Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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es in diesem Fall nicht. Als der Rychtevoghede nach diesem fragte, erhielt er nur eisige Stille als Antwort. Deshalb durfte Zwentepolch zu seiner Verteidigung selbst sprechen. Ihm wurde erlaubt das Wort zu erheben.

      „Ihr seid alle ein jämmerlicher Haufen.“ Seine Stimme klang klar und voller Zorn und Hass.

      „Ich gestehe alle meine Taten, und bereue keine davon. Im Gegenteil, ich hätte noch viel mehr rauben und von euch meucheln müssen.“

      Dann fiel sein Blick auf Prabislaw. Stechend war er, als wenn er ihn so töten könnte.

      „Du bist genauso ein Feigling wie dein Vater. Du hast unser polabisches Volk verraten, und bist einer von ihnen geworden. Sieh dich doch nur an. Du bist es nicht wert als Polabe geboren zu sein. Ich verachte dich und werde dich töten, sobald ich dazu Gelegenheit finde.“

      Prabislaw wusste später nicht mehr, wie er dazu gekommen war, folgende verhöhnende Worte zu sprechen. Vielleicht war er der sicheren Meinung, dass Zwentepolch bald nicht mehr unter den Lebenden weilen würde. Denn am Richterspruch zweifelte niemand.

      „Du willst mir drohen? Pah. Sieh dich doch an. Du bist selber verachtenswert. Was ist nur aus dir geworden? Ein meuchelnder Räuber, der brave Männer bestiehlt. Wenn der Henker mit dir fertig ist, wirst du keine Hand mehr gegen mich oder irgend einen anderen erheben können. Du wirst deiner gerechten Strafe zugeführt werden. Pah, mach dich doch nicht lächerlich.“

      Zwentepolchs Blick war hasserfüllt Doch er konnte nichts unternehmen. Gefesselt stand er zwischen zwei Fronknechten, die ihn bewachten.

      Heinrich übernahm wieder das Wort.

      „Damit Gerechtigkeit in Mulne einkehre und die Bosheit gesühnet werde. So soll dies Thing die Blutschande von Mulne nehmen, und Gottes Kinder Gerechtigkeit widerfahren. Wie lautet das Urteil der Schöffen? Sie mögen das gerechte Urteil verkünden.“

      Gemurmel ertönte unter allen Anwesenden. Jeder wollte noch vorher seine Meinung über das zu fällende Urteil seinem Nächsten mitteilen.

      Der Sprecher der Schöffen war Siegfried, der Schmied der Stadt. Seine riesigen Oberarme, gestählt durch die Arbeit, geboten Ruhe. Sofort verstummte das Gemurmel der Zuhörer.

      „Die Schöffen Mulnes, die ehrenwerten und von Richterhand ausgewählten Freien der Stadt, entbürden Zwentepolch jeglicher Schuld auf Erden durch den Strick am nächsten Morgen. So sprechen wir den Blutbann aus.“

      Sogleich, als das Todesurteil verkündet wurde, erhob sich allenthalben unbeschreiblicher Jubel. Dieses Urteil kam nicht überraschend. Nun galt es noch das Urteil vom Rychtevoghede bestätigen zu lassen.

      Heinrich bestätigte das Urteil der Schöffen. Es hieß Tod durch den Strick vor den Toren der Stadt. Der Schreiber notierte fleißig das Gehörte. Dann schloss Heinrich die Verhandlung, und Zwentepolch wurde durch die Fronknechte in die Fronerei abgeführt. Das Gefängnis der Stadt befand sich gleich nebenan. Es war eigentlich nicht wert Fronerei genannt zu werden, denn es gab in der Stadt nur zwei Zellen. Normalerweise befanden sich kleinere Diebe und Gesetzesbrecher darin. So ein großer Räuber und Mörder hatte sich seit Bestehen der Stadt noch nicht in den Zellen der Fronerei befunden. Jede war an drei Seiten mit Holz beschlagen. In der oberen Hälfte der Tür waren Eisenstangen als Gitter eingelassen. Ein wenig Licht schien herein. Ein Topf für die Notdurft befand sich darin. Sonst nichts. Kein Bett, Tisch oder Stuhl. Auf dem nackten Boden musste der Unselige nächtigen.

      Prabislaw ging mit gemischten Gefühlen zu seinem Haus. Es war doch komisch. Viele, viele Jahre lang war dieser Mann aus seinem Gedächtnis verschwunden gewesen, als wenn es ihn nie gegeben hätte. Anfangs, als er gerade das Schreiben erlernte, fragte er sich vereinzelt, ob Zwentepolch wohl noch lebte, aber mit der Zeit war die Erinnerung daran verblasst. Er war gänzlich aus seiner Erinnerung gestrichen gewesen.

      Jetzt stand er plötzlich wieder in seinem Leben. Aber nicht mehr lange.

      Einerseits war er froh, dass unter dieser Geschichte nun ein Schlussstrich gezogen war. Doch andererseits konnte er sich nicht freuen, da er eine nicht genaue definierbare Art der Furcht empfand. Als wolle sie ihm sagen, dass es noch nicht vorbei sei.

      Unsinn, sagte er sich, um sich zu beruhigen. Am nächsten Morgen wollte er dabei sein, wenn sie den Räuber am Strick baumelnd emporheben würden.

      In der Nacht konnte er schlecht schlafen. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere. Unruhig lag er da und lauschte den Geräuschen der Nacht. Der Nachtwächter war schon vor langer Zeit durch die Seestrate gegangen und hatte die Stunde der Mitternacht ausgerufen, als er ein Geräusch hörte. Plötzlich war er wach und schnellte hoch. Ein Griff nach seinem Schwert, welches neben seinem Nachtlager bereitlag, war Sache eines Augenblicks.

      Oh, wie beruhigte ihn der kalte Stahl, als er in seiner Hand lag. Er ging vorsichtigen Schrittes zur Haustür, die zur Seestrate führte, und stellte sich neben ihr hin. Da war wieder das Geräusch. Jemand machte sich an seiner Tür zu schaffen. Er vernahm ein Kratzen.

      „Miau.“

      „Verfluchte Katzen,“ entfuhr es ihm.

      Die Anspannung fiel von ihm ab. Kopfschüttelnd ging er zu seinem Bett zurück. Er machte sich nur selbst verrückt. Es war diese leere Drohung von Zwentepolch gewesen, die sich unbemerkt wie ein Gift in seinen Körper eingeschlichen und verbreitet hatte.

      Ich verachte dich und werde dich töten, sobald ich Gelegenheit dazu finde. Leere Phrasen, beruhigte er sich. Morgen wird er tot sein, und alles wird seinen geregelten Gang gehen.

      Er legte sein Schwert wieder an seinen Platz, als er wieder ein Geräusch vernahm. Diesmal aber von der Rückseite des Hauses, die dem Mulner See zugewandt war. Das Stück Land bis zum See war sein Garten, und auf beiden Seiten von der Nachbarschaft her zugänglich. Da hörte er es wieder. Vom Garten her machte sich jemand an der rückseitigen Tür zu schaffen. Wieder eine Katze.

      Das war sein erster Gedanke. Aber dann fiel ihm auf, dass es sich diesmal anders anhörte. Er nahm wieder sein Schwert in die Hand. Langsam ging er auf nackten Sohlen zur Hintertür. Dort verharrte er und lauschte. Irrte er sich, oder vernahm er hinter der hölzernen Tür ein Atmen?

      Er war sich nicht sicher.

      Aber das war auch egal, weil ihm die Entscheidung abgenommen wurde. Mit einem Mal flog die schwache Tür aus den Angeln und fiel krachend neben ihm in die Wohnstube. Er schaute erschrocken heraus und konnte im fahlen Mondlicht eine männliche Gestalt erkennen. Diese Gestalt mit langen Haaren trug ebenfalls ein Schwert in der Hand. Sofort wusste er, wer der Träger war. Zwentepolch.

      Er wich zurück, sein Schwert kampfbereit halbhoch erhoben. Zwentepolch hatte seinerseits die Gestalt neben der Tür erkannt, und trat herein. Prabislavs Vorteil war, dass er sich in der Dunkelheit in seinem Haus auskannte. Mit schlafwandlerischer Sicherheit ging er Schritt für Schritt rückwärts. Dabei hielt er immer das Schwert zum Schlage bereit. Sein Schritt führte ihn zur Haustür hin, hinter der sich die Seestraße befand. Dort wähnte er sich sicherer.

      Zwentepolch dagegen kannte sich hier nicht aus. Außerdem war er aus der vom Mondlicht erhellten Nacht in die Dunkelheit des Hauses gelangt. Dadurch sah er außer Schwärze rein gar nichts. Ungeschickt stolperte er vorwärts und fiel über das Bett, welches im Raum stand. Längsseits fiel er zu Boden.

      Prabislaw nutzte dieses Ungeschick aus und eilte zur Tür, die er schnell öffnete. Mit einem Sprung war er draußen und erwartete Zwentepolch. Bald kam auch dieser und stand ebenfalls im fahlen Mondlicht im ständig aufgewühlten Morast der Seestrate.

      „Wache.“

      Zwentepolch kam näher und hob gleichzeitig zum finalen Schlag sein Schwert.

      „Wache, eilt herbei. Zwentepolch ist hier. Wache. So helft doch!“

      Der Schrei „Wache“ eilte durch die gesamte Seestrate. Aber dies alles schien dem Flüchtling nichts auszumachen. Ohne sich von den Leuten, die aufgeschreckt aus ihren Häusern traten, ablenken zu lassen, trat er fünf Schritt vor und hieb mit großer Schlagkraft auf Prabislaw ein.