Michael Aulfinger

Möllner Zeiten


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Herz machte einen Sprung. Helene war zurück. Doch bevor er an sie herantrat, hatten der Bäcker Gottfried und dessen Frau sich zu ihrer Tochter durchgeschlagen. Nach der herzlichen Begrüßung sah Helene sich um.

      „Wo ist Hanno? Ich sehe ihn nicht.“

      Gottfried räusperte sich. Helene sah ihn daraufhin verwirrt an. Ihre Mutter schwieg und überließ Gottfried die schwere Antwort.

      „Hanno ist bei seiner Frau und seinen drei Kindern. Er …er hat …, er hat bald darauf geheiratet. Was soll ich sagen?“

      „Nichts, Vater. Es sollte wohl so geschehen.“

      Helene überraschte dies nicht. Sie empfand nicht einmal Trauer darüber. Im Gegenteil. Sie dankte dem Herrgott sogar dafür, dass er sie durch die Geiselnahme davor bewahrt hatte, diesen Hanno zu ehelichen, der ihr eigentlich höchst zuwider gewesen war. Sie hätte es nur ihrem Vater zuliebe getan. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Ein Gedanke, dass Prabislaw noch für sie frei sein könnte, falls er nicht inzwischen ebenso geheiratet hätte. Sie bekam Angst davor. Ihr Blick wanderte schüchtern zu Prabislaw hinüber. War er verheiratet?

      Prabislaw stand immer noch dort, wo er gestanden hatte, und lächelte ihr zu. Da wusste sie die Antwort auf ihre Frage, und lächelte ihm ebenfalls zu. Dann folgte sie artig ihren Eltern ins Haus, welches sie seit zehn Jahren nicht mehr betreten hatte.

      Zwei Tage später hatten Helene und Prabislaw endlich Gelegenheit dazu, sich zu treffen. Sie fielen sich gleich in die Arme und küssten sich. Helene sprach anschließend über ihre dänische Zeit. Einige Freier hätten um sie geworben und es wäre ihr nicht schwer gefallen, dort einen guten fürsorglichen Gatten zu finden, bei dem sie keinen Hunger mehr gelitten hätte. Aber sie habe den Werbungsversuchen widerstanden und allen einen Korb gegeben. Es sei nur ihr Wunsch gewesen, nach Mulne zurückzukehren, weil sie sich immer sicher gewensen sei, dass Prabislaw auf sie warten würde. Daran habe sie nie gezweifelt. Sie kenne ihn zu gut.

      Bäcker Gottfried war schnell davon zu überzeugen, dass Prabislaw seine Tochter ehelichen würde. Da sie inzwischen schon fast dreißig Jahre zählte und somit schon als alte Frau galt, war der Preis, den er als Morgengabe verlangen konnte, natürlich drastisch gesunken. Junge Mädchen erzielten nun einmal einen höheren Preis. Bevor sie als alte Jungfer enden würde, willigte er bei Prabislavs Angebot sogleich ein.

      Bald wurde die Toslach gefeiert. Die Hochzeit, die Brutlacht, folgte noch vor dem Winter. Es war ein rauschendes Fest, bei dem die halbe Stadt eingeladen war. Prabislaw hatte zehn Schweine beim Knochenhauer bestellt. Gänse, Hühner und Fisch gab es obendrein zu essen. Zehn Fässer in Mulne gebrautes Bier standen bereit. Seit einiger Zeit gab es in Mulne nämlich auch Bürger, die nebenbei Bier brauten. Um der Braugerechtigkeit genüge zu tun, hatten sie vorher beim Rat eine Braugenehmigung beantragt und erhalten. Er ließ es sich sogar nicht nehmen, zwei Fässer teuren Weines zu bestellen, die er extra über die Via Regia aus Lubecke kommen ließ.

      Es wurde ausschweifend gefeiert, und Prabislaw war noch nie so glücklich wie an diesem kalten aber sonnigen Tag.

      Es war ein warmer Tag, der 24. Mai im Jahre 1217, als zum ersten Mal in dem jungen Städtchen eine Kirchensynode abgehalten wurde. Sie wurde geleitet von Bischof Heinrich von Racisburg, der seit zwei Jahren das Bischofsamt innehatte. Ihm zur Seite stand der Priester aus Bredenvelde, der immer noch für die Stadt Mulne zuständig war, die ergo immer noch nicht über einen eigenen Priester verfügte.

      Abgehalten wurde die Synode in dem Chorraum, der fast fertig war. Die Rundbogenfenster waren schon fertiggestellt. Auf der Nordseite gab es schon eine Rundbogentür. An der Westseite sollte noch in den nächsten Jahren ein freistehender Turm entstehen. Aber dieser geplante Turm würde noch Jahre des Bauens in Anspruch nehmen, genauso wie die geplante Apsis, die, nach Osten gerichtet, gebaut werden sollte. Vom dänischen Einfluss zeugte auch die starke Überhöhung des Kapitellkörpers im Chor. Der Einfluss des dänischen Baumeisters Harm war unübersehbar.

      Von der Synode an sich bekamen die Mulner Bürger nicht viel mit. Als Abgesandte des Stadt­rates waren lediglich der Bürgermeister Werdago und das neue Ratsmitglied Thiedardus anwesend. Für Thiedardus hatte sich ein langjähriger Traum erfüllt, nachdem es ihm gelungen war, in den Rat gewählt zu werden.

      Diese beiden Mulner Borger waren als einzige Repräsentanten ihrer Stadt dazu auserkoren, an der Synode teilzunehme; aber nicht nur das. Sie waren als Zeugen dabei, als eine wichtige Urkunde unterzeichnet wurde. In ihr bestätigte nämlich Bischof Heinrich der Kirche zu Bergedorf verschiedene Schenkungen des Grafen Albert von Orlamünde. Es handelte sich dabei um die Erlaubnis, zum Unterhalt des Priesters eine Mühle dort an der Bille anzulegen, und darum, die von seinen Vorgängern gewährten Privilegien zu bestätigen.

      Nach den drei Tagen waren die Kleriker wieder aus dem beschaulichem Örtchen abgereist. Die Bürger waren darüber nicht enttäuscht. Sie konnten hernach ihren Alltagsgeschäften wie gewohnt nachgehen. Es war für jedermann schwer genug, sein täglich Brot zu verdienen und die fälligen Steuern an den Grafen Albrecht von Orlamünde und den Klerus zu entrichten.

      Auch Helene hatte ihre Probleme. Sie hatte gerade ihren zweiten Sohn zur Welt gebracht. Die Geburt war schwierig verlaufen, und sie war nur knapp dem Tode im Kindbett entgangen. Tod im Kindbett war keine Seltenheit zu ihrer Zeit. Dieses Schicksal hatte vor ihr schon viele Mütter und Neugeborene ereilt. Der Bader warnte sie deshalb eindringlich davor, jemals wieder schwanger zu werden. Beim nächsten Mal würde sie nicht so viel Glück haben. Sie nahm sich die warnenden Worte des Baders und der Hebamme zu Herzen.

      Darauf gingen die Jahre ins Land, und Helene hatte die Warnung des Baders verinnerlicht. Die beiden Söhne, Walter und der zwei Jahre jüngere Jakob, gediehen prächtig.

      Wie der Vater einst, so waren sie in ihrer Kindheit ungezügelte, neugierige und unter­nehmungslustige Kinder. Diese Eigenschaften sollten eines Tages dem zwölfjährigem Walter zum Verhängnis werden. Aber dieses Ereignis hatte seine Ursache in der Machtgier der herrschenden Fürsten und Könige.

      Nebenbei geschahen in der Welt der hohen Politik nämlich Dinge, deren höchst gefährliche Entwicklung die kleine Stadt auf drastische Weise mit einbeziehen sollte.

      Dem Grafen Heinrich von Schwerin war nämlich eine tollkühne Tat gelungen, die ihres­gleichen suchte. Heinrich war der vierte Sohn des einstigen Verbündeten Waldemars, Gun­zelin. Heinrich hatte einige Jahre auf Kreuzzügen im Heiligen Land verbracht, als er von dort im Jahre 1222 zurückkehrte. Wütend musste er feststellen, dass Waldemar sich inzwischen seine halbe Grafschaft unter den Nagel gerissen hatte. Sein Bruder Gunzelin II, sowie der Schwager Niels van Halland waren in der Zwischenzeit verstorben, und der König hatte kurzerhand die Vormundschaft des minderjährigen Nikolaus von Halland-Schwerin über­nommen. Dadurch, dass er Albrecht von Orlamünde zum Statthalter von Schwerin erklärte, wurde der Zorn Heinrichs aufs Äußerste gesteigert.

      Verhandlungen mit Waldemar blieben fruchtlos. Deshalb entschloss sich Heinrich von Schwerin zu einer tollkühnen Tat. Sie war zu dieser Zeit so verwegen und mutig, dass einige sie als Fabel abtaten. Sie zeugte jedoch von Heinrichs Einfallsreichtum.

      Es war eine kalte Nacht zum 7. Mai 1223, als er den König Waldemar und dessen Sohn gleichen Namens von der dänischen Insel Lyo in einer Nacht- und Nebelaktion entführte, die dort unbewacht und ohne jeglichen Verdacht, von der Jagd ausgeruht hatten. Vater und Sohn waren bald überrumpelt. Ein schnelles Schiff brachte sie zur deutschen Küste zurück. Die beiden Gefangenen wurden heimlich nach Lenzen in der Mark Brandenburg, und später in die Burg Dannenberg gebracht, wo niemand etwas von den wichtigen Gefangenen ahnte. Alles lief heimlich ab.

      Die Kunde aber, dass der König entführt sei, verbreitete sich rasch. Doch niemand wusste eben genau, wo dieser gefangen gehalten wurde. In den letzten Jahren hatte sich allerorts eine Unzufriedenheit gegenüber der dänischen Herrschaft herausgebildet. In allen Städten – auch in Mulne – war die Verdrossenheit gewachsen. Dies hatte mannigfaltige Gründe. Sie reichten von der Steuererhebung, des Frondienstes, bis zu neuen Gesetzen, die auf Unverständnis stießen. Diese Unzufriedenen witterten deshalb ihre große Chance darin, die Regierungs­schwäche auszunutzen und die dänische Herrschaft