender Staatsgeschäfte zurück nach Dänemark gerufen. Die Nachricht hat mich gestern Abend ereilt. Ich werde also doch nicht weiter zur Louwenburg reiten können. Das wird mein Bruder alleine tun. Auf seiner Rückreise ist er berechtigt euch das Stadtrecht zu verleihen. Aber …“

      Der König machte eine Pause und sah sich in der Runde um.

      „Aber es gibt eine Bedingung. Da ich euch nicht traue, verlange ich von euch ein Pfand, damit ihr der Möglichkeit beraubt seit, mir in den Rücken zu fallen. Deshalb habe ich am gestrigen Abend beschlossen, etwas von euch zu verlangen, was schon vorher längst hätte geschehen sollen, doch fahrlässigerweise unterlassen wurde.“

      Wiederum machte der König eine Pause. Werdago und Konrad Wackerbart sahen sich gespannt an. Sie hatten keinerlei Vorstellung davon, welcher Art die Forderung oder Bedingung des Königs sein sollte. An Geld sollte es nicht scheitern. Das wäre im Verbund aller aufzubringen. Ihre Spannung wuchs.

      „Deshalb ist es nötig, dass ich dreißig Geiseln aus Mulne als Pfand für zehn Jahre verlange.“

      „Aber Herr, das könnt ihr nicht machen.“ Werdagos Augen waren blank vor Entsetzen. Mit dieser Wendung hatte er nicht gerechnet. Er war nahezu sprachlos.

      „Oh doch, Werdago. Das kann ich machen. Höre ich da etwa Widerspruch? Geht es also schon los mit der Rebellion? Was ist mit der gestern noch so demütig geheuchelten Unterwürfigkeit?

      Macht nur so weiter, und ich werde die Anzahl der zu stellenden Geiseln erhöhen. Da ich euer König bin, kann ich verlangen was ich will. Nur Gott allein kann mir dreinreden. Wollt ihr nun das Stadtrecht, oder nicht?“

      „Ja, mein König. Wie Ihr befiehlt. Wir werden die dreißig Geiseln eurer Obhut übergeben.“

      „Das hört sich gut an. Dann werdet ihr also doch noch treue dänische Untertanen werden.“

      „Soll ich euch dreißig Namen benennen?“ Werdagos Frage klang kleinlaut. Er hatte nicht befürchtet, dass Stadtrecht so teuer erkaufen zu müssen. Keine Freude mochte sich einstellen.

      „Nicht nötig, Werdago.“ Knuds Stimme klang hochtrabend. Er war sich seiner mächtigen Position bewusst „Ich habe fähige Männer bei mir. Sie sind in der Nacht umhergegangen und haben dreißig Geiseln per Namen aufschreiben lassen. Wie gesagt. Ich traue euch nicht. Vielleicht wäre dann der eine oder andere Name nicht aufgetaucht. Wäre einfach so unter den Tisch gefallen, und weniger wichtige Namen auf der Liste erschienen.“

      „Und wen habt ihr benannt?“ Werdagos Stimme klang immer kleinlauter.

      „Euch wird eine Liste übergeben werden. In erster Linie habe ich darauf bestanden, Kinder aus bestem Hause, sprich der Honoratioren des hiesigen Ortes zu benennen. Diese scheinen mir die geeignetsten Geiseln zu sein. Seid gewiss, wenn ihr brave Untertanen seid, so seht ihr die Geiseln in zehn Jahren unversehrt wieder. Wenn nicht, dann …“

      Die Geste des Königs sagte alles, als er seine flache rechte Hand horizontal an seiner Kehle vorbeiführte.

      Damit war das Gespräch für ihn beendet, denn eine weitere Geste war unnötig.

      Niedergeschlagen verließen Konrad und Werdago den König. Sie gingen zurück und wurden von den Bürgern erwartet. Die meisten Bewohner wussten noch nicht, was geschehen war. Neugierig verfolgten sie jeden seiner Schritte. Werdago suchte sichtlich nach den richtigen Worten.

      Nur ein einzelner Mann wusste schon mehr. Er wusste leider mehr, als er je hätte wissen wollen. Dieser eine war der Schreiber Prabislaw. Er hielt eine Liste mit Namen in der Hand, die ihm der königlich-dänische Schreiber ausgehändigt hatte, mit dem Auftrag eine Abschrift für die Mulner Bürger anzufertigen.

      Prabislavs Gesicht war aschfahl. Das fiel Werdago sofort auf. Er ging sofort auf ihn zu. Etwas Schreckliches musste Prabislaw widerfahren sein. Wortlos reichte ihm der Schreiber die Liste. Da erkannte Werdago, warum Prabislaw so kreidebleich war. An siebzehnter Stelle stand der Name, den Prabislaw so sehr mitnahm. Am liebsten wäre Prabislaw sofort gestorben.

      Der Name lautete: Helene, Tochter des Bäckers Gottfried.

      Zwei Stunden später waren die dreißig Geiseln zusammengetreten. Versammelt standen sie alle bei den dänischen Truppen. Da alles so schnell gegangen war, blieb für lange Abschiedsszenen keine Zeit. Die Kinder und Jugendlichen wurden plötzlich aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen. Es blieb ihnen gar keine Zeit sich zu verstecken.

      Es hatte plötzlich an der Tür geklopft. Ein Name war gerufen worden, und ehe die Eltern sich versahen, waren die Kinder zwischen den Abteilungen großgewachsener Soldaten mit ihren eisernen Helmen und langen Lanzen verschwunden.

      Helene war auch unter ihnen. Auch für sie war keine Zeit zu Tränen gewesen. Da ihr Vater als Bäcker zu den Honoratioren des Ortes gehörte, gab sie eine gute Geisel ab.

      Da ihre Verlobung noch nicht rechtskräftig war, brauchte Hanno sie nicht zu schützen. Dies tat er auch wohlweislich nicht. Denn es hätte ihm nur geschadet, und er war stets darauf bedacht, jeglichen Schaden oder jede Unannehmlichkeit von sich fernzuhalten. Ohne jegliche Anteilnahme stand er abseits und besah sich das Schauspiel, welches ihm geboten wurde.

      Dann setzte sich der erste Zug nach Norden über die Holzbrücke in Bewegung. An ihrer Spitze ritt König Knud VI. Ihm folgten zwanzig Reiter. Dahinter gingen die dreißig jungen Geiseln mit